# taz.de -- Nato-Gipfel mit neuem Programm: Raketenabwehrschirm gegen Terror
       
       > Ein umfassender Raketenabwehrschirm, Cyberwar und weiter Drohungen mit
       > Atomwaffen: Das ist das neue Programm der Nato. Die Vision einer
       > "atomwaffenfreien Welt" bleibt vage.
       
 (IMG) Bild: Schwarze Farbe, helles Logo: Sitzungsdecke in Lissabon.
       
       Das Militärbündnis Nato will über fast sein gesamtes Vertragsgebiet
       diesseits und jenseits des Atlantik einen Raketenabwehrschirm gegen
       Bedrohungen aus Iran und anderen Staaten aufbauen. Zudem beabsichtigt die
       Allianz eine verstärkte Kooperation gegen Cyber-Attacken auf
       Computernetzwerke.
       
       Das sind die wichtigsten Neuerungen im "Strategiekonzept 2010", das die
       Staats-und Regierungschefs der 28 Mitgliedstaaten am Freitag auf einem
       Gipfeltreffen in Lissabon verabschieden wollen. Stärker als in ihrem
       letzten, über zwei Jahre vor den Anschlägen vom 11. September 2001
       verabschiedeten Strategiekonzept vom April 1999 betont die Allianz die
       "globale terroristische Bedrohung" und ihre "Entschlossenheit", diese
       Bedrohung mit allen erforderlichen Mitteln zu bekämpfen.
       
       Die Rolle und Funktionsbeschreibung der Atomwaffen bleibt in dem neuen
       Konzept fast unverändert. Zum wiederholten Mal seit Ende des Kalten Krieges
       bekräftigt die Nato ihre Bereitschaft zur Partnerschaft mit Russland,
       dessen Präsident Dmitri Medwedjew im Rahmen des zweitägigen Gipfeltreffens
       am Freitag und Samstag an einer Sitzung des Nato-Russland-Rates teilnehmen
       wird.
       
       Mit dem neuen Strategiekonzept wird das ursprüngliche unilaterale Projekt
       der USA für ein in Polen und Tschechien stationiertes Raketenabwehrsystem
       endgültig zu einem gemeinsamen Vorhaben der Nato. Iran, dessen
       Mittelstreckenraketen bislang hauptsächlich zur Begründung der
       Raketenabwehrpläne angeführt wurde, wird in dem Strategiekonzept allerdings
       entgegen dem letzten Entwurf von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen
       nicht mehr namentlich erwähnt. Dafür sorgte ein Veto der Türkei, die eine
       Belastung der Beziehungen zu ihrem Nachbarland befürchtete.
       
       Bei dem geplanten Raketenschild geht es nicht um den Aufbau völlig neuer
       Strukturen, sondern um die Zusammenlegung bisheriger Abwehrfähigkeiten der
       Nato-Mitgliedstaaten. Dafür soll ein neues Führungs- und Informationssystem
       für knapp 200 Millionen Euro eingerichtet werden. Dieses Zentrum soll bis
       spätestens 2020 ein Nato-einheitliches Lagebild erstellen und im
       Bedrohungsfall auf die Fähigkeiten der einzelnen Ländern zugreifen können.
       
       Die USA werden auf dem Gipfel auch einen Dreistufenplan zur Raketenabwehr
       in Europa vorlegen. Danach wollen die Amerikaner ab 2011 auf Schiffen
       mobile Raketenabwehrsysteme im östlichen Mittelmeer einsetzen. 2015 soll
       ein fest installiertes Raketenabwehrsystem in Rumänien folgen, 2018 ein
       weiteres in Polen.
       
       Russland wird zur "Zusammenarbeit" bei der Raketenabwehr aufgefordert. Zu
       einem mit Russland betriebenen Projekt, auf das Moskau in den vergangenen
       Jahren immer wieder gedrungen hatte, ist die Nato aber nicht bereit. Die
       Aussicht auf verbesserte Beziehungen könnte auch getrübt werden, sollten
       die Republikaner im US-Senat wie am Dienstag angekündigt die Ratifizierung
       des Start-Nachfolgevertrages mit Russland bis in das nächste Jahr verzögern
       oder gar gänzlich verhindern.
       
       Bei der Abwehr groß angelegter elektronischer Angriffe auf ihre
       Computernetze wollen die 28 Nato-Staaten sich laut Strategiedokument
       "verstärkt abstimmen und kooperieren", allerdings lediglich auf Basis von
       Artikel 4 des Nato-Gründungsvertrags. Den weitergehenden Vorschlag von
       Generalsekretär Rasmussen und der US-Regierung, Cyber-Attacken als
       "strategische Bedrohung" zu definieren, die eine Ausrufung des Bündnisfalls
       nach Artikel 5 des Vertrages nach sich ziehen könne, hatten mehrere
       europäische Nato-Staaten abgelehnt. Nato-Militärs in der Brüsseler Zentrale
       der Allianz gehen davon aus, dass der virtuelle Krieg das "Schlachtfeld des
       21. Jahrhunderts" wird.
       
       Mit welchen Mitteln dieser Krieg geführt werden könnte, hat bislang vor
       allem die Nato-Bündnisvormacht USA demonstriert. Während des
       Nato-Luftkrieges gegen Serbien 1999 war es der amerikanischen Luftwaffe
       durch einen elektronischen Trick gelungen, fiktive Flugzeuge in die
       Zielcomputer der serbischen Flugabwehr zu schleusen. Die serbischen
       Militärs verschossen ihre Abwehrraketen auf diese Phantomziele. Die
       Amerikaner schalteten zudem mit ihren Computern teilweise die
       Stromversorgung und Kommunikationswege sowie andere
       Infrastruktureinrichtungen in Serbien aus. Im September dieses Jahres legte
       der US-Militärgeheimdienst mit Hilfe von eingeschleusten Computerviren die
       Steuerungsanlagen sämtlicher Atomanlagen im Iran lahm.
       
       Die Atomwaffenstrategie der Nato bleibt auch 20 Jahre nach Ende des Kalten
       Krieges und dem Zerfall des einstigen Hauptfeindes Sowjetunion unverändert.
       Das Bündnis droht potenziellen Gegnern weiterhin mit dem Ersteinsatz von
       atomaren Massenvernichtungsmitteln. Von einem Abzug der amerikanischen
       Atombomben aus Deutschland und vier weiteren europäischen Staaten ist in
       dem Konzept keine Rede.
       
       Die Nato werde eine "Nuklearallianz bleiben", solange andere Staaten über
       Atomwaffen verfügen, heißt es in dem Strategiedokument. Lediglich in vager
       Form bekennt sich die Nato zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Doch
       dieses Ziel sei erst "irgendwann, in einem fernen Jahrhundert zu
       erreichen", hatte US-Außenministerin Hillary Clinton kürzlich bei einem
       Treffen mit ihren 27 AmtskollegInnen zur Vorbereitung des Lissabonner
       Gipfels erklärt.
       
       18 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Zumach
       
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