# taz.de -- Enquete zu Wirtschaftswachstum: Darf's ein bisschen weniger sein?
       
       > Der Unternehmer Harald Rossol will nicht, dass seine Firma wächst. Wie
       > wichtig ist Wirtschaftswachstum? Das nimmt ab Montag eine
       > Enquetekommission unter die Lupe.
       
       Diese Bremer Firma ist eine große Ausnahme. Harald Rossol, ihr Chef, sagt
       ganz erstaunliche Sachen. So bekennt er: "Wir wollen nicht wachsen." Sechs
       Beschäftigte in seinem Unternehmen für Informationstechnologie seien ihm
       genug. "Dabei bleibt es, obwohl wir locker Arbeit für mehr Leute hätten."
       Der 48-jährige Rossol beschränkt sich - und damit auch seine
       Gewinnaussichten.
       
       Ein solcher Standpunkt bei einem Unternehmer ist ungewöhnlich. Würden die
       Vorstände von Daimler, Siemens oder auch Solarworld Ähnliches sagen,
       könnten sie sich einen neuen Job suchen. Die Aktien würden ins Bodenlose
       fallen, die Firmen würde von Konkurrenten geschluckt. Ein Konzern, die
       Wirtschaft, die ganze Gesellschaft kann ohne Wachstum nicht leben - das ist
       die Beschwörungsformel, die kaum jemand in Zweifel zieht.
       
       Harald Rossol jedoch behauptet das Gegenteil. "Unser Umsatz wächst nicht,
       er bleibt stabil, und trotzdem geht es uns gut." Seit 1991 versorgt sein
       Bremer Betrieb b.r.m. vor allem mittelständische Firmen mit Computern und
       dem Know-how drum herum. Rossol bietet seinen Kunden auch an, den
       Energieverbrauch des Serverraums zu reduzieren, und er kümmert sich um die
       Entsorgung alter Bauteile. Die Berater sitzen in einem modernen Büro im
       alten Bremer Hafen. Ein Erfolgsmodell - mit einer Spur Lässigkeit. Damit
       wäre es vorbei, würde er die Zahl seiner Mitarbeiter verdoppeln oder
       verdreifachen, befürchtet Rossol. Dann hätte er jede Menge
       Managementaufgaben zu erledigen und könnte sich nicht mehr persönlich um
       die Kunden kümmern.
       
       Rossols Skepsis gegenüber betriebswirtschaftlichem Wachstum findet Reinhard
       Loske super. Vor einem Jahr hat der Bremer Umweltsenator von
       Bündnis90/Grüne die Enquetekommission des Bundestags mit initiiert, die am
       Montag ihre Arbeit aufnimmt. "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" steht
       als Überschrift über dem Vorhaben, das 17 Abgeordnete aller
       Bundestagsparteien und 17 Wissenschaftler von alternativ bis konservativ
       nun bereits seit einigen Jahren beschäftigt.
       
       Es geht um zwei Punkte. Erstens: "Ist eine stabile Entwicklung Deutschlands
       auch ohne oder mit nur geringem Wachstum möglich?" Außerdem will man einen
       neuen Wohlstandsindikator entwickeln, der - anders als das
       Bruttoinlandsprodukt (BIP) - nicht nur den Geldwert der produzierten Güter
       und Dienstleistungen misst, sondern vielleicht auch die Zufriedenheit der
       Bürger.
       
       "In unserer hoch effektiven Wirtschaft leiden immer mehr Menschen an
       Erschöpfung", beschreibt Loske ein Motiv der Enquetekommission. "Sie
       wünschen sich mehr Zeit statt mehr Arbeit oder Geld. Sie bezweifeln, dass
       der Zwang zum ewigen Mehr noch einen Sinn hat." Und es geht Loske um die
       Schäden, die unsere Ökonomie verursacht. Er glaubt nicht, dass wir
       Klimawandel und Umweltzerstörung stoppen könnten, wenn wir einfach
       Kohlekraftwerke durch Solaranlagen ersetzen: "Wir brauchen auch eine
       Veränderung der Kultur und der Lebensstile."
       
