# taz.de -- Frauenrechte in Marokko: Das Haus von Casablanca
       
       > Assisa wurde jahrelang von ihrem Mann misshandelt, nun lebt sie im Centre
       > Tilila. Im Großraum von Casablanca ist das Frauenhaus das einzige seiner
       > Art.
       
 (IMG) Bild: Per Gesetz gleichgestellt: Marokkanische Frauen.
       
       CASABLANCA taz | Noch einmal heiraten? Nein, mit Männern will Assisa nichts
       mehr zu tun haben. "Männer nehmen die Ehe nicht ernst", sagt die 31-jährige
       Marokkanerin. Ihren Nachnamen will sie lieber nicht nennen. Aus
       Sicherheitsgründen.
       
       Mit einer festen Stimme, die weder Wut noch Selbstmitleid durchschimmern
       lässt, erzählt sie über die Jahre, die sie mit ihrem Mann verbracht hat.
       Von den vielen Schlägen, von der Angst und von den zahlreichen Versuchen,
       ihn zu verlassen. "Immer wenn am Monatsende das Geld knapp wurde, verlor er
       die Nerven und hat mich misshandelt."
       
       Nun hat sie es endlich geschafft. Sie ist gegangen. Seit zwei Wochen wohnt
       Assisa im "Centre Tilila", einer "Herberge für Frauen in Not". Das
       Frauenhaus liegt etwa eine halbe Autostunde außerhalb der Metropole
       Casablanca. Nur Eingeweihte finden den Weg, der Standort soll geheim
       bleiben.
       
       Und so wartet an einer Tankstelle ein junger Mann, der uns durch das
       steinige Wüstengelände zu dem großzügigen Landhaus führt. Vor vier Jahren
       hat die Demokratische Liga für Frauenrechte (LDDF) die Herberge gegründet,
       es ist die einzige ihrer Art im Großraum der Drei-Millionen-Stadt. 20
       verheirateten Frauen und etwa noch einmal so vielen Kindern bietet das
       Centre Tilila einen sicheren Rückzugsort. "Die Nachfrage ist viel größer,
       wir bräuchten weitere Frauenhäuser", klagt eine Mitarbeiterin. Aus dem
       Nebenzimmer dringen Kinderstimmen.
       
       Auch Assisas einjährige Tochter spielt mit ihren neuen Freunden und
       Freundinnen. Dass die Mutter noch ein Kind im Bauch trägt, sieht man ihr
       nicht an, sehr jung wirkt sie in ihrer engen Jeans, der grauen Fleece-Jacke
       und dem eng gebundenen Kopftuch. Drei Jahre kannten sich Assisa und ihr
       Mann, bevor sie heirateten. "Das Leben vor der Hochzeit ist das eine, das
       Leben danach etwas völlig anderes", sagt sie. Plötzlich habe er ihr
       verboten zu arbeiten. Und dann kamen die Schläge. Heute steht ihre
       Entscheidung felsenfest: "Ich werde mich scheiden lassen."
       
       Immer wieder verprügelt 
       
       Auch die 35-jährige Leila hat sich so entschlossen, nachdem ihr Mann sie
       immer wieder verprügelt hatte. Wie Assisa ist sie vor zwei Wochen in das
       Centre Tilila geflüchtet - mit ihrer dreijährigen Tochter. Und mit den
       Verbrennungen durch das heiße Wasser, das ihr Mann ihr über den Rücken
       gelehrt hatte. "Als ich ihm sagte, dass ich die Scheidung einreichen würde,
       hat er gedroht, mich umzubringen," berichtet sie. Außerdem wollte er ihr
       keine Papiere für die Aufhebung der Ehe unterzeichnen.
       
       Doch eine Zustimmung des Ehemannes ist schlicht nicht mehr notwendig, seit
       König Mohammed VI. vor sieben Jahren die "Moudawana", das Familienrecht,
       reformierte. Es war ein ungewöhnlicher Schritt für ein Land, in dem der
       Harem zum Alltag gehörte und Frauen Männern gehorchen mussten. Dennoch
       unterstützten alle großen Parteien den Entwurf.
       
