# taz.de -- Neue Strategie der SPD: Auf der Suche nach sich selbst
       
       > 2010 war ein hartes Jahr für die SPD, bei keinem Thema holte sie Punkte.
       > Für 2011 braucht sie eine neue Strategie. Und Klarheit.
       
 (IMG) Bild: "Wir müssen wichtige Debatten wieder stärker besetzen", so der thüringische Bildungsminister Christoph Matschie.
       
       BERLIN/WITTENBERG taz | Eigentlich hatte bisher alles so gut funktioniert.
       Die beiden SPD-Frauen nehmen sich den Feind, die Bundesregierung, vor die
       Flinte und wettern gegen die bevorstehende Entscheidung über die
       Hartz-IV-Sätze im Bundesrat. "Schwarz-Gelb hat keine Antwort gefunden und
       will keine Antwort finden", poltert die Bundestagsabgeordnete Mechthild
       Rawert und scheint zufrieden über die eigenen Worte. Es ist Mittwochabend
       vergangener Woche, Rawert und Gabriele Hiller-Ohm sprechen vor der
       Arbeiterwohlfahrt in Berlin-Kreuzberg - eigentlich ein Heimspiel.
       
       Doch dann meldet sich die Frau im blauen Pullover in der zweiten Stuhlreihe
       zu Wort. "Von Brot allein kann ich nicht leben", klagt sie die
       Politikerinnen an, "wenn man 6.800 Euro verdient, dann ist man sehr weit
       entfernt von den 680 Euro, die ich habe". Für das Gesetz sei die SPD ganz
       allein verantwortlich, schimpft sie, "das fehlt mir hier". Rawert und
       Hiller-Ohm schauen bedröppelt, die Stimmung ist hin.
       
       Die Szene steht für ein Problem der SPD. Die Bundesregierung musste die
       Hartz-IV-Sätze neu berechnen, gerade 5 Euro will Arbeitsministerin Ursula
       von der Leyen (CDU) den Langzeitarbeitslosen mehr geben. Es geht um soziale
       Gerechtigkeit, das Kerngebiet der SPD. Doch jede Attacke der Partei
       verliert sich im Nichts. Trotz der Korrekturen an Rente und
       Arbeitsmarktreformen klebt die Politik ihrer Regierungszeit an der SPD.
       Zudem besetzt sie im Moment kein Thema so, dass sie in der Gunst der
       Bevölkerung hinzugewinnt.
       
       Am Ende des ersten Jahres nach der schallenden Niederlage bei der
       Bundestagswahl ist die SPD immer noch in der Krise. Es gab ein kurzes Hoch
       im Sommer und die Parteiflügel sind versöhnt. Aber selbst das Symbol für
       den Aufschwung wurde ein Nichtparteimitglied, Bundespräsidentenkandidat
       Joachim Gauck. Seitdem scheint die politische Debatte wie verhext. Erst kam
       der Sarrazin-Streit, dann kamen Sachdiskussionen um Integrationspolitik,
       Stuttgart 21, Afghanistan, Atom. Überall steht die SPD zwischen den Grünen
       und CDU. Sie war nie die klare Alternative. "Wir sind die Partei des
       donnernden Sowohl-als-auch", verteidigt der schleswig-holsteinische
       Landeschef Ralf Stegner die Positionen. Doch als Folge verharrt die Partei
       in den Umfragen um die 27 Prozent, obwohl sich die Unzufriedenheit mit der
       Bundesregierung durch die ganze Bevölkerung zieht.
       
       Es muss eine neue Strategie her für das kommende Jahr, das ist Konsens. Am
       Montag will das Parteipräsidium den Fahrplan dafür abstecken, im Januar
       soll die Klausur des Bundesvorstands Klarheit bringen. Die SPD will wieder
       stärker auf ursozialdemokratische Themen setzen, die sozialen Fragen zur
       Sprache bringen. Geht es nach den Führungskräften in der SPD, muss die
       Partei sich wieder klarer äußern.
       
       "Wir müssen wichtige Debatten wieder stärker besetzen", sagte der
       thüringische Bildungsminister Christoph Matschie der taz, "an manchen
       Stellen muss man Politik auf Ja oder Nein zuspitzen". Zwar ginge dies nicht
       bei komplexen Themen wie dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. "Aber bei
       der Debatte um Stuttgart 21 hätten wir uns klar positionieren können. Ein
       klares Nein wäre in dieser Frage besser gewesen".
       
       Natürlich, so das Präsidiumsmitglied, hätte dies einen Kurswechsel
       bedeutet. Denn die baden-württembergische SPD stand über Jahr und Tag zu
       dem unterirdischen Bahnhofsprojekt. Für Matschie kein Hindernis: "Manchmal
       muss man einen radikalen Kurswechsel wagen."
       