       Diese Sicht ist sogar bei Bündnis90/Grünen umstritten - erst recht bei SPD,
       Union und FDP. Doch auch diese Parteien tragen die Enquetekommission mit.
       Warum? Sie haben festgestellt, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung
       ändert. Das mag auch mit der Finanzkrise zu tun haben, in der die
       Wachstumsökonomie eine historische Niederlage erlitten hat. Ein Indikator
       der Akzeptanz wachstumskritischer Gedanken in breiten Bevölkerungskreisen
       ist der Erfolg des Buchs "Exit - Wohlstand ohne Wachstum" des eher
       konservativen Wissenschaftlers Meinhard Miegel.
       
       Aber haben wir überhaupt eine Chance, auf Wachstum zu verzichten? Würde
       dann nicht unser ganzer Wohlstand verloren gehen? Der technische
       Fortschritt in Deutschland macht jedes Jahr 1 bis 2 Prozent der
       Beschäftigten überflüssig - weil mit besseren Maschinen und Computern
       weniger Leute die gleiche Menge herstellen können. Also muss die Wirtschaft
       wachsen, damit die zusätzliche Produktion auch zusätzliche Arbeitsplätze
       für das an anderer Stelle wegrationalisierte Personal schafft.
       
       Ein anderes Beispiel für den vermeintlichen Wachstumszwang: Unternehmen
       müssen jedes Jahr mehr Geld erwirtschaften, weil ihre Kosten für
       Vorprodukte, für Treibstoff und Löhne steigen. Täten sie es nicht, würde
       ihr Gewinn dahinschmelzen, und sie würden bald von der Konkurrenz
       übernommen.
       
       Diesen Druck spürt natürlich auch der Bremer Unternehmer Harald Rossol. Er
       reagiert aber nicht, indem er mehr Beschäftigte einstellt und seinen Umsatz
       in die Höhe treibt. "Wir tun alles, um unsere Arbeitsprozesse besser und
       effektiver zu machen", erklärt Rossol. So werden Rechnungen bei b.r.m.
       nicht mehr individuell verfasst, sondern das System spuckt sie am ersten
       Werktag jedes Monats automatisch aus. Dem Kostendruck von außen begegnet
       die Firma mit Kostensenkung im Innern. Sogar der Gewinn steigt dabei. Das
       muss nicht ewig so bleiben, aber zurzeit klappt es. Das zeigt: Auch in
       Unternehmen gibt es Möglichkeiten, anders mit dem Druck umzugehen - der
       behauptete Zwang zu Umsatz- und Mengenwachstum existiert nicht.
       
       Wenn man also das Prinzip des ewigen Mehr gesamtgesellschaftlich infrage
       stellen wollte, was müsste man dann tun? Der Vorschlag Reinhard Loskes:
       zumindest den Zwang zum Wachstum reduzieren. "Wir sollten beispielsweise
       die Sozialbeiträge der Beschäftigten und Unternehmen verringern", sagt der
       Grüne. Das würde die Kosten der menschlichen Arbeit senken, und die Firmen
       hätten weniger Grund, Arbeitsplätze wegzurationalisieren. Damit nähme auch
       die Notwendigkeit ab, durch hohes Wachstum Ersatzjobs zu schaffen. Das
       Minus an Staatseinnahmen ließe sich dadurch ausgleichen, dass man statt der
       Arbeit den Energieverbrauch höher besteuert und damit die Verschwendung
       eindämmt.
       
       Bleibt die Frage, ob Wachstum heute wirklich so wichtig ist, wie viele
       stets behaupten. Vielleicht ist Harald Rossols Bremer IT-Firma gar keine
       Ausnahme. Was ist mit den hunderttausenden Kleinfirmen, den
       Handwerksbetrieben, Friseurläden und Gemüsehändlern, die einen Großteil der
       Arbeitsplätze in diesem Land stellen? Die meisten wachsen nicht - und sie
       überleben doch. Wie sagte ein türkischer Gemüsehändler in Berlin-Kreuzberg,
       der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte? "Mein Umsatz stagniert,
       mein Gewinn geht zurück." Trotzdem verkauft er zusammen mit seiner Frau
       seit Jahrzehnten die schmackhaftesten Pasten und Köfte - und er wird es
       wohl noch zwanzig Jahre tun. Wirtschaften ohne Wachstum ist vielleicht
       schon längst die Regel.
       
       16 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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