       Selbst die islamistische Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD)
       stellte sich nicht quer. Seither sind beide Geschlechter juristisch
       gleichgestellt. Männer können nicht mehr ihre Frauen "verstoßen", für
       Ehegattinnen ist es möglich, selbst die Scheidung einzureichen. Seine
       Majestät ließ auch das Heiratsmindestalter auf 18 Jahre hinaufsetzen und
       verfügte, dass Männer keine vier Frauen mehr heiraten dürfen - von
       Ausnahmen abgesehen. Auf dem Papier hat Marokko damit eines der
       fortschrittlichsten Familiengesetze der arabischen Welt.
       
       "Die meisten Frauen kennen ihre Rechte nicht", dämpft Tikerouine Khadja
       jedoch allzu hohe Erwartungen. Als Juristin im "Centre d'Ecoute" hört sie
       täglich Horrorgeschichten über männliche Gewalt. Für viele Frauen ist die
       Beratungsstelle der Frauenliga im belebten Viertel Mers Sultan im Herzen
       von Casablanca der erste Anlaufpunkt.
       
       Auch Assisa und Leila haben dort Unterstützung gesucht, bevor sie ins
       "Tilila" kamen. Sicherheit wird groß geschrieben. Die Räume liegen in einem
       alten Wohn- und Geschäftshaus, der Eingang ist geschützt durch ein
       geschmiedetes schwarzes Eisentor. Nur ein kleines Schild zwischen
       Schnellrestaurant und Gemüseladen weist auf das "Centre LDDF - Assistance"
       hin.
       
       "Wegen ihrer wirtschaftlichen Lage und der gesellschaftlichen Stimmung ist
       es für Frauen weiterhin schwierig, die Scheidung einzureichen", erklärt
       Juristin Khadha. Die meisten würden sich deshalb lieber unterordnen und die
       Gewalt akzeptieren. Auch Leilas Eltern wollten sich nicht in die Probleme
       ihrer Tochter einmischen. Die Familie ihres Mannes riet ihr, sich nicht zu
       trennen. "Ich sollte Ruhe bewahren und keine Familiengeheimnisse
       ausplaudern", erinnert sie sich.
       
       Männerdominanz brechen 
       
       LDDF-Präsidentin Fouzia Assouli besteht dennoch auf die große Bedeutung des
       Scheidungsrechts. Sie arbeitet gleich um die Ecke im feministischen Zentrum
       "Ciofem", einer "Brücke zwischen praktischer Arbeit und Forschung", wie die
       52-jährige Aktivistin erklärt. "Wir wollen die Verhältnisse verändern, die
       auf der Dominanz der Männer basieren", sagt sie, und auch zahlreiche
       Plakate verweisen darauf, dass sich die Frauen hier wenig an traditionellen
       Werten orientieren. "Ni putes ni soumises" - weder Hure noch Unterwürfige
       -, stellt ein Poster der feministischen Bewegung Frankreichs klar.
       
       Studien der Organisation haben ergeben, dass die Moudawana bislang nur
       wenig erreicht hat. Noch immer immer würden 13-jährige Mädchen vermählt,
       weil sie schwanger seien, kritisiert Assouli. Da Ausnahmen in der Polygamie
       und in der Verheiratung von Minderjährigen weiterhin zugelassen sind, gebe
       es eine große Grauzone.
       
       "Das Gesetz lässt den Richtern sehr viel Spielraum." Konservative Juristen
       könnten also weiterhin im Interesse der traditionellen Männerwelt
       entscheiden. Ist also alles eine Farce? Nein, kontert die säkulare
       Feministin, "zum ersten Mal hat die Idee der Geschlechtergerechtigkeit
       Eingang in die Rechtssprechung gefunden."
       
