# taz.de -- Ausstellung: Der ganze Pechstein
       
       > Die Kieler Kunsthalle zeigt die Werke von Max Pechstein, einer der
       > Begründer des Expressionismus. Dabei bekommt man neben vielem Großartigem
       > auch manch Anständiges und auch einiges Randständige zu sehen.
       
 (IMG) Bild: Max Pechstein: "Modellpause".
       
       Oha - da tränen einem schon die Augen! Wuchtig bahnt sich das Sonnenlicht
       durch die Wolken; fächerförmig ziehen die Lichtstrahlen gen Himmel, während
       zwei aufgebockte Kutter ungelenk am Hafenrand liegen! Okay - das Bild
       "Kutter zur Reparatur" ist ganz ordentlich gemalt, aber in seiner
       Hinwendung zum Pathos und in seiner ruppigen Dramatik plus der naiv
       christlichen Symbolsprache dann doch sehr gewöhnungsbedürftig.
       
       Dabei stammt es von Pechstein, von Max Pechstein, dem bekannten Maler der
       Brücke-Schule der Zehner-Jahre des letzten Jahrhunderts und damit einem der
       Begründer des Expressionismus. Und weil das so ist und weil Pechstein
       schließlich ein guter und wegweisender Maler nicht nur seiner unmittelbaren
       Zeit war, hängt dicht neben den zu reparierenden Schiffen sein Werk
       "Sonnenuntergang Leba Hafen", ein wahrlich schönes Bild. Wie von selbst
       sickert das Licht vom Horizont empor, die vertäuten Kutter spiegeln sich
       dank weniger, kunstvoller und kräftiger Striche auf dem Wasser: Alles
       bleibt und alles verschwimmt zugleich. Ein Pechstein eben. Auch dieser.
       
       "Max Pechstein. Ein Expressionist aus Leidenschaft. Retrospektive", so
       lautet der vollständige Titel der Pechstein-Schau der Kunsthalle Kiel, mit
       der diese derzeit ihre Räume belebt. Anlass, Pechstein an die Förde zu
       holen, war der bevorstehende Abschluss des Verzeichnisses seines
       malerischen Werkes; zum anderen hat Kiel schon einmal mit einer soliden
       Pechstein-Ausstellung punkten können, 1997 war das. Entsprechend
       bereitwillig und was das Verleihen von Bildern angeht, äußerst freundlich
       gestimmt, traten auch diesmal die Erben Pechsteins an den Kieler Kurator
       Peter Thurmann und sein Team heran und breiteten aus, was sie noch alles an
       Pechstein-Werken hüten oder von dem sie wissen, wo es zu finden ist.
       
       Denn gezeigt werden soll nicht allein Pechstein als einer der
       Label-Verantwortlichen des Expressionismus, bei dem jeder angesichts seiner
       wirklich gelungen Bilder aus den Moritzburger Tagen wie seiner
       Ferienaufenthalte im Künstlerdorf Nidden auf der kurischen Nehrung wissend
       nickt. Gezeigt werden soll - der ganze Pechstein. Nun ist es in den letzten
       Jahren ein wenig in Mode gekommen, die Bestände großer Malerfürsten noch
       einmal akribisch zu durchforsten, auf der Suche nach noch nicht gehobenen
       Schätzen, doch eher selten ist dabei Bemerkenswertes ans Tageslicht
       gekommen.
       
       Allein das äußerst Angenehme der Kieler Schau ist, dass hier eben nicht mit
       vermeintlichen Neuentdeckungen geprotzt wird; das eben nicht versprochen
       wird, hinterher würde auch der Kunstkenner den einstigen Autodidakten aus
       Zwickau, dessen Werk aus gutem Grund den Nazis missfiel, mit ganz anderen
       Augen sehen. Vielmehr wird neben vielem Großartigem auch manch Anständiges
       und eben auch einiges Randständige gezeigt: Pechsteins einzige
       Bildhauerarbeit, seine Auftragsarbeit für ein Wand füllendes Mosaik mit dem
       Titel und Thema "Anbetung der Heiligen Drei Könige" oder das früheste Werk,
       das wohl erhalten ist: eine kleine Malerei, bei der die Geierwally nach dem
       gleichnamigen Erbauungsroman zum Adlerhorst empor klettert, schon
       ordentlich mit seinem Namen signiert. Pechstein ist da - und da streiten
       sich die Experten, die es stets ganz genau wissen wollen - zwölf oder
       vierzehn Jahre alt, und er hat sich die Farbe von seinem Onkel geborgt.
       
       Spannend wiederum sind Einblicke in Arbeiten, für die er auf der
       Südseeinsel Palau 1914 zahlreiche Skizzen fertigte; als nicht ganz einfach
       zu händeln, erweist sich der Blick auf sein Spätwerk Mitte der Fünfziger:
       schemenhaft gestaltet finden sich seine Figuren am Strand wieder; die
       einstige Klarheit in Mimik und Körperausdruck ist verschwunden. Es sind
       Abschiedsbilder, Pechstein ist da schon sehr krank. Das Schiff wartet
       darauf, ihn ans andere Ufer zu bringen.
       
       Und so erzählt die Ausstellung sehr kundig und gewissenhaft und ganz
       nebenher eben auch mit leichter Hand von den Höhen und Tiefen des Max
       Pechstein als einem, der eben nicht an jedem seiner Lebenstage ein
       einzigartiger Maler und Künstler war und entsprechend ist jenseits der
       erhabenen Pechstein-Klassiker wie "Mädchen mit rotem Fächer" von 1910 oder
       "Am kurischen Haff" von 1909 dann doch vieles auch Heiteres und Komisches
       zu entdecken.
       
       Und wer es zeitlich einrichten kann, sollte unbedingt das Angebot einer
       Führung durch die Ausstellung annehmen, denn es gibt wirklich allerhand
       über die Bilder und ihre Geschichte(n) zu erzählen: etwa über das Werk "Am
       Fluss", das ganz wunderbar mit den Farben Orange und Grün und Blau spielt
       und zaubert. Das Bild hängt normalerweise bei einem Ehepaar im Wohnzimmer
       über dem Sofa, wurde bisher noch nie ausgestellt und hat sich entsprechend
       dem Lauf der Jahre und der Jahreszeiten, vielleicht auch aufgrund des
       ständig schlechter werdenden Fernsehprogramms leicht verzogen, weshalb es
       nun etwas krumm und widerspenstig an einer der frisch getünchten
       Ausstellungswänden prangt.
       
       Das Angebot des Kieler Hauses, das Bild als Gegenleistung für das Ausleihen
       sorgsam restaurieren zu lassen, wies das Paar zurück: Das Bild soll doch
       nach Ende der Ausstellung wieder seinen Platz über dem Sofa finden, genau
       so, wie zuvor. Muss sich denn immer etwas ändern?
       
       22 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Keil
       
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