# taz.de -- Start der Vierschanzentournee: Der Flaum fliegt wieder weit
       
       > Der Österreicher Thomas Morgenstern hat gewonnen, was es zu gewinnen
       > gibt, nur die Vierschanzentournee noch nicht. Das will er nun nachholen.
       
 (IMG) Bild: Thomas Morgenstern mag nicht mehr "Morgi" sein.
       
       Still sitzen? Geht nicht. Thomas Morgenstern ist immer in Bewegung. Er
       grinst, er scherzt, er albert herum. Da kann sein Trainer Alexander
       Pointner noch so inbrünstig behaupten, der Thomas Morgenstern sei
       erwachsener geworden und als Persönlichkeit gereift. Thomas Morgenstern
       kontert: "Ich habe jetzt zu Weihnachten einen Rasierer gekriegt." Und
       Teamgefährte Wolfgang Loitzl ertastet demonstrativ den Flaum am Kinn seines
       Kollegen Morgenstern.
       
       Die Stimmung unter Österreichs Skispringern ist vor dem ersten Springen der
       Vierschanzentournee am Mittwoch in Oberstdorf bestens. Morgenstern führt im
       Gesamtweltcup, gefolgt vom Kollegen Andreas Kofler, dem Tourneesieger des
       Vorwinters. Von bislang sieben Springen hat Morgenstern vier gewonnen,
       Kofler zwei. Erwachsen werden könnte man eigentlich später.
       
       Aber auch wenn Morgenstern weiterhin den Gaudiburschen mimt und in
       Pressekonferenzen zum Entertainer mutiert, sagt Trainer Pointner ja nicht
       einfach so, dass sich der Athlet weiterentwickelt habe. Es muss etwas
       geschehen sein. Erstes Zeichen: Thomas Morgenstern will nicht mehr Morgi
       heißen.
       
       So haben sie ihn alle genannt: Teamkollegen, österreichische Journalisten,
       die Fans sowieso. Morgi aus Kärnten hat 2006 in Turin zwei Olympia-Titel
       geholt. Morgi aus Kärnten hatte einen Fanclub mit gelben Jacken dabei, der
       ihm huldigte. Morgi aus Kärnten feierte mit diesem gelbjackigen Fanclub
       ausgelassen an den Schanzen. Morgi aus Kärnten spaßte herum und fand nicht,
       dass das Sportlerleben auch mal ernst werden konnte. Fast schien es, als
       hätte der liebe Gott ihm zu viel Begabung fürs Springen mitgegeben.
       
       Aber dann kam der Schlieri aus Tirol. Gregor Schlierenzauer hielten viele
       für ein noch wunderbareres Wunderkind als den Morgi. Schlieri hatte
       lustig-verwuschelte Haare, einen Onkel, der ihn als Teenager-Schanzenstar
       vermarktete, und ein sagenhaftes Talent für das Skifliegen. Dort, wo es 200
       Meter und mehr weit geht, übt der Sport eine noch größere Faszination aus
       als auf den "normalen" Schanzen. Und der Schlieri ist mit sieben Erfolgen
       in einem Skiflug-Wettbewerb erfolgreichster Athlet dieser extremen
       Weitenjagd.
       
       Thomas Morgenstern will auch deshalb nicht mehr Morgi heißen, weil er sich
       von diesem Konkurrenzkampf mit dem Schlieri aus Tirol emanzipieren wollte.
       "Thomas hat eine andere Kraft und vermittelt ein anderes Bild von mir",
       sagt er zum neuen Wert des Taufnamens. Thomas also. Er ist inzwischen 24
       Jahre alt. Er hatte nach Turin Durststrecken zu bewältigen. Als er Anfang
       2010 etwa das Tourneeabschluss-Springen in Bischofshofen gewann, war das
       sein erster Weltcupsieg nach fast zwei Jahren. Ein gescheiterter Wechsel
       der Skimarke hatte ihn zurückgeworfen, nachdem er 2007/2008 den
       Gesamtweltcup für sich entschieden hatte.
       
       Der Olympiasieger von Turin muss eigentlich niemanden mehr etwas beweisen.
       Er hat mehr erreicht als die meisten der Kollegen, die er an den Schanzen
       so trifft. Er spricht deshalb jetzt philosophisch anmutende Sätze: "Ziele
       müssen nicht unbedingt ergebnisorientiert sein." Er habe hart daran
       gearbeitet, die Qualität seiner Sprünge zu verbessern. Dass ihm das
       gelungen sei, freue ihn. "Ich fühle mich wohl, ich genieße es." Und die
       Tournee? "Das sind vier Weltcupspringen, bei denen es am Ende eine
       gemeinsame Wertung gibt." Eine hübsch emotionslose Definition des
       Spektakels ist ihm mit diesen Worten gelungen.
       
       Trainer Pointner muss seine Worte natürlich ergebnisorientiert formulieren.
       Schließlich wird nichts anderes erwartet als ein neuerlicher Gesamtsieg.
       Vor zwei Jahren gewann Wolfgang Loitzl die Tournee, im Vorwinter Kofler.
       Seine Schützlinge dominieren im Weltcup. "Natürlich sind wir in der
       Favoritenrolle. Etwas anderes zu behaupten, wäre sinnloses Geschwätz", sagt
       Pointner. Er muss den Spagat schaffen und selbstbewusst sein, ohne
       überheblich zu wirken. Denn: "Bei der Tournee haben sich die
       Kräfteverhältnisse schon oft verschoben", gibt der deutsche Cheftrainer
       Werner Schuster zu bedenken.
       
       Eine Kräfteverschiebung wäre aber auch innerhalb der österreichischen
       Mannschaft möglich, obwohl Gregor Schlierenzauer zunächst fehlen wird. Ein
       Innenbandeinriss im rechten Knie bremst den Überflieger, er wird wohl erst
       bei den beiden letzten Tourneespringen wieder starten. Wolfgang Loitzl, mit
       30 Jahren der Älteste im Team und vor zwei Jahren fast unverhofft zum
       Gesamtsieg gekommen, sagt: "Bei so einer Tournee kann viel passieren. Ich
       sehe mich in der Lage, die Topfavoriten ärgern zu können."
       
       Begonnen hat er damit schon längst - er nennt den Kollegen Thomas
       Morgenstern immer noch konsequent Morgi, was dieser eher spaßig denn nervig
       findet und deshalb Nachsicht walten lässt: "Er hats halt immer noch nicht
       gecheckt." Erwachsen werden können sie tatsächlich getrost später.
       
       28 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Zeilmann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA