# taz.de -- Nobelpreis an Liu Xiaobo: Botschaften aus Oslo
       
       > In bewegter Atmosphäre wird der abwesende Liu Xiaobo geehrt. Auch seine
       > Frau darf nicht teilnehmen. Die Preisrede des Nobelkomitees übt deutliche
       > Kritik an China.
       
 (IMG) Bild: Die Nobel-Medaille. Liu Xiaobo konnte sie heute nicht selbst entgegen nehmen.
       
       Die Friedensnobelpreisurkunde steht auf dem leeren Ehrenstuhl. In diesem
       schlichten, schnörkellosen Bild ruht die ganze Botschaft dieses Osloer
       Tages. Thorbjørn Jagland, Vorsitzender des Nobelpreiskomitees, sagt dann,
       dass keines der Jurymitglieder Liu je getroffen habe. "Aber wir haben das
       Gefühl, ihn gut kennengelernt zu haben, wir haben ihn lange studiert."
       
       Liu habe durch seine Frau ausrichten lassen, dass er den Preis gern den
       "verlorenen Seelen der 4.-Juni-Bewegung auf dem Tiananmen-Platz 1989"
       widmen möchte. Das Nobelkomitee komme diesem Wunsch mit Freude nach. Nicht
       eingeschüchtert durch den beispiellosen Druck, den die Pekinger Machthaber
       seit der Nominierung Lius auf viele Regierungen ausübten, bettete es die
       Preisverleihung in eine Rede, die an politischer Deutlichkeit nichts zu
       wünschen übrig ließ.
       
       "Liu hat nur seine Bürgerrechte ausgeübt. Er hat nichts Falsches getan", so
       der Komiteevorsitzende Jagland. "Er muss freigelassen werden." Das Komitee
       unterstütze mit Lius Wahl einen, der sich für die Rechte "von uns allen"
       einsetze. Denn eine aufsteigende Nation, die sehr mächtig zu werden
       verspricht, benötige die innere Kontrolle durch ihre Bürger. Wenn die Macht
       unkontrollierbar werde, so der Juror des Nobelpreiskomitees, passierten
       schreckliche Dinge; das habe die Menschheitsgeschichte hinlänglich
       bewiesen.
       
       Das Preisgeld in Höhe von 10 Millionen schwedischen Kronen (rund 1,1
       Millionen Euro) soll einstweilen in Oslo aufbewahrt werden, bis Liu es
       persönlich entgegennehmen kann. Der Schriftsteller wurde 2009 in China
       wegen Untergrabung der Staatsgewalt zu elf Jahren Gefängnis verurteilt.
       
       Gegen den Festsaal der Osloer Zeremonie hätte die chinesische Regierung
       vermutlich kaum ästhetische Einwände gehabt. In der marmornen Großen Halle
       prangen große Wandmalereien. Die bunten Szenen zeigen Bauern, Handwerker
       und Beamte bei ihrer Arbeit. Der humanistisch gesinnte norwegische Maler
       Henrik Sørensen entlehnte in den späten 30er Jahren seine Figuren durchaus
       dem sozialistischen Realismus. Ganz so, wie die chinesischen Machthaber
       Kunst noch heute gern definieren. Doch der leere Stuhl erinnerte daran,
       dass diese Pekinger Machthaber keineswegs nach Gemeinsamkeiten und
       Anknüpfungspunkten suchten.
       
       Der im Vorfeld erhobene Vorwurf der chinesischen Regierung, die
       Auszeichnung für Liu Xiaobo sei eine antichinesische Attacke, zeige, wie
       wenig die politischen Machthaber ihre eigenen geistesgeschichtlichen
       Traditionen kennen, betonte bei einer Veranstaltung von Amnesty
       International in Oslo der Präsident des Internationalen PEN, John Ralston
       Saul. Er wies darauf hin, dass es in der chinesischen Literatur genügend
       Quellen gebe, aus denen Liu Inspiration beziehen konnte. Da ist der große
       chinesische Schriftsteller Lu Xun, oder der Sozialkritiker Lao She. Beide
       thematisierten zum Beispiel in ihren Werken die Verantwortung einer
       Gesellschaft für Gerechtigkeit und für den Respekt vor dem Individuum. Von
       daher sei es absurd und falsch, die Forderung nach Achtung der
       Menschenrechte als ein ausschließlich westliches Anliegen darzustellen,
       sagte Saul.
       
       Er und andere, die Liu Xiaobo und seine Frau Liu Xia persönlich
       kennengelernt haben, berichteten davon, wie intensiv sich Liu, der
       Literaturprofessor, schon seit Jahren auf sein schwieriges Leben
       vorbereitet habe. Das Paar sei sich immer völlig im Klaren darüber gewesen,
       dass beide mit ihren Forderungen bei der Regierung anecken würden. Liu Xia,
       die einsame Gefährtin, steht seit der Osloer Nominierung Lius vom 8.
       Oktober unter Hausarrest in ihrer Pekinger Wohnung.
       
       Liu Xiaobo fehlt, und das nicht nur an diesem Tag. Die melancholische
       Atmosphäre, die Edvard Griegs Musik zur Eröffnung der Feierlichkeit im
       Osloer Rathaus erzeugte, lässt nachempfinden, wie dieser Mann wirken
       könnte, wäre er frei. Manche im Publikum sind tief bewegt. Auch die
       Moderatorin Anne Hathaway, die grazile US-Schauspielerin, zeigt sich
       gerührt, als die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann aus Lius eigenen
       Texten liest.
       
       "Ich hoffe, dass ich das letzte Opfer der chinesischen Unterdrückung sein
       werde", schrieb Liu. Und an seine Frau: "Meine Liebste, ich weiß, deine
       Liebe wird nicht schwinden in all den Jahren, du bist meine Kraft."
       
       10 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adrienne Woltersdorf
       
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