# taz.de -- Humboldt-Universität: Es war einmal eine überfüllte Bibliothek
       
       > Seit der Eröffnung ist das Grimm-Zentrum überlaufen. In der
       > Zentralbibliothek der Humboldt-Universität gibt es darum nun VIP-Plätze
       > für eigene Studenten und Parkuhren für die Pausen.
       
 (IMG) Bild: Lesesaal der Grimm-Bibliothek an der Humboldt-Uni
       
       Wer im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in den Arbeits- und Ausleihbereich
       vordringen will, muss vorher hinab zu den Schließfächern, um Jacken und
       Gepäck zu verstauen - und sollte nicht klaustrophobisch veranlagt sein. Auf
       der engen, sich mehrmals windenden Treppe passen gerade zwei Menschen
       nebeneinander, die nur mit artistischen Ausweichmanövern aneinander
       vorbeikommen.
       
       Eng geht es auch unten zu, zwischen Schließfächern, jeder Menge hektischer
       Menschen, auf dem Boden abgelegten Laptoptaschen und Bücherstapeln. "Hier
       noch ein freies Schließfach zu ergattern, ist oft nicht leicht", sagt
       Sascha Müller*, der für sein Volkswirtschaftsstudium lernt.
       
       Im Herbst vorigen Jahres hat die Humboldt-Universität (HU) ihre eigene
       Hauptbibliothek sowie 12 Teilbibliotheken von ihren jeweiligen Standorten
       in dem für 75,5 Millionen Euro erbauten Zentrum zusammengeführt. Von Beginn
       an gab es Klagen - vor allem wegen zu wenig Arbeitsplätzen.
       
       Theresa Walther, 21 Jahre alt und Studierende der Politik- und
       Verwaltungswissenschaften in Potsdam, beugt sich in der Cafeteria über eine
       Tasse Kaffee. "Man legt mehrere Zweigbibliotheken zusammen, baut ein Haus
       an einem der zentralsten Orte dieser Stadt und wundert sich dann, dass so
       großer Andrang herrscht", schüttelt sie den Kopf. Um Walther herum sind
       nahezu alle Plätze besetzt, auch im Foyer herrscht ein reges Treiben:
       Unzählige mit Büchern und Unterlagen beladene Menschen bahnen sich ihre
       Wege aneinander vorbei in Richtung Garderobe, Lesesaal oder
       Informationsschalter.
       
       Dort fertigt eine Mitarbeiterin flink und mit freundlichem Lächeln nach und
       nach die sich aufstauende Schlange ab, gegenüber ist kaum eins der zwei
       Dutzend Stehpulte mit Computern für Literaturrecherchen mehr frei. Hinter
       Walthers Rücken, durch die Fensterfront am Rande der Cafeteria kann man dem
       Treiben auf der benachbarten Baustelle zusehen. Dort entsteht ein Hotel.
       
       "Wir wurden gefragt, ob das unser Anbau wäre", sagt Bibliothekssprecherin
       Regina Pfeifenberger und lacht. Die studierte Ethnologin sitzt in ihrem
       Büro im neunten Stock und versichert, man habe vor der Eröffnung mit sehr
       großem Andrang gerechnet. "Wenngleich sicher nicht mit mehr als 6.000
       Leuten am Tag." Durchschnittlich 6.677 BesucherInnen pro Tag zählte die
       Bibliothek im bisherigen Rekordmonat Juli - zur heißen Phase der Prüfungen.
       Innerhalb des ersten Jahres fanden anderthalb Millionen Menschen den Weg
       ins Grimm-Zentrum. "Damit dürften wir in Deutschland die am meisten
       frequentierte Bibliothek sein", so Pfeifenberger.
       
       Mit seiner zentralen Lage, dem 2,5 Millionen Bücher umfassenden Bestand und
       den langen Öffnungszeiten - werktags von 8 bis 24 Uhr, am Wochenende
       zwischen 10 und 18 Uhr - ist der sandsteinfarbene Marmorbau rasch zu einem
       wahren Magneten für LeserInnen geworden. Unterdimensioniert sei die Planung
       keinesfalls gewesen, versichert die Sprecherin. "Es gibt in Deutschland nun
       mal einen Richtwert für den Bau von Universitätsbibliotheken, und der wird
       anhand der Anzahl der Studierenden errechnet, die eine Uni hat." Mit den
       nun zur Verfügung stehenden 1.250 Arbeitsplätzen habe man die Vorgaben so
       weit wie möglich ausgereizt.
       
