# taz.de -- Illegale Einwanderung in die USA: Das ist wie im Krieg
> Francisco Linares will mit seiner Frau illegal in die USA, um dort zu
> arbeiten. Doch in Mexiko endet die Reise. Francisco wird von Polizisten
> geschlagen, seine Frau vergewaltigt.
(IMG) Bild: Will trotz allem schon bald wieder in die USA, doch diesmal allein: Francisco Linares vor dem Rathaus in Santa Ana.
SANTA ANA taz | Es passiert jeden Tag. Ein Dutzend trifft es immer,
meistens mehr. Erst in der vergangenen Woche sind im Bundesstaat Oaxaca im
Süden von Mexiko über 50 illegale Wanderarbeiter bei einem einzigen
Überfall auf einen Güterzug entführt worden - Salvadorianer, Honduraner,
Guatemalteken. Sie hatten sich auf den Weg gemacht, um in den USA ein
besseres Los zu finden als die Armut und das Elend bei sich zu Hause. Die
mexikanischen Behörden haben die Massenentführung zunächst wie üblich
ignoriert. Erst als die Außenminister der Heimatländer der Entführten
gemeinsam Druck gemacht haben, hat die Polizei damit begonnen, nach den
Verschwundenen zu suchen.
"Sie hasst alle Männer"
Francisco Linares weiß, was es heißt, in Mexiko als Illegaler entführt zu
werden. "Es macht mich wütend, wenn ich so etwas im Radio höre", sagt er.
"Und ich könnte heulen." Er und seine Frau sind selbst Opfer von Kidnappern
geworden. Sie sind keiner Drogenmafia in die Hände gefallen oder sonst
einer kriminellen Bande, sondern der Polizei und der Armee. Die teilten
sich das salvadorianische Paar: Die Polizisten nahmen Francisco mit, die
Soldaten Delmy. Die Frau wurde täglich von ihren Peinigern mehrfach
vergewaltigt. "Sie wird sich wohl niemals davon erholen", sagt Francisco.
"Sie hasst alle Männer." Sie redet nicht über das, was in Mexiko geschah.
Es gibt zwei Typen von zentralamerikanischen Auswanderern: gut ausgebildete
junge Leute aus der Mittelschicht, meist mit Universitätsabschluss, die in
den USA einen Job suchen, den ihnen der heimische Arbeitsmarkt nicht
bietet. Sie reisen mit Touristenvisum und mit dem Flugzeug. Und es gibt
diejenigen, die man die "Mojados" nennt, die Nassen, weil sie nass werden,
wenn sie nachts den Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA durchwaten.
Sie reisen zu Fuß, mit dem Bus und auf Güterzügen. "Wir schätzen, dass sich
allein in El Salvador jeden Tag zwischen 200 und 300 Mojados auf den Weg
machen", sagt Evelyn Hernández, die im Menschenrechtsinstitut der
Zentralamerikanischen Universität von San Salvador illegale Wanderarbeiter
betreut, die in Mexiko überfallen oder entführt worden sind.
Francisco Linares ist ein Mojado. Er ist in der Provinzstadt Santa Ana im
Nordwesten El Salvadors aufgewachsen. Seine Eltern starben früh. Zur Schule
gegangen ist er nie. Von Beruf ist er Goldschmied. Das war ein Zufall. Als
Jugendlicher hat er mit Freunden immer in einem Hinterhof Murmeln gespielt,
in dem eine Frau Tortillas verkaufte. Eines Tages, er war 17, fragte eine
Stammkundin: "Wer von euch will Goldschmied werden?" Er meldete sich als
Erster. Sie nahm ihn mit in ihre Werkstatt. "Nach einem halben Jahr konnte
ich das Wichtigste und habe mein eigenes Geschäft aufgemacht."
25 Jahre hat er als Goldschmied gearbeitet. Er hat Delmy geheiratet, eine
schüchterne Frau, die bis zu dieser Reise nie Santa Ana verlassen hatte.
Sie putzte und wusch in anderen Häusern und verdiente damit 3 Dollar am
Tag. Drei Jungs hat das Paar. Dreimal wurde Franciscos Werkstatt
überfallen. Nach dem dritten Mal hatte er Schulden bei der Bank und konnte
sie nicht mehr bedienen. "Also bin ich hingegangen und habe gesagt: Ich
gehe in die USA, und wenn ich dort bin, bezahle ich. Und so habe ich es
gemacht."
Zweieinhalb Monate hat er gebraucht, dann war er in Texas. Unterwegs wurde
er zweimal überfallen. Das ist ihm nicht mehr als eine kurze Erwähnung
wert. Francisco ist kein ängstlicher Mann. Klein, drahtig, braun gebrannt.
Er ist 48 und wirkt eher jünger. Wenn er ins Reden kommt, ist er kaum mehr
zu bremsen. Schnell wird er eifernd, fast wie ein evangelikaler Prediger.
Seine Freunde nennen ihn deshalb "El Talibán". Ein Jahr und zwei Monate hat
er in der Nähe von San Antonio auf einer Farm gearbeitet. "Dann haben sie
mich erwischt und abgeschoben. Aber meine Schulden hatte ich bezahlt."
Doch in Santa Ana gab es keine Arbeit für ihn. Und das bisschen Geld, das
Delmy nach Hause brachte, reichte nicht, um Monat für Monat die 40 Dollar
für den Kredit zu bezahlen, mit dem die Familie ihr knapp 30 Quadratmeter
großes Häuschen am Rande der Stadt finanziert hat. "Also habe ich zu meiner
Frau gesagt: Gehen wir wieder. Und wir sind zu zweit gegangen." Die Kinder
ließ das Paar bei einer Tante zurück. Das war im Frühjahr 2008.