       Wo Tradition und Moderne so eng nebeneinander bestehen wie in Marokko,
       lässt der Begriff Geschlechtergerechtigkeit viele Interpretationen zu. Etwa
       zwei Autostunden entfernt sind wir in Rabat mit der PDJ-Abgeordneten
       Bassima Haqqaoui verabredet. Ein paar Stühle, kein Tisch, kahle Wände -
       Bassima Haqqaoui empfängt uns in einem kargen Warteraum des Parlaments, ihr
       braunes Kopftuch und ihre dunkle Tunika betonen das Einfache,
       Traditionelle, Religiöse.
       
       Schon seit acht Jahren sitzt die islamische Abgeordnete im Parlament. "Wir
       sind für eine Gleichberechtigung im Sinne der Gerechtigkeit", erklärt sie.
       Was sie damit meint? Zum Beispiel das Erbrecht, das weiterhin am Koran
       orientiert sei und für Töchter und Söhne verschiedene Erbanteile vorsieht.
       "Die Männer bekommen in manchen Fällen mehr, weil sie die Familie
       beschützen und unterhalten müssen."
       
       Viele wollen der PJD nicht abnehmen, dass sie wirklich hinter dem neuen
       Gesetz steht. "Sie machen immer wieder Vorschläge, die der Idee des
       Gesetzes widersprechen", kritisiert die Feministin Assouli. Haqqaoui
       scheint diese Skepsis zu bestätigen. Sie ist besorgt über die hohe
       Scheidungsrate, die seit der Reform festzustellen sei. Dass sich
       laizistische Aktivistinnen gegen die Verheiratung von Mädchen starkmachen,
       hält sie für eine "falsche Debatte", die aus dem Ausland komme. Eine
       17-Jährige sei schließlich nicht wirklich minderjährig, meint sie und
       betont: "Ich glaube an Gottes Gerechtigkeit."
       
       Viele Probleme bleiben
       
       Längst ist die Diskussion um die Reform Teil einer übergeordneten
       frauenpolitischen Debatte geworden. Deutlich abgegrenzt von
       fundamentalistischen Konzepten macht sich etwa die Ärztin Asma Lamrabet für
       einen "dritten Weg" stark, der auf humanistische Ideale setzt, die sie im
       Koran findet. Die "islamische Feministin", wie sie sich selbst bezeichnet,
       wirkt mit ihrem knallbunten Kopftuch jedoch wenig traditionell.
       
       Bislang sei die Heilige Schrift immer nur "patriarchal und diskriminierend"
       interpretiert worden, erklärt Lamrabet und verweist auf die katholische
       Befreiungstheorie. Die Rechtsanwältin Fadela Sebti hält dagegen: "Entweder
       wir sprechen von Frauenrechten, Gleichheit und humanistischer Vision oder
       vom Koran." 20 Jahre lang hat sie sich für die Reform stark gemacht. Aus
       ihrem beruflichen Alltag weiß die Anwältin, dass noch viele Probleme
       bleiben. Etwa die Frage, was nach der Scheidung passiert: "Ich habe noch
       keinen Mann gesehen, der vertraglich akzeptierte, dass seine Frau nach der
       Trennung mit den Kinder bei einem Anderen lebt."
       
       Davor haben auch Asisa und Leila Angst. Hier im Frauenhaus Centre Tilila
       sind sie sicher vor ihren Männern. Und sie lernen Französisch, eine kleine
       Hilfe für die Zukunft. Doch was wird draußen passieren, wenn sie wieder auf
       sich alleine angewiesen sind? "Arbeit suchen, am besten wieder in einer
       Autofirma", hofft Leila. Zurück in das Armenviertel, in dem sie mit ihrem
       Mann lebte, will sie auf keinen Fall. Dort habe sie nie Kontakt zu den
       Nachbarn bekommen. Sie hat Angst um ihr Kind. "Er hat sie misshandelt; um
       sie zu schützen, bin ich hierher gekommen." Ihre Tochter habe jetzt noch
       Albträume, ergänzt Asisa. "Ich werde jedenfalls alles tun, damit meine
       Kinder nicht das erleiden, was ich erleiden musste."
       
       7 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf-Dieter Vogel
       
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