# taz.de -- Politologe über Italiens Linksopposition: "Die Gefahr der Auflösung ist real"
       
       > Die große, linke Oppositionspartei PD kann den sozialen Bewegungen
       > Italiens keinen Anknüpfungspunkt bieten, kritisiert der Politologe Piero
       > Ignazi.
       
 (IMG) Bild: Trotz Teilnahme an Anti-Berlusconi-Demos: "Wir erleben da eine Partei in tiefer Krise, die durch ihre inneren Gegensätze blockiert wird."
       
       taz: Herr Ignazi, die letzte Regierungskrise, die am Dienstag mit dem
       Vertrauensvotum für Silvio Berlusconi endete, war im Kern ein politischer
       Zusammenstoß innerhalb der Rechten, zwischen Berlusconi und seinem früheren
       Partner Gianfranco Fini. Welche Rolle spielte eigentlich die große linke
       Oppositionskraft, die Demokratische Partei (PD)? 
       
       Piero Ignazi: Gar keine. Die PD glänzte durch Abwesenheit, sie hatte keine
       Vorschläge, die die politische Auseinandersetzung hätten beeinflussen
       können. Wir erleben da eine Partei in tiefer Krise, die durch ihre inneren
       Gegensätze blockiert wird.
       
       So geht es ja den meisten Parteien der gemäßigten Linken in Europa. Überall
       sind die sozialdemokratischen Kräfte in der Krise. Italien wäre da keine
       Ausnahme - oder? 
       
       Doch, Italien stellt durchaus einen Sonderfall dar. Immerhin hatte die PD
       bei ihrer Gründung 2007 - als die Fusion zwischen den Linksdemokraten und
       der Mittepartei "Margherita" erfolgte - ja für sich reklamiert, über
       sozialdemokratische Horizonte hinausgegangen zu sein, etwa mit dem Pakt
       zwischen sozialdemokratischem und linkskatholischem Reformismus. Das kam
       sehr ambitiös daher, da wurde der Anspruch geäußert, die PD könnte auch
       über Italien hinaus ein Modell für die Linke des 21. Jahrhunderts sein.
       Dieser Anspruch darf als gescheitert gelten, weil jede programmatische
       Unterfütterung ausblieb.
       
       Eigentlich stand die PD vor zwei Jahren doch gar nicht so schlecht da. Zwar
       hatte Berlusconi die Wahlen gewonnen, aber die PD hatte 33 Prozent erzielt.
       Mehr noch: Die radikale Linke war aus dem Parlament verschwunden - und die
       PD konnte so zur großen Linkspartei aufsteigen. Warum hat das nicht
       geklappt? 
       
       Die parteiinternen Feinde des damaligen Vorsitzenden Walter Veltroni gingen
       sofort nach den Wahlen hin und erklärten unermüdlich, die Partei habe eine
       furchtbare Niederlage erlitten, und das, obwohl sie mit 33 Prozent das
       beste Resultat erreicht hatte, das einer gemäßigt linken Partei in Italien
       je gelang. Von da an hat sich die Partei nur noch mit ihren inneren
       Konflikten beschäftigt, bis Veltroni zurücktrat. Jetzt ist Pier Luigi
       Bersani Vorsitzender, aber weiterhin verharrt die Partei in ihrer tiefen
       Depression.
       
       Neben und außerhalb der PD ist ja einiges in Bewegung: Zum Beispiel das
       "MoVimento 5 Stelle" des Komikers Beppe Grillo, zum Beispiel das Popolo
       Viola, die "lila Leute", die vor einem Jahr aus dem Stand hunderttausende
       Menschen gegen Berlusconi auf die Straße brachten, zum Beispiel jetzt die
       mächtige Protestbewegung an den Unis. Warum gelingt es der PD nicht, aus
       diesem Bewegungen neue Kraft zu saugen? 
       
       Man muss den Befund der Depression ernst nehmen, gleichsam als
       psycho-politischen Befund. Die Depression hindert die Partei an jeglicher
       Initiative. Einem unter Depression Leidenden fällt es ja schon schwer, auch
       nur einen Arm zu heben. Die Partei ist nicht in der Lage, den genannten
       Bewegungen irgendeinen Anknüpfungspunkt zu bieten. Schlimmer noch: Wenn sie
       es täte, brächen sofort heftige interne Konflikte über die richtige Haltung
       zu diesen Bewegungen auf. Am Ende behandelt die Partei dann jede außerhalb
       ihrer Reihen stehende Opposition zu Berlusconi ausschließlich als
       Konkurrenz.
       
       In den letzten Wochen machte die parteiinterne Bewegung der "Verschrotter"
       um den 35-jährigen Bürgermeister von Florenz Matteo Renzi viel von sich
       reden. Renzi fordert einen radikalen Generationenwechsel und damit die
       "Verschrottung" der bisherigen Führungsgarde. Eine Perspektive für die
       Partei? 
       
       Die Partei bräuchte dringend eine radikale Erneuerung, so gesehen hat Renzi
       völlig recht. Zugleich ist unübersehbar, dass bei ihm Narzissmus und
       persönliche Ambitionen eine große Rolle spielen. Für sich genommen wäre
       auch dies noch politische Normalität. Und der Partei kann der von Renzis
       Bewegung ausgehende Enthusiasmus nur gut bekommen. Auf der Versammlung in
       Florenz vor einigen Wochen waren tausende Teilnehmer, da atmete man echte
       Aufbruchstimmung. Aber inhaltlich hat Renzi bisher keinerlei überzeugende
       Vorschläge.
       
       Ihr Befund klingt so, als gebe es ernste Gründe zur Besorgnis. Wird es in
       drei oder fünf Jahren die PD überhaupt noch geben? 
       
       Die Sorge um das Überleben der Partei ist durchaus real. Gut möglich, dass
       die PD implodiert, dass sie zerbricht. Und danach? Denkbar ist, dass die
       Partei der Linksdemokraten wiederbelebt wird. Aber ganz gewiss riskiert die
       Linke dann, im italienischen Parteiengefüge immer marginaler zu werden.
       
       19 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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