# taz.de -- Kolumne Ökosex: Ein Herz fürs Solarwunder
       
       > Appell an die Energiewissenschaftler: Unüberlegte Gefühlskälte und
       > Antiphotovoltaikkommunikation gefährden die Energiewende.
       
       Früher war alles schlechter", sage ich immer zu meinen Kindern. "Im Winter
       gab es keinen Schnee, die Fahrräder hatten noch keine gescheite Schaltung
       und Handys waren noch gar kein Menschenrecht." Die Kinder rufen dann immer:
       "Ist ja irre! So hätten wir nicht leben wollen!" Dann erzähle ich, wie ich
       mit einer lausigen Sachs-Dreigang durch den Dezemberregen radelte, ohne
       erreichbar zu sein! Meine Kinder dagegen können heuer mit einer edlen
       Kettenschaltung durch den Maastrichter Pulverschnee pflügen.
       
       Anderes Beispiel: In meiner Jugend gab es in Deutschland gar keine
       Photovoltaik und Windenergie, sondern nur Kohle und Atom. Das war
       schrecklich. Ich wollte das ändern, aber wir waren ja so naiv. Als junger
       Mann war ich 1995 auf der Berliner Klimakonferenz. Da glaubten wir sogar
       noch an den Segen internationaler Verhandlungen.
       
       "So blöd kann man ja gar nicht sein!", sagen dann meine Kinder. Doch,
       antworte ich, es war damals noch Mainstream, zu glauben, es gehe um Kosten
       und nicht um Innovation. Heute ist das natürlich angenehmer: Wir
       reduzierten zu Hause die Beschäftigung mit Cancún auf das Nötigste, hörten
       lieber unsere Lena-CD und blätterten in Photovoltaikkatalogen.
       
       Es wird nämlich Zeit, wieder zu bauen. Heute gibt es ja die Module bei
       Tchibo zum Schnäppchenpreis. Noch vor zehn Jahren haben viele den
       Energiewissenschaftlern geglaubt, die berechneten, dass die Photovoltaik in
       Deutschland niemals was reißen könne. Weil die Sonne ja nicht so oft
       scheine. Weil die Module so teuer seien. Weil es eben nicht gehe. Und was
       feiern wir im Jahr 2010? Den Durchbruch der MassenPhotovoltaik.
       
       Und wo brach die wichtigste globale Technologie der nächsten hundert Jahre
       durch? In Amerika? Im Süden? In China? Nein, in Solardeutschland, wo ein
       stolzes Volk das Wunder möglich gemacht hat: eine Installation von 9,5
       Gigawatt PV in einem Jahr. Das ist das größte energiepolitische Großprojekt
       der letzten Dekaden. Das heißt, an einem schönen Tag in Deutschland wird
       die Leistung von zehn Atomkraftwerken ins Netz eingespeist. Dass heißt, der
       Weg zum schnellen Umbau der Energiewirtschaft ist offen. Das heißt,
       Weihnachten und Neujahr sollte Deutschland angemessen im Zeichen der
       Solarrevolution feiern.
       
       Leider fehlt genau dafür das Bewusstsein. Und jetzt haben auch noch mir
       sehr sympathische Energiewissenschaftler, also meine Freunde, einen Appell
       an Bundestagsabgeordnete geschrieben. Sie sind für Erneuerbare, und deshalb
       lautet kurz zusammengefasst ihr Rat: Photovoltaikwachstum bremsen und zwar
       gewaltig.
       
       Sie haben Angst, dass uns das EEG politisch wegen der Kosten um die Ohren
       fliegt. Ihre Argumente geschenkt, die sind diskutabel. Schlimm allerdings
       ist die Message, die in den Medien hängen bleibt: Demnach ist das deutsche
       Solarwunder eine Katastrophe, wird der historische Durchbruch zum
       kleinkarierten Kostenproblem.
       
       Mein Appell an diese sympathischen Energiewissenschaftler: Auch
       Herzensbildung ist eine energiepolitische Kategorie, aber die ist Euch
       unbekannt. PV-Gefühlskälte gefährdet massiv die solare Effizienzrevolution.
       
       20 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Unfried
       
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