       Allein mit der Realität haben diese Vorgaben nicht viel zu tun. Die Hälfte
       der NutzerInnen des Grimm-Zentrums kommt von anderen Universitäten, haben
       die Verantwortlichen per Umfrage ermittelt. Eine davon ist Theresa Walther:
       "Zu meiner Potsdamer Bibliothek fahre ich von zuhause aus eine
       Dreiviertelstunde, hierher nicht einmal 15 Minuten. Und im Gegensatz zu
       Potsdam habe ich hier bisher jedes Buch problemlos bekommen." Zudem
       ermögliche ihr der Eltern-Kind-Raum des Grimm-Zentrums - deutschlandweit
       ein Novum - ihre zweijährige Tochter zu Literaturrecherchen mitzunehmen.
       
       Auch Axel Weipert gehört nicht zur HU - nicht mehr. Der 30-Jährige hat sein
       Geschichts-, Politik- und Philosophiestudium im Sommer abgeschlossen und
       dissertiert jetzt an der Freien Universität (FU). Trotzdem steht er vor der
       neuen Bibliothek und frönt rauchend einer Lernpause. "All meine
       Fachbereiche sind jetzt hier an einem Ort, die nötigen Bücher gleich zur
       Hand. Ich kann nicht klagen", freut er sich. Und der Weg von zuhause
       hierher sei auch kürzer als zur FU.
       
       Das Lachen könnte ihm bald vergehen: Künftig kann Externen der Zugang zu
       den Arbeitsplätzen limitiert werden. Auf bestimmten Stockwerken sollen die
       entlang der Fensterfronten Arbeitenden ihre HU-Ausweise sichtbar neben sich
       legen. Bei hoher Auslastung kontrolliert eine Mitarbeiterin, ob Auswärtige
       verbotenerweise Plätze in der "HU-Homezone" belegen.
       
       Dieser Tage, wenn nur rund 2.000 Menschen täglich den Zugang zum
       Arbeitsbereich passieren, ruht die Reservierungsregelung - es gibt
       ausreichend freie Plätze. "Verwiesen wurde ich zwar noch nie", sagt der
       FU-Angehörige Weipert. "Aber ich finde das albern: Die Bibliothek sollte
       für alle da sein, ohne irgendwelche Restriktionen." HU-Student Müller sieht
       das naturgemäß anders: "Klar ist es gut, sich eines Platzes in der eigenen
       Bib relativ sicher sein zu können."
       
       Dass er nach einem solchen inzwischen nicht mehr lange suchen muss, führt
       er jedoch auf eine andere Neuerung zurück: "Ich glaube, mit dem
       Pausenuhrsystem hat sich die Lage entspannt." Die einer Auto-Parkscheibe
       nachempfundene rote Pausenuhr aus Pappe muss nun jeder mit eingestellter
       Uhrzeit auf seinen Tisch legen, wenn er sein Schaffen unterbricht. Ist er
       nach einer Stunde nicht zurück, dürfen andere die Bücher vom Tisch räumen
       und sich selbst setzen. Dem Liegestuhl-Handtuch-Syndrom - Studierende
       besetzen frühmorgens Plätze mit Büchern und gehen dann in die Vorlesung -
       habe man damit Einhalt geboten, meint Pfeifenberger.
       
       Vielleicht kann VWL-Student Müller bald auch seine Jacke problemlos
       wegsperren. Die Leitung des Grimm-Zentrums hat sich nun auch der
       frustrierenden Garderobensituation angenommen: 225 neue Schließfächer
       werden eingerichtet. Ob das reicht, wird sich Ende Januar zeigen. Dann
       steht die nächste Prüfungsphase an.
       
       * Name geändert
       
       13 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Puschner
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA