# taz.de -- Klimawissenschaftler wehren sich: Schwur gegen Verschwörer
       
       > Seit Jahren werden Klimaforscher mit absurden Behauptungen diskreditiert
       > – oft ist dabei Politik im Spiel. Jetzt fangen die Wissenschaftler an,
       > sich zu wehren.
       
 (IMG) Bild: Hinter dieser Himmelsfassade in Peking steckt ein ganz normales Kraftwerk. Hinter Berichten über Klimawandellügen steckt oft Blödsinn.
       
       Vier Wochen vor dem Klimagipfel von Kopenhagen schlug die Nachricht im
       November 2009 ein wie eine Bombe: Interne E-Mails führender
       Klimawissenschaftler zeigten angeblich, wie diese ihre Daten manipulierten,
       Informationen verweigerten und missliebige Kritiker mundtot machten.
       Schnell entstand der Name "Climategate", ein angeblicher Beweis, dass übel
       gesinnte Wissenschaftler mit schlechten Daten unnötigen Klimaschutz
       durchboxen wollten. Dann musste auch noch der UN-Klimarat IPCC einen
       peinlichen Zahlendreher in seinem 4. Klimabericht einräumen, der das
       Abschmelzen der Himalajagletscher bis 2035 statt korrekt bis 2350
       voraussagte.
       
       Ende 2009 war die Klimakonferenz in Kopenhagen gescheitert und der gute Ruf
       der Klimawissenschaften ruiniert. Ein Jahr später, vor dem wichtigen Gipfel
       im mexikanischen Cancún, sind die Anschuldigungen aus "Climategate"
       vollständig widerlegt. Daten sind nicht manipuliert worden, die
       Forschungsergebnisse nicht zu beanstanden, haben voneinander unabhängige
       Studien des britischen Parlaments, der University of East Anglia, der Penn
       State University und die internationalen Dachorganisation der
       Wissenschaftsakademien herausgefunden. Diese Freisprüche waren den Medien
       höchstens Randnotizen wert. Nach dem Kalkül der Klimaskeptiker: Ein Skandal
       wird entdeckt und mit viel medialem Theaterdonner verkündet, der politische
       Schaden ist erreicht.
       
       Doch jetzt wehren sich die Wissenschaftler. Sie wollen sich nicht mehr von
       einer Allianz aus Journalisten, selbst ernannten Experten und abweichenden
       Meinungsführern als Verschwörer und Versager beschimpfen lassen. So
       meldeten sich Ende Oktober 700 Klimaexperten auf den Aufruf der "American
       Geophysical Union", für Experteninterviews mit Medien zur Verfügung zu
       stehen. An der St.-Thomas-Universität im US-Staat Minnesota wird eine Art
       schnelle Eingreiftruppe von Wissenschaftlern geplant, die extra in
       klimaskeptischen Sendungen und konservativen Shows auftreten sollen. Die
       Blogosphäre war bisher beherrscht von den teilweise absurden Behauptungen
       der Skeptiker. Hier haben unter anderem der WWF zusammen mit der
       UN-Foundation das "Project on Climate Science" gestartet: Die Website
       listet seriöse wissenschaftliche Papiere und Kontakte auf, die
       Klimaschützer nehmen selbst Kontakt mit Journalisten auf.
       
       Im Frühjahr sprachen 225 US-Wissenschaftler, unter ihnen elf
       Nobelpreisträger, in der Zeitschrift Science von einer "McCarthy-artigen
       Verfolgung unserer Kollegen, basierend auf Unterstellungen und unsinnigen
       Verallgemeinerungen, der Belästigung durch Politiker, die ablenken wollen,
       um vom Handeln abzuhalten, und der unverblümten Lügen, die über
       Wissenschaftler verbreitet werden".
       
       In Deutschland wandten sich Wissenschaftler um den Chef des
       "Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung", Hans Joachim Schellnhuber,
       gegen "haltlose und verlogene Angriffe auf den Klimaschutz". Explizit
       nannten sie den Artikel "Die Wolkenschieber", im März dieses Jahres im
       Spiegel erschienen. Der Text habe "kompletten Unfug" enthalten und "einen
       der staubigsten Ladenhüter im Diskreditierungsgeschäft hervorgekramt". In
       Frankreich forderten im April über 400 Klimaexperten von der
       Wissenschaftsministerin ein Machtwort gegen "Anschuldigungen und Lügen",
       mit denen ihre Arbeit in der letzten Zeit überzogen worden sei.
       
       "Die Wissenschaftler haben gemerkt, dass das keine rein wissenschaftliche
       Debatte ist", sagt Bob Ward von der London School of Economics, "sondern
       dass hier auch viel Politik im Spiel ist." Ward forderte bereits 2006 für
       die altehrwürdige britische Royal Society den Ölmulti Exxon auf, die
       Finanzierung von Klimaskeptikern einzustellen. Denn die führen seit den
       achtziger Jahren eine Rufmordkampagne, zu der sich mächtige wirtschaftliche
       und politische Interessen, journalistische Fehlleistungen und drittklassige
       Wissenschaft verbündet haben. Bereits 2007 wies die US-Organisation "Union
       of Concerned Scientists" in einem umfangreichen Report anhand interner
       Dokumente und Mails nach, dass die Skeptiker in den USA einer konzertierten
       Strategie der weltgrößten Ölfirma ExxonMobil und konservativen Thinktanks
       folgten, in Verbund mit der Bush-Regierung.
       
       Wie wenig Skrupel manche kennen, demonstriert auch der ehemalige
       französische Forschungsministers und Skeptiker-Guru Claude Allègre. Sein
       neues Buch enthält eine lange Liste von Rechenfehlern, falschen Bezügen und
       schlichtem Nonsens. Das Schmähwerk gehörte 2010 zu den Bestsellern in
       Frankreich.
       
       Das neueste Buch der Historikerin und Expertin für die Skeptikerszene,
       Naomi Oreskes von der University of San Diego, bestätigt: Nach dem Vorbild
       der Tabakindustrie wurden unerwünschte Forschungsergebnisse und kritische
       Wissenschaftler systematisch bekämpft. Eine "Klimaverschwörung", wie es vor
       allem Republikaner in den USA den Wissenschaftlern und dem IPCC vorhalten,
       gibt es tatsächlich - aber aufseiten der Skeptiker. "Man hat den Eindruck,
       dass es da eine Menge psychologische Projektion gibt", sagt Naomi Oreskes,
       "denn vieles, was die Skeptiker den Wissenschaftler vorwerfen, praktizieren
       sie selbst."
       
       Schon der Ort der Auseinandersetzung ist ein Pluspunkt für die Skeptiker.
       Sie bringen ihre Thesen nicht in der wissenschaftlichen Literatur mit ihren
       strengen Prüfkriterien unter, sondern in den Medien. Die spielen in der
       Debatte oft eine unrühmliche Rolle. Es fehlt an Zeit und Sachverstand,
       viele Wissenschaftsredaktionen wurden ausgedünnt oder abgeschafft. Vor
       allem in den USA, so zeigen Studien, ist der Eindruck erweckt worden, es
       gebe keinen Konsens unter den Wissenschaftlern zum Klimawandel. In
       Wirklichkeit gab und gibt es eine fast völlige Übereinstimmung über die
       Erderwärmung, diskutiert wird nur noch das Ausmaß.
       
       26 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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