# taz.de -- Umweltaktivist Holger Isabell Jänicke: In solchen Sachen ist sie Profi
       
       > Er trägt Rüschenröcke und streitet mit Versammlungsbehörden. Holger
       > Isabell Jänicke wird für Protest bezahlt. Seine Schule war das Gefängnis.
       
 (IMG) Bild: Holger Isabell Jänicke, fotografiert auf einem Ausguck im Wendland.
       
       Ein kleiner Mann in einem schwarzen Frauenkleid steht am Kleiderschrank.
       Man kann sagen: Der 48 Jahre alte Holger Isabell Jänicke ist nicht gerade
       das, was man sich unter einem typischen Juristen vorstellt. Die lila
       Rüschenbluse, der rosa Pettycoat, die fliederfarbenen Pantoffeln deuten das
       schon an. Eine Blume aus Tüll steckt in Jänickes grauer Löckchenfrisur.
       Dass das Leben nicht immer einfach ist, wenn man sich auf die Seite der
       Exzentriker geschlagen hat - das kann man an Jänicke sehen: Die getönte
       Nickelbrille hat einen Sprung. Und wenn Jänicke grinst, erscheinen eine
       Menge schwarzer Zähne.
       
       Aber Holger Isabell Jänicke ist auch kein Jurist im eigentlichen Sinne. Er
       hat nie an einer Hochschule studiert. Einmal nur, als er im Gefängnis saß,
       hat er sich an einer Fern-Uni als Gasthörer eingeschrieben. Das meiste hat
       sich Jänicke selbst beigebracht, "Ich bin ein Zweifler", sagt er. "Ich
       wills immer genau wissen."
       
       Nur acht Kollegen 
       
       Wie Recht in diesem Land funktioniert, hat Jänicke auf der Straße gelernt,
       auf Polizeiwachen, in Gerichtssälen und im Gefängnis. Jänicke ist
       Bewegungsarbeiter. Das ist ein seltener Beruf in Deutschland, nur neun
       Menschen üben ihn aus. Jänicke kann sich als Vollzeitaktivist ganz dem
       politischen Widerstand hingeben: der Rechtsberatung von Atomkraftgegnern,
       Gentechnik-Verhinderern, anderen Demonstranten. Unterstützt wird er von der
       Bewegungsstiftung. Linke Millionäre haben sie 2002 gegründet. 180 Euro
       überweist die Stiftung jeden Monat an Jänicke, das Geld kommt über
       Patenschaften zusammen. Dazu bezieht er noch 356 Euro Grundsicherung vom
       Staat.
       
       Jänicke steht da in seinem seltsamen Aufzug, die Blume im Haar ist
       verrutscht. Er hat sich das Widerständige als Lebensform ausgesucht, reich
       wird er damit nicht. "Ich komm sowieso nicht mit Geld zurecht", krächzt er
       heiter. Jänicke hat eine näselnde, manchmal scheppernde Stimme. Sein
       Sprachzentrum hat eine Störung, ein Teil der Feinmotorik funktioniert nicht
       richtig. Mit Logopädie und Training hat er diese Schwächen als Kind
       bekämpft, bis nur das Näseln und eine unleserliche Handschrift geblieben
       sind. Jänicke ist immer gegen Gegebenheiten angegangen, die ihn störten.
       
       In der Wohnung riecht es nach kaltem Rauch. "Hab n bisschen aufgeräumt",
       hatte Jänicke vorhin zur Begrüßung gerufen. Weil die Lage auf dem Hamburger
       Wohnungsmarkt nicht so ist, wie man sie sich wünscht, hat er zuletzt fast
       zwei Jahre bei Freunden im Keller gehaust, bis er in diesem schmucklosen
       Mietshaus in Hamburg-Altona gelandet ist. Jetzt hängen Socken über der
       Heizung, neben dem Kleiderschrank stehen eine Trockenhaube, Haarspray und
       ein Korb Lockenwickler. Im Regal liegen Aktenordner und ein Buch über
       SM-Fantasien.
       
       Jänicke hat Dringenderes zu tun, als seinen Haushalt tadellos zu führen.
       Irgendwo wartet immer eine Menschenkette, eine Großdemonstration auf ihn.
       Ein G-8-Gipfel, ein Atommüll-Transport, ein Bahnhofs-Neubau. Die Anmeldung
       des Castor-Protest-Camps bei den Versammlungsbehörden etwa hat Jänicke
       besorgt. Im Aktionsbüro in Dannenberg saß er bis tief in die Nacht inmitten
       von Stapeln juristischer Fachliteratur, eilte an die blockierte Straße,
       erklärte Demonstranten die rechtliche Situation, telefonierte mit
       Polizeichefs, beschwerte sich bei der Versammlungsbehörde, reichte Klagen
       ein. Solche Sachen.
       
       Kommende Woche wird er nach Aschersleben fahren. Gentechnik-Gegner sind
       dort angeklagt, weil sie einen Feldversuch mit gentechnisch verändertem
       Weizen zerstört haben. Jänicke wird ihr Rechtsbeistand sein, er wird die
       Sprache der Aktivisten in die Sprache der Juristen übersetzen. Er wird
       morgens Pullover und Hose anziehen. "Wie immer wenn ich in der Aktion bin.
       Damit mein Aussehen die Leute nicht ablenkt", erklärt er.
       
       Holger Isabell Jänicke sieht sich selbst irgendwo zwischen Transgender und
       Transvestit. Er mag jetzt mit Pettycoat am Kleiderschrank lehnen wie eine
       ziemlich durchgeknallte Type. Aber er weiß sehr genau, wovon er redet. "Ich
       will die Angeklagten in die Lage versetzen, ihren eigenen Prozess zu
       führen. Es geht darum, Menschen zu befähigen, sich im juristischen Bereich
       frei zu bewegen."
       
       Immer wieder Gefängnis 
       
       Er hat es ja selbst erlebt, wie es gehen kann. Damals während der
       Friedensbewegung, zu Zeiten der Ostermärsche, als sich in jeder
       westdeutschen Kleinstadt eine Friedensgruppe traf, als Friedensbüros und
       Dritte-Welt-Läden eröffneten, damals hat Jänicke seine erste Sitzblockade
       in Mutlangen mitgemacht. Im Januar 1985 folgte sein erster Prozess. "Ich
       bin da ein bisschen naiv rangegangen. Ich dachte mir: Ich habe gute Gründe,
       warum ich gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen bin, die trag ich
       einfach vor", erzählt Jänicke. "Aber der Richter hat nur gesagt: Nötigung.
       Und erklärt, warum das eine strafbare Handlung ist."
       
       Es war eine Ohnmacht, die Jänicke loswerden wollte. Er hat sich
       vergleichbare Präzedenzfälle angeguckt, Rechtskommentare gelesen, über neue
       Blockadeformen nachgedacht. In den Jahren, die folgten, hat Jänicke
       unzählige Tage auf der Straße gesessen, er ist über dreißig Mal
       festgenommen worden. Prozesse hat er durch alle Instanzen geführt, zum
       Schluss hat er seine Revisionen selber geschrieben, eine
       Verfassungsbeschwerde eingereicht. Er verbrachte etliche Tage in
       Gerichtssälen. "Die Gerichtsgebäude von Schwäbisch Gmünd und Ellwangen
       waren mein zweites Zuhause", kräht Jänicke. Fünfmal ist er wegen seines
       Aktionismus im Gefängnis gesessen. Wahrscheinlich ist irgendwann der
       Zeitpunkt überschritten, an dem man sich aus der Welt des Protests
       zurückziehen kann. 1987 ist Jänicke nach Mutlangen gezogen. Mit sechs
       Aktivisten hat er ein Haus umgebaut, ein ökologisches Lebens- und
       Wohnprojekt gegründet. Sie haben von Spenden gelebt und den Widerstand in
       Mutlangen organisiert, die täglichen Blockadeaktionen, die
       Gerichtsverfahren. "Wir haben nicht schlecht gelebt", sagt er.
       
       Als nach Ende des Kalten Krieges die Raketen, gegen die sie so lange
       protestiert hatten, aus Mutlangen verschwanden, löste sich die WG langsam
       auf. Jänicke engagierte sich gegen Waffenexporte in die Türkei.
       
       Es kann sein, dass der Vater der Erste war, an dem Jänicke sich
       abgearbeitet hat. Die Eltern hatten es nicht leicht: erst ein behinderter
       Sohn. Dann weigerte sich der Junge zur Musterung zu gehen. Später das
       Gefängnis. Dann nennt er sich Isabell. "Aber da konnte ich meine Eltern
       nicht mehr schocken." Jänicke lacht ein lautes, schepperndes Lachen.
       
       Sein Vater war Maschinenbauingenieur in einer Rüstungsfirma. Die Sache mit
       der Musterung hat ihn getroffen. Jänicke durfte zwei Jahre nicht nach
       Hause. "Inzwischen verstehen wir uns wirklich gut. Mein Vater war immer ein
       wichtiger Unterstützer", sagt Jänicke. "Er hat mich den Respekt gelehrt vor
       dem Gegner."
       
       Dann muss Jänicke los, zum Bus. Er wirft sich einen Anorak über. Er hat
       schon wieder irgendeinen Termin.
       
       7 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kirsten Küppers
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Dänisches Gericht verurteilt Klima-Aktivisten: Schubsen verboten
       
       Ein dänisches Gericht schickt zwei Sprecherinnen eines Klimanetzwerks ins
       Gefängnis. Sie sollen "schubsen" gerufen haben. Das sei eine Aufforderung
       zur Gewalt.
       
 (DIR) Protest gegen Genkartoffel Amflora: Feld verwüstet, ab zur Polizei
       
       Sieben Aktivisten reißen in Mecklenburg die Genkartoffel Amflora von BASF
       aus. Der Konzern lässt sich das nicht so einfach gefallen, schickt
       Polizisten und 30 Mitarbeiter.