       Mit seiner Kritik steht er nicht allein. In den vergangenen Wochen haben
       sich zunehmend SPD-Politiker unzufrieden mit dem Kurs der Partei gezeigt
       und Veränderungen eingefordert. Nicht ohne Grund: Die SPD steht vor einem
       wegweisenden Jahr. In mindestens sieben Bundesländern wird gewählt,
       Nordrhein-Westfalen mit seiner rot-grünen Minderheitsregierung kann
       jederzeit dazukommen. Für die Sozialdemokraten stehen vor allem
       Verteidigungswahlen an. In Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und
       Mecklenburg-Vorpommern gilt es, den Regierungschef zu behalten. Besonders
       hart wird der Kampf in Sachsen-Anhalt. Am 20. März wird hier gewählt, die
       erste schwierige Wahl des Jahres für die SPD. Gerade jeder fünfte Wähler
       würde die Partei hier wählen, zeigen Umfragen. Mit den zahlreichen
       Nichtwählern ist es gerade jeder zehnte Wahlberechtigte zwischen Magdeburg
       und Halle.
       
       Es ist Donnerstagmittag vergangener Woche, SPD-Spitzenkandidat Jens
       Bullerjahn sitzt im Schlossgebäude in Wittenberg, in dem jetzt eine
       prachtvolle Jugendherberge untergebracht ist. Eine Hausangestellte serviert
       Sahnetörtchen. Bullerjahn spricht mit zwei Journalisten über die anstehende
       Lutherdekade im Bundesland. Er ist Finanzminister des Landes in einer
       großen Koalition. Jetzt kann er verkünden, dass ein Teil der Finanzierung
       für die Lutherdekade gesichert ist.
       
       Bullerjahns Telefon blinkt vor ihm. "Ich will nicht unhöflich sein", sagt
       er, "aber Sachsen-Anhalt wird heute als einziges Bundesland von der
       Ratingagentur Standard and Poors hochgewertet." Da müsse er dann drangehen.
       "Das läuft auch bundesweit."
       
       Er legt das Telefon schnell wieder weg. Es war nicht die Ratingagentur.
       
       Bullerjahn kämpft um Wahrnehmung und Anerkennung für seine Arbeit, aber die
       SPD verharrt in Sachsen-Anhalt in der Beliebtheit abgeschlagen hinter CDU
       und Linkspartei auf Platz drei. Eine Koalition als Juniorpartner der Linken
       hat Bullerjahn ausgeschlossen, ihm bleibt nach heutigem Stand nur eine
       Fortsetzung als Juniorpartner der Union. Daran ist auch der Bundestrend
       schuld: "Die Verunsicherung sitzt tief", sagt Bullerjahn, "aber wir haben
       vor einem Jahr auch eine grandiose Niederlage eingefahren."
       
       In Anbetracht der 23 Prozent bei der Bundestagswahl stehe man doch ganz
       gut, heißt es in der SPD. Zusammen mit der Linken und den Grünen käme das
       linke politische Lager bundesweit auf rund 55 Prozent, "mehr ist nicht
       drin", heißt es im Willy-Brandt-Haus. "Die Zeiten sind nicht schlecht für
       eine Politik links der Mitte", kommentiert auch Hessens SPD-Chef Thorsten
       Schäfer-Gümbel.
       
       Damit auch die SPD wieder von dieser Stimmung profitieren kann, soll das
       kommende Jahr Klarheit in die Themen bringen. "Fortschritt" war der
       Arbeitstitel der Strategie für 2011, den genauen Fahrplan will am Montag
       das Präsidium vorbereiten. Klar ist, dass neben Gesundheit und
       Bildungspolitik das Thema gerechte Steuern wichtig werden soll. Doch auch
       dort hakt es noch in der SPD.
       
       Im Sommer hatte eine Arbeitsgruppe um Fraktionsvize Joachim Poß an einem
       Steuerkonzept gefeilt, irgendwann wurde der neue Spitzensatz von 49 Prozent
       genannt, der erst ab einem höheren Einkommen gelten sollte. Eine Regelung,
       mit der die Sozialdemokraten sich auf einmal Berechnungen gegenübersahen,
       nach denen Gutverdiener mit Einkommen um die 65.000 Euro entlastet würden.
       Tatsächlich wollten einige in der SPD diese "Entlastung für Facharbeiter".
       
       Lange mäanderte das Steuerkonzept durch Arbeitsgruppen und Gremien, bis auf
       dem Bundesparteitag im September in Berlin ein wachsweicher Beschluss
       gefasst wurde: Wie hoch die Mehreinnahmen des Steuerkonzepts sein sollten,
       blieb offen. Eine Festlegung verschob die SPD. "Wir hätten bei dem
       Steuerkonzept schon lange etwas vorlegen müssen", wird auch im Umfeld von
       Parteichef Sigmar Gabriel mittlerweile eingesehen. Gerade, weil sich die
       schwarz-gelbe Regierung hier angreifbar macht. "Es gibt da ein
       Gerechtigkeitsdefizit", sagt der saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas,
       "das muss die SPD zum Thema machen." Dies betreffe auch den Bereich
       Arbeitsmarkt.
       
       Das Problem sei trotzdem grundsätzlich: "Die Grünen betonen Umweltthemen,
       die Linken Sozialthemen", so Maas, "eine der Parteien ist immer linker als
       die SPD."
       
       19 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gordon Repinski
       
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