# taz.de -- Prozess im Fall Oury Jalloh: Das Schweigen der Beamten
       
       > Der Asylbewerber Oury Jalloh verbrannte gefesselt in einer Zelle, ein
       > Polizist ignorierte den Feueralarm. Jetzt wird der Fall neu verhandelt.
       
 (IMG) Bild: Der "Korpsgeist" der Polizei hat eine Aufklärung des Falls Oury Jalloh bislang verhindert - nun wird der Prozess neu aufgerollt.
       
       Es wird nicht nur um Oury Jalloh gehen, am Mittwoch am Landgericht in
       Magdeburg, sondern mindestens so sehr um Andreas S. Er ist ehemaliger
       Dienstgruppenleiter des Polizeireviers Dessau. Und auch wenn die Richter
       darüber kein Urteil fällen können: Es wird auch um die Mauer aus Schweigen
       gehen, die S. schützt. Und damit um das Verhalten der Polizei in
       Sachsen-Anhalt.
       
       Sechs Jahre ist es her, dass Oury Jalloh, Asylbewerber aus Sierra Leone, an
       einem Freitagmittag im Januar in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Ab
       Mittwoch kommt der Fall noch einmal vor Gericht, in Magdeburg wird er neu
       verhandelt. Der Bundesgerichtshof hatte den Freispruch gegen
       Dienstgruppenleiter Andreas S. wegen Lücken in der Beweisführung
       aufgehoben.
       
       Am mangelnden Aufklärungswillen der Angeklagten war der erste Prozess vor
       dem Landgericht Dessau-Roßlau gescheitert. Das sahen nach dem Freispruch im
       Dezember 2008 nicht nur Menschenrechtsinitiativen und Oury Jallohs Freund
       Mouctar Bah so. "Der Fall strotzt vor Versäumnissen und Schlamperei", sagte
       der damalige Richter Manfred Steinhoff schon kurz nach Prozessbeginn.
       Nebenklageanwalt Felix Isensee fand in seinem Plädoyer ein Wort für das,
       was viele beklagten. "Korpsgeist der Polizei", nannte er es. "Die Zeugen
       haben gelogen und gemauert."
       
       Die Landesregierung verbreitete nach dem Urteil eine ungewöhnliche
       Erklärung: Sie erwarte von ihren Beamten, "dass sie zur Wahrheitsfindung
       beitragen und helfen, Schaden vom Land Sachsen-Anhalt abzuwenden", stand
       darin. Und Ministerpräsident Wolfgang Böhmer äußerte Verständnis für die
       Empörung über die Freisprüche.
       
       Was aber musste vertuscht werden? Nach den bisherigen Aussagen stellt sich
       der Fall wie folgt dar: Am Morgen des 7. Januar 2005 wird Oury Jalloh in
       das Polizeirevier eingeliefert. Er hat zwei Promille Alkohol im Blut und
       Frauen haben sich von ihm belästigt gefühlt. Weil er sich wehrt, wird er an
       Händen und Füßen gefesselt und in eine geflieste Zelle im Keller gebracht,
       in der sich nur eine Liege mit einer schwer entflammbaren Matratze
       befindet. Etwa zweieinhalb Stunden lang gibt es keine Auffälligkeiten.
       
       Um die Mittagszeit schlägt der Rauchmelder der Zelle an. Der
       Dienstgruppenleiter ignoriert ihn - und auch einen zweiten Alarm. Es habe
       schon des Öfteren Fehlalarm gegeben. Erst nachdem über eine
       Wechselsprechanlage Hilferufe von Jalloh zu hören sind, alarmiert eine
       Beamtin das übrige Revier. Versuche, in die Zelle einzudringen, scheitern
       am vielen Rauch. Rettungskräfte können später nur noch den Tod von Oury
       Jalloh feststellen. Er starb an einem Hitzeschock.
       
       Wie in einem nahezu brandsicheren Raum ein Feuer ausbrechen konnte, wurde
       trotz einer aufwendigen Simulation nie geklärt. Experten bauten die Zelle
       nach, machten Brandversuche mit den Materialien - ohne Ergebnis. Der
       Verdacht, ein im ersten Prozess ebenfalls angeklagter Polizist habe Oury
       Jalloh ungenügend kontrolliert, sodass er ein Feuerzeug in die Zelle
       schmuggeln konnte, wurde fallen gelassen. In der Zelle waren Reste eines
       Feuerzeugs gefunden worden. Aber Jalloh war gefesselt und der Bezug der
       Matratze flammensicher.
       
       Das Aufsehen, das der Fall erregte, entsprang aber nicht allein den vielen
       Ungereimtheiten und der Tatsache, dass Jalloh bei rechtzeitigem Eingreifen
       hätte gerettet werden können. Gerade die Haltung der Angeklagten erregte.
       Etwa das Protokoll eines Telefonats zwischen dem Dienstgruppenleiter
       Andreas S. und einem Arzt, der Jalloh untersuchen sollte. S. fragte: "Ja,
       piekste mal nen Schwarzafrikaner?" - "Ach du Scheiße, da finde ich immer
       keine Vene bei den Dunkelhäutigen." S. antwortete: "Na bring doch ne
       Spezialkanüle mit." Sogar in einer Führungskräfteberatung der früheren
       Polizeidirektion Halle fiel der Satz "Schwarze brennen eben mal länger".
       
       Ohne sein Unbehagen zu verbergen verkündete Richter Steinhoff am Ende den
       Freispruch, nachdem Bemühungen zur Einstellung des Verfahrens gescheitert
       waren. Ebenso klar war aber auch, dass die Staatsanwaltschaft und die
       Nebenklage Revision beantragen würden. Genau am fünften Todestag Jallohs
       hob der BGH das Dessauer Urteil auf.
       
       Ob der neue Prozess wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung auch neue
       Ergebnisse bringt, hängt davon ab, ob die wesentlichen Zeugen aus dem
       Polizeirevier dieses Mal offener sprechen. Es ist die Frage dieses
       Prozesses: Hat sich etwas an der Einstellung des Angeklagten oder seiner
       Kollegen geändert?
       
       Was die Polizei in Sachsen-Anhalt angeht, hatte der Fall Konsequenzen.
       Selbst Linken-Innenpolitikerin Gudrun Tiedge sagt, dass sich "etwas tut in
       der Ära Hövelmann". Es gibt Versuche, das Schweigen zu brechen.
       
       Der SPD-Politiker Holger Hövelmann ist seit 2006 Innenminister von
       Sachsen-Anhalt. Er hat die Vorgaben verschärft, wie mit Menschen in
       Polizeigewahrsam umgegangen werden muss, etwa wann Fesseln angelegt werden
       dürfen. Als Behörden Statistiken rechter Straftaten fälschten, trat der
       Chef des Landeskriminalamts zurück. Ein Polizeiuntersuchungsausschuss des
       Landtags beschäftigt sich mit insgesamt sechs Fällen von möglicher
       Verharmlosung rechter Straftaten. Im Februar soll ein Abschlussbericht
       erscheinen. Seit 2009 gibt es in Sachsen-Anhalt außerdem eine
       Polizeibeschwerdestelle für Bürger. Allerdings nicht unabhängig, sondern
       beim Innenministerium angesiedelt, wie Linke und Grüne kritisieren.
       
       In Dessau gab es jüngst zwei Gespräche zwischen der Deutsch-Afrikanischen
       Initiative und der Polizei. Vorausgegangen war dem allerdings ein rüder
       Polizeieinsatz im Dezember 2009 in einem Dessauer Telecafé. Er wurde mit
       dem Verdacht auf Drogenhandel begründet. Dabei räumte selbst die Polizei
       später ein, Betreiber und Mitarbeiter des Cafés selbst hätten sie früh auf
       die Drogenszene in der Straße aufmerksam gemacht. Das Café leitet Mouctar
       Bah, Oury Jallohs Freund.
       
       7 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
       
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