Bis zur Grenze zwischen Guatemala und Mexiko kommt man von Santa Ana aus in
billigen Überlandbussen in weniger als einem Tag. Ab Tecún Umán wird es
gefährlich. Die Grenzstadt wirkt wie aus einem Western - staubige Straßen,
geduckte Häuschen aus Lehmziegeln. Vor den Billard-Saloons und den billigen
Bordellen sind Pferde festgebunden. Am Grenzflüsschen herrscht reger
Betrieb.
Auf aufgepumpten Schläuchen von alten Lastwagen werden die Illegalen auf
die mexikanische Seite gebracht. Die Grenzer werden mit ein paar Dollars
ruhig gestellt. Beim ersten Versuch wurden Francisco und Delmy kurz hinter
der Grenze von der Einwanderungsbehörde aus dem Bus geholt und zurück nach
Guatemala gebracht. Mojados sind leicht zu erkennen. Sie sprechen nicht das
singende Spanisch der Mexikaner.
Alle trugen Gewehre
Beim zweiten Versuch schien es zu klappen. Sie waren schon über Tapachula
hinaus, die erste mexikanische Großstadt rund 20 Kilometer hinter der
Grenze. Sie waren zu Fuß unterwegs. So konnten sie Straßensperren der
Einwanderungsbehörde rechtzeitig sehen und umgehen. Als sie wieder eine
entdeckten, schlugen sie sich in die Felder. "Wir gingen im hohen Gras,
vielleicht fünfzig Meter neben der Straße. Da stellten sich uns drei Männer
in den Weg." Sie trugen die Uniformen der Bundespolizei und riefen noch
drei weitere Männer herbei. Das waren Militärs. Alle trugen Gewehre.
Der Wortführer spielte mit dem Abzug. "Warum bist du so nervös?", fragte er
Francisco. "Ich bin nicht nervös. Ich bin froh, dass ich euch treffe, so
kann ich keinen Dieben in die Hände fallen." Er fiel Dieben in die Hände.
Als Erstes nahmen ihm die Männer die gut tausend Dollar ab, die er sich für
die Reise in die USA zusammengeliehen hatte. Dann trennten sie das Paar.
Delmy wurde von den Soldaten mitgenommen, Francisco blieb bei den
Polizisten.
"Sie haben mich auf einen verlassenen Hof gebracht. Sie haben mich
geschlagen. Sie wollten Telefonnummern von Verwandten in den USA."
Francisco hat keine Verwandten in den USA, die man erpressen könnte. Nach
zwei Tagen ließen ihn die Polizisten frei. Von seiner Frau wusste er
nichts.
Er schlug sich zu Fuß durch bis Ixtepec im Bundesstaat Oaxaca. Dort
unterhält die katholische Kirche ein Auffangheim für Wanderarbeiter. Dem
Pfarrer erzählte er seine Geschichte. Der nahm ihn vier Tage später mit zu
einer Konferenz mit Jorge Bustamante, dem Berichterstatter der UNO für
Migrationsfragen, der gerade in Oaxaca ermittelte. Ihm sollte er die
Geschichte erzählen. Die Presse war da. "Wahrscheinlich hat das Delmy
gerettet." Ihr Fall war jetzt bekannt.
Francisco aber bangte noch zwei Wochen. Einer seiner Söhne hatte ihm ein
Passbild seiner Frau geschickt. Das hatte er vergrößern und kopieren lassen
und an Bäume und Straßenlaternen gehängt. Dann kam ein Anruf aus Santa Ana:
Die Mutter sei wieder zu Hause. Sie weiß nicht mehr, wie sie das geschafft
hat. Sie weiß, dass ihr eine Frau in Guatemala Kleider geschenkt hat und
ein bisschen Geld. Sie weiß, dass sie von ihren Entführern etwas zu essen
bekam, aber sie weiß nicht mehr, was. Sie weiß, dass sie vergewaltigt
wurde, jeden Tag, mehrfach. Aber an Gesichter kann sie sich nicht erinnern.
Auch nicht daran, woher sie die Narbe an ihrem Arm hat. Irgendwann haben
die Entführer sie einfach fortgeschickt.
Ein Job als Friedhofswärter
Zurück in El Salvador ging Francisco zum Menschenrechtsinstitut der
Zentralamerikanischen Universität. Er wollte Gerechtigkeit. "Im Grunde
können wir diesen Menschen nicht helfen", sagt Evelyn Hernández. "Das
Verbrechen fand in Mexiko statt. Es muss dort angezeigt werden, und dort
findet auch der Prozess statt." Die Reise und der Aufenthalt kosten Geld,
und das hat Francisco nicht.
Immerhin hat er schnell Arbeit gefunden: Im Wahlkampf zog er für seine
Partei, die ehemalige Guerilla der FMLN, werbend von Haus zu Haus und bekam
dafür 2 Dollar am Tag. Danach fand er eine Anstellung als Friedhofswächter.
217 Dollar im Monat, befristet bis zum Dezember. "Delmy verdient manchmal
etwas dazu", sagt er. "Aber oft bleibt sie auch einfach nur zu Hause."
Mit der Abzahlung seines Hauskredits ist er wieder im Verzug. "Im Januar
gehe ich deshalb wieder los", sagte er, "alleine." Angst habe er nicht. Im
Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 gehörte er zu den Stadtkommandos der FMLN.
Santa Ana ist eine Garnisonstadt. Sieben Jahre lang hat er im Herzen des
Feindes gekämpft. "Ich weiß, wie das ist im Krieg."
3 Jan 2011
## AUTOREN
(DIR) Toni Keppeler
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