# taz.de -- Kolumne Geräusche: Eine Anekdote über Motörhead
       
       > Wie ich einmal Lemmy Kilmister nicht näher kam, als mir lieb sein konnte
       > - sondern gerade noch nah genug.
       
 (IMG) Bild: Unverwechselbar: Lemmy Kilmister.
       
       In der vergangenen Woche habe ich umständehalber und zum vielleicht ersten
       Mal in meinem Leben ein Konzert von Motörhead verpasst. Wobei "verpasst" es
       nicht wirklich trifft, ich habe die Sause saumseligerweise sausen lassen.
       Jaja, die wilden Jahre, vorbei und verweht.
       
       Aber Konzerte von Motörhead sind wie Platten von Motörhead sind wie die
       U-Bahn - verpasst man eine, nimmt man eben die nächste. Weshalb womöglich
       jetzt geboten ist, endlich die Geschichte von meiner Begegnung mit Lemmy
       Kilmister zu erzählen, bevor sie noch aufhört, wahr zu sein. In den wilden
       Neunzigern war's, als ich das Faktotum in einem Münchner Hotel interviewen
       durfte. Es ist immer riskant, einem Idol zu begegnen - es könnte sich in
       einen Menschen verwandeln.
       
       Das Urviech, offenbar verkatert, trug knarzendes Leder, brummte
       Unverständliches, hing am Flachmann und warf irgendwann zwar nicht den
       Aschenbecher durch die Fensterscheibe, aber doch die Asche aus dem
       geöffneten Fenster, wo sie grau in den Hof schneite, das volle
       Rocker-im-Hotel-Programm© eben - bis der Künstler, nachdem das Tonband
       gestoppt war, plötzlich abgespannt fragte, ob ich denn nicht jemanden
       kenne, der wisse, wo es denn in dieser "gottverdammten Stadt" etwas zu
       Rauchen gibt. Wusste ich. "Okay", brummte der Warzengott und legte mir
       lakonisch seinen Plan dar: "You pay the drugs, I pay the drinks."
       
       Drei Stunden später kehrte ich, alles andere als drogenfrei, ins Hotel
       zurück und verfügte mich direkt aufs Zimmer. Im Fahrstuhl dachte ich noch,
       dass ich dem klassischen Lebensgefühl eines Groupies nie näher kommen würde
       als jetzt. Tatsächlich erwartete mich Lemmy im Trainingsanzug. Die Kutte
       hatte er, wie der Versicherungsvertreter seinen Anzug, fein säuberlich
       gefaltet aufs Bett gelegt. Im Fernsehen spielte Deutschland gegen England.
       
       Wir rauchten einen Joint nach dem anderen, und Lemmy bestellte beim
       Zimmerservice einen Cocktail nach dem anderen. Immer wenn es klopfte, legte
       Lemmy, rührend besorgt, eine Illustrierte auf die Baustelle, und die Frau
       vom Zimmerservice ignorierte dafür im Gegenzug den dichter werdenden
       Duftnebel. So kamen wir rasch ins Plaudern.
       
       Nachdem wir den Zweiten Weltkrieg und die Überdehnung der Ostfront
       abgehandelt hatten, kamen wir auf Kokain zu sprechen. In seiner Garderobe
       würde er immer mal wieder Baustaub oder zerstoßenes Bullrichsalz liegen
       lassen, kicherte Lemmy, aus Jux und Gründen der Denkmalpflege. Auch sei es
       "fun", bisweilen ein psychedelisches Pink-Floyd-Riff einzustreuen und zu
       schauen, ob die Fans das Sakrileg auch bemerken.
       
       Je später der Abend, desto onkeliger Lemmy. Ein alter Mann in der Fremde,
       vom Heimweh angefasst. So komplimentierte er mich endlich hinaus, weil er
       noch auf den Anruf seiner Freundin aus L. A. wartete, was ich so süß fand
       wie das Plektron, das er mir zum Abschied schenkte. Noch heute ärgere ich
       mich, keinen Gipsabdruck von seinem Gemächt gemacht zu haben.
       
       Text: "Dreh das Fernsehen ab, Mutter, es zieht" (Georg Kreisler) Musik: Das
       "Bumpf" des Schneeballs an der Scheibe.
       
       10 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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