# taz.de -- Fremdenfeindlichkeit in Sachsen: Blumen für Hung Lê
       
       > Die Familie Lê wollte in Sachsen ein besseres Leben beginnen. Doch in Lês
       > Geschäft klirren mehrfach die Scheiben. Bis er sich zur Wehr setzt. Und
       > das Problem ernst genommen wird.
       
 (IMG) Bild: "Fuck Antifa": Neonazi-Graffito in der Beilroder Bahnhofstraße. Die Gemeinde hat es nun entfernen lassen. Les Laden ist gleich um die Ecke.
       
       Nein, Thao Lê* möchte hier nicht bleiben, in dem Ort, wo sie das Leben
       stark gemacht hat, wie sie sagt. "Ich will auf jeden Fall wegziehen", sagt
       sie, raus aus Beilrode, dem 2.600-Seelen-Dorf in Nordsachsen. In Vietnam
       geboren, kam die heute 17-Jährige im Alter von fünf Jahren mit den Eltern
       hierher. Eigentlich könnte man ihre Geschichte als Erfolgsgeschichte
       erzählen. Als Beispiel gelungener Integration.
       
       Denn Thao hat viele Freunde und geht auf das Gymnasium, wo sie genau wie
       ihr kleiner Bruder zu den besten Schülern gehört. Wenn ihr neben dem Lernen
       etwas Zeit bleibt, schreibt sie für eine Jugendzeitung. Doch kann man von
       gelungener Integration sprechen, wenn einheimische Jugendliche alles tun,
       um diese zu verhindern?
       
       Beilrode ist in der landwirtschaftlich geprägten Region nordöstlich von
       Leipzig bekannt durch seinen Fußballclub und als Faschingshochburg. Doch
       Thao käme nicht auf Idee, sich auf so einem Faschingsball blicken zu
       lassen. Für sie ist Beilrode ein "Nazidorf". Schon als Grundschülerin sei
       sie diskriminiert worden, von den älteren Jungs aus der Mittelschule, die
       gleich im Gebäude nebenan ihren Unterricht hatten. "Ich bin dann zum
       Direktor gegangen, doch der sagte nur, dass ich ja bei der Polizei Anzeige
       erstatten könne", erinnert sich Thao. "Ich hatte das Gefühl, dass der
       Schulleiter nicht richtig hinter mir stand. Das war schlimm."
       
       Thao schaffte den Sprung aufs Gymnasium in die nächste Stadt, nach Torgau
       an der Elbe. Dort beschimpfte sie niemand mehr, sagt sie. Doch nun fingen
       ihre ehemaligen Mitschüler aus der Grundschule an, sie zu beleidigen, wenn
       sie im Dorf auf den Bus wartete. "Sie machten mir zum Vorwurf, dass ich
       mich für etwas Besseres halten würde", glaubt die Schülerin. Ihr kleiner
       Bruder, schon in Deutschland geboren, machte ähnliche Erfahrungen.
       
       Die Eisenstange 
       
       Von den vielen kleinen Demütigungen hätte wohl nie jemand etwas erfahren,
       wenn nicht vor einem Jahr ganz andere Dinge passiert wären. Als
       rechtsextreme Jugendliche im Gleichschritt durch den kleinen Park im Dorf
       marschierten und dabei das Horst-Wessel-Lied sangen, nahm das noch keiner
       richtig ernst.
       
       Genau wie die "nationale Kunst", die sie dabei hinterließen -
       fremdenfeindliche Graffiti, von gewöhnlichen Sprühereien auf den ersten
       Blick kaum zu unterscheiden. Ein Anwohner, dessen Mauer sie beschmierten,
       wollte sie zur Rede stellen. Sie drohten ihm: "Ey Alter, willst du, dass
       wir dein Haus abfackeln?", erinnert sich der Rentner, der anonym bleiben
       will. Er glaubt, dass allseits bekannt war, wer zu der Gruppe gehörte. Doch
       niemand unternahm etwas gegen sie.
       
       Erst als die jungen Männer gewalttätig wurden, konnte man sie nicht mehr
       ignorieren. Sie schmissen Scheiben ein, die Scheiben des
       Bekleidungsgeschäfts von Thaos Vater. Sieben Mal. Er war es, der den Terror
       stoppte.
       
       Der Laden von Hung Lê* befindet sich in der Bahnhofsstraße, der kleinen
       Einkaufsmeile von Beilrode, keine 500 Meter von der Schule entfernt. Das
       einzige Geschäft eines Vietnamesen im Ort. Hier treffen sich die
       Dorfbewohner für den neuesten Tratsch und bekommen fast alles, wenn sie
       nicht die sieben Kilometer bis nach Torgau zum Einkaufen fahren wollen.
       
       Die jungen Männer drehen an Lês Laden vorbei mit ihren Autos Runden durch
       das Dorf. Und bis vor einem Jahr kam es vor, dass einer die Scheibe
       herunterkurbelte und in seine Richtung "Ausländer raus!" rief, sagt Lê.
       Heute ist nichts mehr zu erkennen von den Gewaltausbrüchen der
       Jugendlichen, der 46-Jährige hat die Fassade neu streichen lassen. Im Laden
       verkauft er auf engstem Raum Kleidungsstücke und Taschen für jeden Bedarf.
       
       Wenn der Verkäufer von den Angriffen berichtet, wird der Mann, der sonst so
       oft schmunzelt und gelassen spricht, plötzlich ganz laut und aufgeregt.
       "Stellen Sie sich vor: Sie haben ein Haus und immer wieder will es jemand
       kaputtmachen", bricht es aus ihm heraus. "Wir müssen kämpfen!"
       
       Vor zwei Jahren schmissen ihm die jungen Männer zum ersten Mal die Scheiben
       ein. Lê ließ immer wieder neue einsetzen, erstattete nach jedem Angriff
       Anzeige. Als die Polizei eintraf, waren die Täter längst verschwunden. "Die
       Polizei hat immer nur Fotos gemacht", schimpft er. "Wenn sie nie etwas tut,
       kommen die Angreifer immer wieder." 30 Meter weiter gibt es sogar einen
       Polizeiposten. Doch die Steinewerfer kamen nachts am Wochenende, wenn der
       Posten nicht besetzt war.
       
       Nach dem dritten Angriff verlor Lê das Vertrauen in die Polizei. "Die
       denken, das ist nicht wichtig." Von nun an schlief er jedes Wochenende im
       Laden, Feuerlöscher und Eisenstange immer griffbereit. Er traute den
       Angreifern alles zu. "Ich hatte Angst, dass sie Feuer legen." Seine Tochter
       Thao sagt heute, dass sie irgendwann keine Angst mehr vor den Angriffen
       hatte. "Aber diese Gehässigkeit geht einem schon ganz schön unter die
       Haut."
       
       Als die jungen Männer die Glasscheiben im Oktober 2009 zum siebten Mal
       einschmissen, rannte Lê mit der Eisenstange in der Hand blitzschnell aus
       seinem Laden. Er erinnert sich, dass ihm sieben junge Männer
       gegenüberstanden. "Ich hatte keine Angst mehr. Es war nur noch Wut." Nur
       einer der Steinewerfer wollte sich mit Lê anlegen. "Es war der Größte von
       ihnen. Die anderen haben geguckt und gerufen: Mach ihn fertig", sagt Lê.
       "Er wollte mit einem Stein an mein Gesicht kommen." Lê schlug ihm mit der
       Stange gegen das Bein. "Ich wollte nur Angst machen."
       
       Die Verletzung am Bein verriet den Täter später, Benjamin K. wurde vom
       Amtsgericht Torgau wegen versuchter Körperverletzung, Sachbeschädigung und
       Volksverhetzung zu anderthalb Jahren auf Bewährung verurteilt. Die anderen
       Täter blieben unbekannt. Seitdem ist es ruhig in Beilrode, kein
       Horst-Wessel-Lied mehr, keine Beleidigungen, keine Angriffe. Es ist
       fraglich, ob die Aktionen aufgehört hätten, wenn Thaos Vater sein Schicksal
       nicht selbst in die Hand genommen hätte.
       
       Wohin mit der Ware? 
       
       Nach den Angriffen brachten Beilroder Bürger Blumen zu Herrn Lê. "Ich habe
       viele Briefe von guten Menschen bekommen", sagt er. Einige wollten Geld für
       ihn sammeln, doch das lehnte er ab. "Ich habe noch zwei Hände. Ich kann
       arbeiten." Viele im Dorf kennen heute die Geschichte der Familie: Hung Lê
       und seine Frau arbeiteten in Vietnam früher als Mathematiklehrer.
       
       Und weil sie davon kaum leben konnten, kam der Mann als Werksarbeiter in
       die DDR, um den sozialistischen Bruderstaat zu unterstützen. Doch kurz
       darauf hörte der Bruderstaat auf zu existieren und damit auch die
       Textilfabrik, in der er arbeitete. Fortan schlug sich der damals 27-Jährige
       als fliegender Händler durch. Vor zehn Jahren hatte er genug gespart und
       eröffnete den eigenen Laden.
       
       Warum es die Jugendlichen auf seinen Laden abgesehen hatten? "Die denken,
       ich nehme ihnen die Arbeit weg. Dabei reichen meine Steuern für ein bis
       zwei Hartz IV." Seine Tochter glaubt, die jungen Männer seien neidisch auf
       ihren Erfolg. Hung Lê möchte trotzdem in Beilrode bleiben. "Wegziehen ist
       nicht so einfach. Was soll ich mit der ganzen Ware machen? Und die Kinder
       müssen die Schule beenden." Lê glaubt, dass es überall gute und schlechte
       Menschen gibt.
       
       Nach der siebten Attacke auf das Geschäft redete auch der Gemeinderat über
       die Neonazis im Dorf. Man wolle alles unternehmen, um Rechtsextremismus aus
       Beilrode fernzuhalten. Tatsächlich nimmt die Bürgermeisterin Heike Schmidt
       das Thema ernst. Sie hat mit Eltern und Angehörigen der jungen Männer aus
       der rechten Szene gesprochen. "Ich weiß nicht, ob dass zu den Jugendlichen
       durchgedrungen ist", sagt sie und will nicht näher erklären, wie die
       Gespräche verlaufen sind. "Aber die Angehörigen sind jedenfalls sehr
       unglücklich damit, auch weil sie es jetzt schwerhaben in der
       Dorfgemeinschaft."
       
       Schmidt wollte eigentlich, dass der Verurteilte seine 300 Arbeitsstunden in
       der Gemeinde ableistet und die fremdenfeindlichen Parolen entfernt. Doch
       daraus wurde nichts, weil er eine Arbeit gefunden hat. Statt Arbeitsstunden
       gibt es für ihn nun eine Geldstrafe - in Höhe von 600 Euro. Schmidt geht
       davon aus, dass einige Bürger das Auftreten der jungen Männer früher als
       Spinnerei oder Austoben abgetan haben. "Darum waren sie nach den Übergrif-
       fen erbost. Man konnte eine gewisse Abscheu spüren. Ich denke, dass die
       Täter das gemerkt haben."
       
       Die Bürgermeisterin hat auch mit dem Fußballverein geredet und spricht
       offen an, dass es dort Probleme gibt. "Im Verein erkennen viele den Ernst
       der Lage nicht. Sie sehen nicht, welche menschenverachtende Ideologie
       hinter den Rechten steht." Mindestens zwei der jungen Männer aus der
       Neonaziclique sollen im Verein spielen, heißt es. Schmidt wartet darauf,
       dass der Verein ein deutliches Signal setzt.
       
       Bisher ist das offenbar nicht geschehen. Doch sie möchte im Moment nicht zu
       viel verlangen. "Es ist eine Gratwanderung", sagt sie. "Im Moment ist es
       wieder ruhig geworden, da ist es wenig sinnvoll, mit dem Hammer
       draufzuhauen." Sie geht davon aus, dass es sich um eine sehr kleine Gruppe
       mit rechtsextremen Ansichten handelt. So denken auch die Bürger. Aber
       einige glauben auch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wieder etwas
       passiert.
       
       Die 17-jährige Thao Lê ist überzeugt, dass hier unter den Jugendlichen
       rechtsextreme Ansichten normal sind. Darum will sie nach dem Abi nach
       Westdeutschland gehen. Sie hat gehört, dass die Menschen dort offener sein
       sollen.
       
       *Namen geändert
       
       29 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Rank
       
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