# taz.de -- Zukunft in Marzahn: Rückkehr des Industriezeitalters
       
       > Berlin will wieder Produktionsstandort werden. Dabei setzt es auf die
       > Verzahnung von Forschung und Fertigung. Im Bezirk Marzahn bekommen jetzt
       > Firmen der "Clean Tech"-Branche einen eigenen Industriepark.
       
 (IMG) Bild: Solarzellen, reinste Clean Tech, hier schon auf dem Dach.
       
       Eine Hochglanzbroschüre und 90 Hektar Brachland am Stadtrand, mehr braucht
       es nicht, um aus Marzahn einen modernen Industriestandort zu machen: Wo
       jetzt noch Unkraut über verlassenen Anlagen eines ehemaligen Klärwerks
       wuchert, sollen sich ab 2012 Unternehmen der "Clean Tech"-Branche
       ansiedeln.
       
       Solaranlagen, Dämmstoffe, Elektromotoren, Biokraftstoffe - zur Clean Tech
       zählt, was Ressourcen schont und Emissionen verringert. "Clean Tech
       Business Park Berlin-Marzahn" nennt sich das Projekt, das nicht nur dem
       Bezirk Arbeitsplätze und ein neues Image bescheren soll, sondern den
       Anspruch hat, Berlin als Industriestandort auf die Landkarte zurückzuholen.
       
       "Seit 1945 ist in Berlin keine zusammenhängende Industriefläche dieser
       Größe mehr ausgewiesen worden", sagt Christian Gräff (CDU),
       Wirtschaftsstadtrat von Marzahn-Hellersdorf. Sein Amt hat sich auf
       Nachfragen seitens der Industrie entschlossen, den Park anzulegen. Nun ist
       es für dessen Realisierung zuständig und bereitet derzeit die Brache auf
       die Ansiedlung von Industriebetrieben vor.
       
       In den kommenden zwei Jahren soll die Infrastruktur in Form von Straßen,
       einem Abwassersystem und Bodenfiltern fertiggestellt werden. 24 Millionen
       Euro Fördermittel wurden bei Land, Bund und EU lockergemacht. "Berlin hat
       in den letzten Jahren zu viele Unternehmen ans Umland verloren", meint
       Gräff, "höchste Zeit, dass wir die Betriebe wieder in der Stadt halten."
       
       Historisch betrachtet sind Berlin und die industrielle Produktion
       untrennbar miteinander verbunden - schließlich verdankt die Stadt ihren
       Aufstieg zur Metropole der Industrialisierung. Unternehmen wie Borsig,
       Siemens und AEG hatten hier ihren Sitz und kurbelten nicht nur die deutsche
       Wirtschaft, sondern auch die Urbanisierung an. "Elektropolis" wurde Berlin
       damals auch genannt.
       
       Doch mit der Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Abstieg: Aus
       West-Berlin zogen die Konzernzentralen in die Bundesrepublik ab und ließen
       lediglich hochsubventionierte Fertigungsstätten ohne Forschungsabteilungen
       zurück - die "verlängerten Werkbänke". Ost-Berlin wurde Verwaltungshochburg
       - was an Industrie nicht ins Umland abwanderte, verharrte mit veraltender
       Technik.
       
       Nach der Wende gab es wenig, an das anzuschließen sich gelohnt hätte. Man
       setzte auf Kultur und Kreativität und erklärte Berlin zur
       Dienstleistungsmetropole. Industrielle Fertigung wurde für überholt, das
       Industriezeitalter für beendet erklärt - etwas vorschnell, wie der Senat
       heute glaubt.
       
       "Industrie ist die Grundlage für eine stabile Wirtschaftsstruktur", sagt
       Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke). Unternehmen dieser Branchen
       schafften sichere Vollzeit-Arbeitsplätze. "Zudem ist davon auszugehen, dass
       ein Industriearbeitsplatz etwa drei in verschiedenen
       Dienstleistungssektoren nach sich zieht", so Wolf. Berlin habe das
       Potenzial für industrielles Wachstum, man müsse es nur nutzen.
       
       Folglich hat der Senat im Juni einen "Masterplan Industriestadt Berlin
       2010-2020" verabschiedet, der die behutsame Reindustrialisierung der Stadt
       in den nächsten zehn Jahren vorsieht. Dahinter steht ein Netzwerk aus
       Senat, DGB, Industrie- und Handelskammer (IHK), der Investitionsbank Berlin
       (IBB) und zahlreichen Industrieverbänden, die gemeinsam die Finanzierung
       konkreter Aktionen sicherstellen. Eine davon ist die Realisierung des Clean
       Tech Parks in Marzahn. "Unser gemeinsames Ziel ist es, ein
       überdurchschnittliches Wachstum der Industrie in Berlin zu erreichen", sagt
       Senator Wolf. Eine konkrete Zahl an Arbeitsplätzen zu nennen, die dabei
       entstehen sollen, hält er aber für unseriös.
       
