# taz.de -- Werner Herzog auf DVD: "Razzle dazzle them"
       
       > Werner Herzogs "My Son, My Son, What Have Ye Done" lief im letzten Jahr
       > in Venedig. In die deutschen Kinos kam er nicht, jetzt erscheint er zum
       > Glück auf DVD.
       
 (IMG) Bild: Werner Herzog (2. von links), u.a. als Jurypräsident auf der Berlinale 2010. Eine Kinogarantie für seine Filme beschert ihm diese Rolle nicht.
       
       Auf der Kaffeetasse des Mannes, der gerade mit seinem gewaltigen Schwert im
       Haus der Nachbarin die eigene Mutter erstochen hat, steht: "Razzle Dazzle".
       Der Mann, der Brad McCullum heißt, wird von Michael Shannon gespielt, der
       vom Geschehen in Werner Herzogs Film "My Son, My Son, What Have Ye Done"
       mindestens ebenso konsterniert scheint wie du und ich, die wir zusehen.
       
       Der Mörder seiner Mutter, die von Grace Zabriskie dargestellt wird (Mutter
       Palmer aus "Twin Peaks"), tritt mit seiner Kaffeetasse auf den Ermittler,
       Detective Hank Havenhurst (Willem Dafoe) zu und spricht die unsterblichen
       Worte: "Razzle them, Dazzle them. Razzle dazzle them."
       
       Dann geht er hinüber ins eigene Haus, nimmt zwei als Haustiere gehaltene
       Flamingos als Geiseln und verschanzt sich mit dem Gewehr hinter den
       Gardinen und einer obsessiv in Rosa gehaltenen Hauswand sowie dem
       Garagentor, durch das hindurch später der Austausch von Pizza und
       himmlischen Gesangsbotschaften stattfinden wird. Aufklärung übers
       Geschehene tut not. Also karrt der Film Vertraute des Täters heran, die in
       Flashbacks erklären, wie kommen konnte, was kam.
       
       Da ist zum einen Brads Freundin Ingrid (Chloe Sevigny), die nicht als Erste
       berichtet, dass der junge Mann von einer Reise in den Dschungel von Peru,
       bei der seine Reisepartner in reißendem Wasser ertranken, verändert
       wiederkam. Werner Herzog hat keine Kosten und Mühen gescheut, dieses
       Ereignis in Flashbacks vor Augen zu führen, man wähnt sich kurzzeitig in
       "Fitzcarraldo" oder "Aguirre". Es geht aber verlässlich zurück in den
       Belagerungszustand im Flamingohaus in den Suburbs von San Diego: die
       üblichen Exotismen, diesmal aber, von David Lynchs Firma produziert, in
       kalifornisch transformierter Gestalt.
       
       Ebenfalls als Zeuge von Brads merkwürdiger Wandlung herangeschafft wird der
       Theaterregisseur Lee Myers (Udo Kier mit US-amerikanischem Namen und
       gewaltigem deutschem Akzent), zu dessen Schauspielertruppe Ingrid und Brad
       gehörten. Das Unglück will es, dass Brad in einer Inszenierung der
       "Orestie" den Orest darstellen soll, den Mann also, der aus Rache an deren
       Gattenmord die eigene Mutter, Klytämnestra, tötet und fortan von den
       Erinnyen verfolgt wird. Es scheint, als sei bei der Gelegenheit der
       Theaterproben der zuvor ausgeprägte Ödipuskomplex des Sohns in einen
       Oresteskomplex umgekippt, mit den erwähnten tödlichen Folgen.
       
       Von Flamingos freilich war bei den antiken Autoren mitnichten die Rede.
       Auch von Straußen nicht. Die aber tauchen in einer weiteren Erinnerung auf.
       Brad besucht Uncle Ted (Herzog-Stammgast Brad Dourif) auf dessen
       Straußenfarm und erhält von diesem das später als Mordwaffe benutzte große
       Krummschwert. All das sieht man, auch noch tranceartige Aufnahmen aus einer
       dann schon nicht mehr kausal eingebundenen Inneren Mongolei. Und all das
       erklärt natürlich wenig bis nichts. Eher geht es Werner Herzog in einer
       völlig unentzifferbaren Mischung aus wahnsinnigem Ernst und
       radikalkomischer Albernheit um eine ekstatische Wirklichkeit, in der alles
       seltsam erleuchtet ist.
       
       Nicht zuletzt erkennt Brad auf einer Haferflockendose Gott. Der spricht
       auch zu ihm im Lied eines Folksingers. Die Tonspur des Films ist mit Musik
       zugedröhnt, die das Geschehen im grellen Licht Kaliforniens gezielt
       pathetisiert. Auch steht das Bild bei mehr als einer Gelegenheit mehrere
       Sekunden lang still - als warteten die Darsteller darauf, dass ein Fotograf
       endlich abdrückt. "My Son My Son, What Have Ye Done" ist die Überführung
       eines eher banalen realen Kriminalfalls in einen völlig anderen Zustand.
       
       Mit diesem Film und seiner "Bad Lieutenant"-Version gelang Herzog im
       letzten Jahr das singuläre Kunststück, mit zwei Werken im Wettbewerb von
       Venedig vertreten zu sein. "Bad Lieutenant" wurde im Frühjahr höchst
       lieblos in ein paar deutsche Kinos gebracht. Der mindestens ebenso
       fabelhafte Film "My Son My Son" erblickt das Licht deutscher Leinwände erst
       gar nicht. Immerhin auf DVD kann sich nun jeder ein Bild davon machen, wie
       der späte Werner Herzog das Hollywoodkino razzelt und dazzelt, bis kein
       Stein mehr auf dem anderen ist.
       
       ## Werner Herzog: "My Son, My Son, What Have Ye Done". Mit Michael Shannon,
       Chloe Sevigny u. a., 91 Min., USA 2009
       
       17 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ekkehard Knörer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA