# taz.de -- taz-Serie "Zurück auf Staat" (4): Gesundheitsversorgung: Diagnose klar, Therapie schwierig
       
       > Im Gesundheitssektor ist das Land der entscheidende Player. Private
       > dürfen munter mitmischen, doch der Senat zieht die Fäden. So soll es
       > weiterhin bleiben - wünschen sich beide Seiten.
       
 (IMG) Bild: Aktuelles Problem, Schnee: Die Berliner S-Bahn färht seit anderthalb Jahren im Ausnahmezustand
       
       In kaum einem Bereich hat das Land Berlin so viel mitzubestimmen wie in der
       Gesundheitsbranche: Mit Charité und Vivantes sind die beiden größten
       Konzerne der Branche in der Hand des Landes. Trotzdem führen
       Rekommunalisierungsverfechter die Gesundheitsversorgung so gut wie nie als
       Musterbeispiel für staatliche Unternehmensführung an. Dafür gibt es gute
       Gründe: Zum einen hat sich das Land im Umgang mit seinen Konzernen in den
       letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert. Zum anderen ist das
       Gesundheitssystem ein hochkomplexer Bereich, der ohnehin nur im
       Zusammenspiel zwischen privat und öffentlich funktioniert und in dem
       pauschale Zuordnungen nicht möglich sind. "Die Gleichung Staat =
       Daseinsvorsorge = richtig und gut stimmt bei der Gesundheitsversorgung
       nicht", sagt der Gesundheitsökonom Volker Amelung.
       
       Das fängt bei der Trägerschaft an: Knapp 21.000 Krankenhausbetten gibt es
       in den Kliniken der Charité und Vivantes sowie bei privaten Anbietern.
       "Privat" heißt dabei zum überwiegenden Teil gemeinnützig und mit langer
       Tradition - Kirchen etwa und kirchennahe Einrichtungen. Kliniken, hinter
       denen marktwirtschaftlich orientierte Träger stehen, sind zwar in den
       letzten Jahren verstärkt in Berlin auf den Markt gedrängt, spielen aber
       trotzdem eine untergeordnete Rolle: Viele Häuser haben nur eine kleine
       Anzahl Betten. Lediglich 14 Prozent der Krankenhausbetten unterstehen
       privaten, nicht gemeinnützigen Trägern.
       
       Geregelt wird die Versorgung über den Krankenhausplan des Landes. Er legt
       fest, welche Disziplinen mit welcher Bettenstärke wo angesiedelt werden -
       unabhängig vom Träger. Schon dadurch behält der Senat seine
       Einflussmöglichkeit. Der Krankenhausplan ist die gesetzliche Grundlage für
       Verhandlungen zwischen Kassen und Kliniken. "Wer nicht im Plan ist, kann
       höchstens privat versicherte Patienten behandeln", sagt die Sprecherin der
       Gesundheitsverwaltung, Regina Kneiding.
       
       Wohnortnahe Versorgung 
       
       Krankenhäuser bewerben sich um Aufnahme, der Senat entscheidet nach der
       örtlichen Verteilung - Ziel ist die wohnortnahe Versorgung. Ein Kriterium
       ist auch die Trägervielfalt: Das Zusammenspiel von privaten und
       öffentlichen Kliniken ist ausdrücklich erwünscht. "Die Privaten spielen
       eine wichtige Rolle im System, es sind zum Teil sehr gute Häuser", sagt
       Kneiding.
       
       Der Helios-Konzern etwa übernahm 2001 den Standort Buch, ein ehemals
       kommunales Krankenhaus. 2007 wurde mit 200 Millionen Euro ein Neubau
       errichtet. Das bundesweit tätige Unternehmen gehört zum Fresenius-Konzern.
       
       Ein genauerer Blick auf die einzelnen Unternehmen zeigt zugleich, wie
       unterschiedlich gelagert die Probleme sind. Auf kommunaler Seite ist die
       Charité für Forschung und Versorgung zuständig, Vivantes ist ein reines
       Versorgungskrankenhaus. Die beiden Betriebe sind ein Musterbeispiel für die
       Probleme, die der Hannoveraner Gesundheitsökonom Amelung anführt: "Bei
       kommunalen Häusern sind die Gemengelagen oft unterschiedlich und
       unübersichtlich." Über die Zukunft der Charité etwa haben die Senatoren
       Ulrich Nußbaum (parteilos), Jürgen Zöllner (SPD) und Katrin Lompscher
       (Linke) monatelang öffentlich gestritten - jeder fühlte sich zuständig,
       jeder verfolgte unterschiedliche Ziele.
       
       Außerdem unterliegen Landesbetriebe strengen Auflagen, was Auftragsvergabe,
       Investitionen, überhaupt Veränderungen betreffe, sagt Amelung. Auch das
       stimmt in Berlin: Vivantes-Chef Joachim Bovelet beklagt seit Langem, nicht
       eigenständig Kredite aufnehmen zu können. Das hemme notwendige
       Umstrukturierungen und gehe zulasten der Patientenzufriedenheit.
       
       Und dass öffentliche Häuser genauso unter wirtschaftlichem Druck leiden
       können wie private, wird im Fall Charité deutlich: Finanzsenator Nußbaum
       forderte Charité-Chef Karl Max Einhäupl auf, endlich eine schwarze Null zu
       schreiben - und macht weitere Geldzusagen davon abhängig. Vivantes waren
       Altschulden erlassen worden, deswegen verbucht der Konzern Gewinne. Der
       Druck, wirtschaftlich zu arbeiten, ist dort genauso groß.
       
       Amelung verweist zugleich darauf, dass Privatkliniken bei
       Qualitätsstandards und -management häufig besser abschnitten. "Die
       Erwartung, dass Private da nicht die gleichen Standards haben, ist einfach
       falsch." Ein Beispiel dafür sei der Helios-Konzern. "Die sind da einfach
       gut."
       
       Private Anbieter im Gesundheitsbereich könnten es sich gar nicht leisten,
       zugunsten des Profits die Patienten aus dem Blick zu verlieren, bekräftigt
       Uta Buchmann, Sprecherin der Parkklinik Weißensee und der
       Schlosspark-Klinik in Charlottenburg. "Wir stehen im Wettbewerb vor allem
       mit den großen privaten Häusern Helios und Sana", sagt sie. "Wir müssen
       gute Leistungen anbieten, wenn wir bestehen sollen." Ein Vorteil dabei:
       Private mussten schon immer gewinnorientiert arbeiten - und hatten so
       Mittel für Reinvestitionen. Kommunale Häuser refinanzierten sich über
       Steuergelder und bekamen die Krise so deutlicher zu spüren. Die Querelen um
       die Charité und deren teils maroden Räumlichkeiten brachte der Privatklinik
       bislang im Übrigen keine Vorteile. "Die Charité hat im Bereich
       Hochschulmedizin noch so einen guten Ruf, dass wir nicht davon
       profitieren."
       
       Klar aber ist: Der Markt wird umkämpfter. Die Bevölkerung altert, Senioren
       brauchen mehr medizinische Betreuung. Auf dem nichtgemeinnützigen, privaten
       Markt werden die Großen wachsen, die Kleinen gehen unter - oder sie suchen
       sich Nischen oder kooperieren, so die Prognose von Ökonomen und Akteuren.
       Die Parkklinik etwa strebt eine Zusammenarbeit mit der Charité bei der
       Behandlung von Brustkrebspatientinnen an. In Weißensee arbeitet eine
       Spezialistin, allerdings ist das Haus kein Brustkrebszentrum - die Charité
       schon. Betroffene könnten von der Uniklinik an das private Haus überwiesen
       werden.
       
       Geld verdienen möchte das Unternehmen auch mit der Park-Klinik Sophie
       Charlotte, einer Privatklinik für Psychiatrie und Psychosomatik. "Es wird
       ein hohes Maß an Individualisierung nötig sein, um bestehen zu können", so
       Sprecherin Buchmann.
       
       Auch Ökonom Amelung plädiert für eine stärkere Zusammenarbeit, egal welcher
       Träger. "Nicht nur auf dem Land, auch in der Stadt fehlen vernetzte
       Angebote", sagt er. Chronisch Kranke wie Diabetes-Patienten würden selten
       zentral behandelt, sondern müssten von Facharzt zu Facharzt rennen, anstatt
       an einem Ort mit einer einzigen Krankenakte geführt zu werden. Ideal sind
       für Amelung medizinische Versorgungszentren, Polikliniken im Prinzip, in
       denen verschiedene Fachrichtungen unter einem Dach zusammengefasst sind.
       Wer letztlich dahinterstehe, sei zweitrangig.
       
       Die Sorge, dass kommunale Konzerne ausbluten und der Gesundheitsmarkt von
       privaten übernommen werden könnte, hat er ohnehin nicht. "Das
       Gesundheitswesen wird immer ein Bereich sein, der in hohem Maße reguliert
       werden muss", sagt Amelung. Seine These: "Je mehr ich privatisiere, desto
       stärker muss der Staat sein."
       
       22 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristina Pezzei
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) taz-Serie "Zurück auf Staat" (3): Pannenexpress weckt Begehrlichkeiten
       
       Bei der Berliner S-Bahn häufen sich die Pannen, zu viele Züge fallen aus.
       Doch ob es das and als Eigentümer letztlich besser machen würde, bezweifeln
       viele Experten.
       
 (DIR) taz-Serie "Zurück auf Staat": Sozialismus nicht in Sicht
       
       Überall wird von Rekommunalisierung geredet, nur nicht beim Wohnungsbau.
       Schließlich zahlt der Staat immer noch für die Folgen des sozialen
       Wohnungsbaus. Aber auch mit subventionierten Grundstücken wäre der Neubau
       zu teuer.
       
 (DIR) TAZ-SERIE "ZURÜCK AUF STAAT" (1): Das dreifache Stadtwerk
       
       SPD, Grüne und der Wirtschaftssenator warten mit Ideen für ein neues
       Stadtwerk in Berlin auf. Dabei verfolgen die einzelnen Parteien
       unterschiedliche Ziele. Und nicht alle Vorschläge sind wirklich ausgereift.