       Um Betriebe zur Ansiedlung in Berlin zu motivieren, setzt der Masterplan
       vor allem auf die zahlreichen vorhandenen Forschungseinrichtungen, von
       deren Erkenntnissen die Firmen profitieren sollen. Damit die Kommunikation
       funktioniert, werden zum Beispiel Internetplattformen aufgebaut, mit deren
       Hilfe man sich vernetzen kann. Hier besteht aus Sicht des Netzwerks
       Nachholbedarf.
       
       Auf Absolventenmessen und Praktikumsbörsen sollen zudem die gut
       ausgebildeten Fachkräfte mit den Unternehmen in Kontakt gebracht werden.
       Viele verlassen bislang nach dem Studium Berlin auf Arbeitssuche in
       Richtung Westdeutschland. Ihr Wissen soll künftig in der Stadt bleiben, um
       den örtlichen Unternehmen und damit dem Wirtschaftsstandort zu nutzen.
       
       Service lautet die Devise 
       
       Noch ein wichtiges Ziel des Masterplans: Die Verwaltung soll
       serviceorientierter werden, etwa indem Bezirke und Senat einheitliche
       Ansprechpartner für Unternehmen bieten. Bislang müssen sich Firmen etwa bei
       der Akquise von Fördergeldern durch komplette Ämter telefonieren - auch
       dieses Hemmnis gilt es zu beseitigen, um Berlin wieder zu einem attraktiven
       Industriestandort zu machen.
       
       Begleitet werden die Bemühungen von einer Imagekampagne, die Berlin vom Ruf
       der armen Kreativhauptstadt befreien soll und allein zwei Millionen Euro
       kostet. "Alle glauben, die Industrie in Berlin sei tot", sagt Christoph
       Lang, Sprecher der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner, die
       die Kampagne durchführt. Dabei betreibe etwa Siemens immer noch seinen
       größten Standort in Berlin, BMW produziere hier alle seine Motorräder und
       Daimler seine Elektromotoren. "Wir müssen dafür sorgen, dass Berlin wieder
       als Industriestadt wahrgenommen wird."
       
       Zwei große Standortvorteile macht Lang in der Stadt aus: Neben der
       Forschungslandschaft und der damit einhergehenden Versorgung mit gut
       ausgebildeten Mitarbeitern betrachtet er die Brachen als Chance. "In keiner
       anderen europäischen Hauptstadt findet man noch so viele Freiflächen, die
       eine derartige Entwicklung überhaupt erst möglich machen", sagt er. Diese
       Vorteile müsse man jetzt nur noch vermarkten.
       
       Somit scheint der Re-Industrialisierung Berlins nichts mehr im Weg zu
       stehen. Wer diese jedoch gleichsetzt mit einer Rückkehr zur industriellen
       Massenproduktion des 19. Jahrhunderts, der irrt sich: "Für
       Billigproduktionen sind wir einfach nicht konkurrenzfähig", sagt Lang.
       Günstige Autos würden heute in Asien zusammengebaut, da seien die
       Lohnkosten niedriger und die Umweltauflagen lockerer. "Aber warum sollten
       die technisch hochwertigen Batterien für Elektroautos nicht in Berlin
       gefertigt werden?" Moderne Industrien seien die Zukunft - dazu zählten auch
       die ressourcenschonenden Unternehmen aus dem Bereich Clean Tech, auf die
       man es in Marzahn abgesehen habe.
       
       Berlin hat gute Karten 
       
       "Derzeit sind wir viel auf Messen unterwegs, um den Standort überhaupt erst
       mal bekannt zu machen", erzählt Marzahns Wirtschaftsstadtrat Gräff.
       "Weltweit gibt es jährlich nur 100 Industrieansiedlungsprojekte - von denen
       muss man erst mal erfahren." Sei der Kontakt einmal hergestellt, habe
       Berlin aber immer gute Karten. "Gut ausgebildete Mitarbeiter auf die grüne
       Wiese zu locken ist schwierig. Nach Berlin wollen sie alle."
       
       Eine Einstellung, die man auch bei der Opposition teilt. "Ich glaube nicht,
       dass der Park mit seinen 90 Hektar zu groß dimensioniert ist", sagt
       Bernadette Kern, Fraktionsvorsitzende der Grünen in der
       Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Marzahn-Hellersdorf. Vielmehr begrüße
       ihre Partei, dass man sich mit der Spezialisierung auf Clean Tech für
       alternative Industrien entschieden habe und dieser in Marzahn so viel Raum
       gebe. "Das Gelände war bereits zuvor industriell genutzt. Natürlich macht
       es auch mehr Sinn, dort wieder Fabriken anzusiedeln als dafür in die
       unberührte Natur nach Brandenburg zu gehen."
       
       Wie viele Unternehmen letztlich angeworben werden müssen, damit der Clean
       Tech Park ausgelastet ist, kann selbst Gräff als Leiter des Projekts nicht
       sagen. Das hinge zu sehr von der jeweiligen Größe der einzelnen Betriebe
       ab. Sorgen, dass sich zu wenig Interessenten für das Gelände finden
       könnten, mache er sich jedoch nicht.
       
       Auch eine Konkurrenz innerhalb der Stadt - mit dem Wissenschafts- und
       Technologiepark Adlershof oder dem Flughafen Tegel, der nach seiner
       Schließung im Jahr 2012 in einen Industriepark umgewandelt werden soll -
       sieht Gräff nicht: "In Tegel sollen auch Forschungseinrichtungen
       angesiedelt werden", meint er. Die reine Industriefläche mit vielleicht 20
       Hektar würde viel kleiner als der Marzahner Clean Tech Park, der auch einen
       zeitlichen Vorsprung habe.
       
       Genauso wenig Angst habe er vor Adlershof: "Wir arbeiten vielmehr eng
       zusammen. Was in Adlershof erforscht wird, kann später bei uns produziert
       werden," so Gräff. Der Platz dort sei schließlich auch begrenzt. Ob der
       Bedarf an Flächen für industrielle Fertigung am Ende groß genug für die
       Auffüllung aller Berliner Brachen ist, werde sich erst mit der Zeit
       herausstellen.
       
       Ein Unternehmen, das bereits Interesse an einem Standort im Clean Tech Park
       angemeldet hat, ist Inventux Technologies. Der Hersteller von Solarmodulen
       produziert schon seit Ende 2008 auf einer Fläche von 4,5 Hektar in Marzahn.
       "Gegründet wurde das Unternehmen ein Jahr zuvor in der Nähe von Bielefeld",
       sagt Sprecherin Franciska Obermeyer. Bei der Produktion habe man sich für
       Berlin entschieden, weil hier ein Großteil der Forschung im Bereich
       Solarenergie stattfinde. "Außerdem haben wir von den zusätzlichen
       Fördergeldern für Ansiedlungen in Ostdeutschland profitiert."
       
       Heute hat Inventux 240 Mitarbeiter, Tendenz steigend. "Viele unserer
       Beschäftigten kommen aus Marzahn, sodass wir mittlerweile fester
       Bestandteil des Bezirks sind", meint Obermeyer. Nachdem bekannt geworden
       sei, dass sich Inventux dort niederlassen wollte, seien erstaunlich viele
       Bewerbungen von qualifizierten Interessenten eingegangen. "Über
       Fachkräftemangel können wir uns nicht beklagen."
       
       Neben neuen Produktionsflächen erhofft man sich bei Inventux vom Clean Tech
       Park die Ansiedlung von Zulieferbetrieben in nächster Nähe. Bisher beziehe
       man etwa die für die Produktion der Solarmodule nötigen Prozessgase und
       Verpackungen aus ganz Deutschland, erzählt Obermeyer. "Wenn hier in Marzahn
       ein Solar-Cluster entstünde, das wäre super."
       
       Kurt Geppert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für
       Wirtschaftsforschung (DIW) und Autor einer Studie über das wirtschaftliche
       Potenzial Berlins. "Eine Förderung nach Kompetenzfeldern statt nach dem
       Gießkannen-Prinzip ist genau richtig", sagt er. Demnach ist Marzahn mit
       seiner Clean-Tech-Spezialisierung auf dem richtigen Weg. Geppert warnt aber
       vor überzogenen Erwartungen, was die Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt
       angehe: "Industrie als wirtschaftliche Basis ist wichtig. Aber sie muss
       standortgerecht sein, und in einer Großstadt wie Berlin werden
       Dienstleistungen immer der Schwerpunkt bleiben."
       
       Wer glaubt, aus Berlin könne mit Hilfe des Masterplans noch einmal ein
       "Elektropolis" werden, liegt also falsch. Eine kreative Metropole mit
       angeschlossenem Clean-Tech-Standort ist dagegen durchaus denkbar.
       
       11 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juliane Wiedemeier
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA