# taz.de -- Unabhängiges Kino in New York: Wie Kakerlaken sollt ihr sein
       
       > In New York, einst Paradies des unabhängigen Kinos, drohen Arthouse und
       > Independant bedeutungslos zu werden. Helfen können neue
       > Vermarktungsstrategien.
       
 (IMG) Bild: Vermarktungsgenie und Hoffnungsträger für unabhängige Produktionsformate im US-Kino: Quentin Tarantino.
       
       Betritt man an einem Montagnachmittag das IFC-Programmkino im Greenwich
       Village, so stehen die Chancen gut, einen der fünf Kinosäle ganz für sich
       alleine zu haben. An diesem regnerischen Nachmittag sind es immerhin noch
       zwei weitere Besucher, die sich gemeinsam mit mir Frederick Wisemans
       wundervoll choreografiertes Boxballett "Boxing Gym" anschauen.
       
       An Abenden ist das Kino, das vor fünf Jahren im ehemaligen Waverly Theater
       eröffnet hat, zum Glück meist deutlich besser besucht. Und da das IFC zudem
       ein gut funktionierendes Merchandising mit sogenannten Cinemetal-Shirts
       betreibt, muss man sich um seine Zukunft wohl keine Sorgen machen. Zum
       Glück, denn es ist eines der wenigen New Yorker Programmkinos, das noch
       regelmäßig Platz für kleinere US-amerikanische Produktionen hat. Etwa für
       Lena Dunhams Spielfilm "Tiny Furniture" oder die William
       Burroughs-Dokumentation "A man within".
       
       Konkurrenz durch 3-D 
       
       Emily Russo, Mitgründerin des New Yorker Independent-Verleihs "Zeitgeist
       Films", bringt das Dilemma des jungen amerikanischen Independent-Kinos
       ziemlich genau auf den Punkt, wenn sie sagt, dass es zwar aufgrund von
       Internet und Video on Demand "immer mehr Wege der Filmdistribution" gebe,
       diese Wege jedoch "nicht notwendigerweise mehr auf eine Kinoauswertung
       hinauslaufen" müssten. Zudem, so Russo, sei es schwieriger geworden, einen
       Film, der es einmal in die Arthouse-Rotation geschafft hat, auch über einen
       längeren Zeitraum spielen zu lassen.
       
       Dass der Kinomarkt für kleinere, überwiegend außerhalb des Studiosystems
       produzierte Filme immer weiter schrumpft, hängt auch damit zusammen, dass
       die unter Umsatzeinbrüchen leidende Filmindustrie händeringend darum bemüht
       ist, das 3-D-Kino flächendeckend zu etablieren. Denn das verspricht
       Mehreinnahmen an den Kinokassen, da für 3-D-Filme höhere Eintrittspreise
       verlangt werden können.
       
       Momentan laufen unter anderem "Piranha 3D", "Legend of the Guardians",
       "Alpha and Omega", "Resident Evil: Afterlife 3D", "Saw 3D" und "Jackass 3D"
       in den US-amerikanischen Kinos. Dadurch bleibt weniger Platz für
       klassisches Hollywood-Kino in 2-D und noch weniger für
       Independent-Produktionen.
       
       Für den aus Boston stammenden Low-Budget-Filmer Andrew Bujalski sind
       unabhängiges Filmemachen und der Wunsch, mit diesem Filmemachen auch Geld
       zu verdienen, gar "zwei vollkommen unterschiedliche Ambitionen". "Wie
       Kakerlaken", so Bujalski, müssten Independentfilmer heutzutage sein - und
       Kakerlaken sind bekanntlich jene Lebewesen, die auch einen Atomschlag
       mühelos wegstecken würden.
       
       Die Zeiten jedenfalls, in denen man darauf hoffen könne, "einen
       Millionen-Dollar-Deal in Sundance" zu landen, seien "vermutlich endgültig
       vorbei". Dabei geht es Bujalski noch vergleichsweise gut, sein dritter
       Langfilm "Beeswax" wurde im vergangenen Jahr von einem kleinen
       Independent-Verleiher in die amerikanischen Kinos gebracht.
       
       Das schleichende Verschwinden des amerikanischen Independent-Kinos wird
       dadurch noch beschleunigt, dass inzwischen so gut wie alle großen Studios
       ihre Arthouse-Labels eingestampft oder aber der Bedeutungslosigkeit anheim
       fallen lassen haben, während sich die kleineren, wirklich unabhängigen
       Independent-Verleiher um einen Marktanteil von weniger als zehn Prozent
       prügeln.
       
       Am tragischsten ist sicherlich der Niedergang des letzten wichtigen
       Independent-Verleihs Miramax, der 1993 von Disney gekauft wurde und im
       Verlauf des folgenden Jahrzehnts immer mehr den Mut zum Außergewöhnlichen
       verloren hat. Die Weinstein-Brüder, jene cholerischen Miramax-Kolosse,
       waren es, die 1989 Steven Soderbergs "Sex, Lies and Videotape" in die Kinos
       brachten und dadurch einen Run auf junge, talentierte Autorenfilmer
       auslösten. Inzwischen produzieren sie mit ihrer neuen Firma "The Weinstein
       Company" überwiegend massenkompatible Durchschnittsware.
       
       Ein weiteres Problem für Independent-Filmemacher stellt sicherlich die
       Tatsache dar, dass die Situation für Autorenfilmer - und Independentkino
       ist eben zumeist Autorenkino - generell schwieriger geworden ist. Zu viele
       Box-Office-Flops in den letzten Jahren haben dazu beigetragen, dass es
       mittlerweile selbst Ikonen des Autorenkinos wie Woody Allen oder Robert
       Redford schwerfällt, ihre Filme in ihrer Heimat in die Kinos zu bringen.
       
       Einzig Quentin Tarantino ist im Moment in der Lage, seine Stoffe nahezu
       unabhängig von Plot und mitwirkenden Stars zu vermarkten. Außerdem haben
       Franchise-Movies wie "Harry Potter" oder "Spiderman" sowie die
       Arbeitsmechanismen der Hochglanz-Fernsehserien - deren Episoden zwar von
       unterschiedlichen Regisseuren inszeniert werden, deren Look jedoch stets
       derselbe ist - offenbart, dass Regisseure heutzutage oft kaum mehr sein
       müssen als kleine Rädchen in einem hochkomplexen Produktionsgetriebe.
       
       Hoffnungsvolle Signale 
       
       Und so ist es sicherlich mehr als reiner Zufall, dass gleich drei der
       wenigen jenseits der großen Studios produzierten Releases dieses
       Kinoherbstes bekannte Schauspieler zum Regisseur haben: "Im still here",
       Casey Afflecks pseudodokumentarischer Hoax über den Absturz von Joaquín
       Phoenix, Michael Imperiolis "The Hungry Ghosts" und Philip Seymour Hoffmans
       Theateradaption "Jack Goes Boating", die mit je zwei Kopien in New York und
       Los Angeles angelaufen ist.
       
       Andere Produktionen stammen von Selbst- und Quervermarktungsgenies des
       Genrekinos wie dem Mexikaner Robert Rodriguez, dessen leicht anämische
       Splatterorgie "Machete" derzeit erfolgreich in den Kinos läuft. Rodriguez
       hatte den von Danny Trejo verkörperten Killer Machete für einen gefaketen
       Trailer erfunden, der im Rahmen von Tarantinos Grindhouse-Beitrag "Death
       Proof" ausgestrahlt wurde.
       
       Natürlich gibt es sie noch, jene Tendenzen, die einen auch für die Zukunft
       des amerikanischen Independent-Kinos hoffnungsfroh stimmen. Etwa eine neue
       Generation von erschwinglichen digitalen Fotokameras mit Filmfunktion, die
       es Independentfilmern ermöglichen, Bilder aufzunehmen, die schon sehr nah
       an den 35-mm-Kinolook herankommen. Oder das für den Dokumentarfilm
       "Freakonomics" entwickelte Geschäftsmodell, die Verwertungskette eines
       Films einfach umzudrehen, und ihn zunächst auf iTunes und im Pay-TV zu
       zeigen und ihn dadurch für eine Kino-Distribution interessant zu machen.
       Oder jene unter dem etwas unglücklichen Begriff "Mumblecore" subsumierten
       Filme von Regisseuren wie Bujalski oder Aaron Katz.
       
       Und natürlich gibt es sie noch: großartige Independentfilme wie Debra
       Graniks "Winters Bone", der seit Monaten erfolgreich in den amerikanischen
       Programmkinos läuft.
       
       24 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Resch
       
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