# taz.de -- Staatsakt in Afghanistan verschoben: Karsai trickst Parlamentarier aus
       
       > Wegen unliebsamer Wahlergebnisse verschiebt Präsident Karsai erneut die
       > Eröffnung des im September gewählten Parlaments. Damit riskiert er eine
       > Verfassungskrise.
       
 (IMG) Bild: Immer wieder für Tricks zu haben: Hamid Karsai.
       
       KABUL/BERLIN taz | Der Präsident wartete bis zum späten Nachmittag, dann
       ließ er die politische Bombe platzen: Nur wenige Tage vor der erst für
       Sonntag geplanten Eröffnung des neugewählten Parlaments wurde der Staatsakt
       um einen weiteren Monat verschoben. Das stand in einer dürren Erklärung,
       die Hamid Karsais Sprecher am Mittwoch in Kabul bekannt gab. Karsai habe
       damit einer Forderung des Gerichts nachgegeben, das er kurz vor Weihnachten
       selbst ins Leben gerufen hatte, um Fälschungen bei der Parlamentswahl von
       18. September weiter nachzugehen.
       
       Dass es wie schon 2009, als Karsai selbst wiedergewählt worden war, zu
       massiven Fälschungen kam, ist unstrittig. Die Wahlkommission (IEC) musste
       ein Fünftel aller Stimmen annullieren. Nur über die Schuldfrage herrscht
       Uneinigkeit. Während internationale Beobachter davon ausgehen, dass fast
       alle Kandidaten versuchten, ihre Ergebnisse zu manipulieren, beschuldigte
       Karsai "die Ausländer".
       
       Die hatten es trotz der Erfahrungen aus dem schon inkorrekt verlaufenen
       ersten Wahlzyklus 2004/05 und dem Desaster von 2009 versäumt, Lehren zu
       ziehen und auf umfassende Wahlreformen zu drängen. Schlecht ausgerüstet,
       unerfahren, aber auch durch eigenes Missmanagement verlor die IEC während
       der Einspruchsfristen den Überblick. Entscheidungen wurden nicht richtig
       dokumentiert, hunderte Wahlurnen verschwanden, andere tauchten unvermittelt
       wieder auf.
       
       Dadurch war es leicht für die Verlierer, darunter viele Karsai-treue
       Kandidaten, IEC-Entscheidungen anzufechten. Auch Karsais Sondergericht
       musste nicht lange suchen. Der eigentliche Hintergrund: Der Präsident war
       mit dem Wahlergebnis unzufrieden, besonders über das in der umkämpften
       Provinz Ghazni. Dort gewann keiner der Paschtunen, die in der Regel Karsai
       unterstützen. Auch deshalb stellt diese Volksgruppe im neuen Parlament nach
       Zählung der Kabuler Zeitung Mandegar keine Mehrheit mehr wie bisher.
       
       Jetzt stellte das Sondergericht sogar Neuauszählungen in ganzen Provinzen
       oder Distrikten in Aussicht, was das schon im November von der IEC
       verkündete Endergebnis erneut in Frage stellt. Die 249 Abgeordneten, die
       schon ihre Urkunden erhalten hatten, müssen um ihre Sitze bangen.
       
       Kein Wunder, dass sie sich wehren. Schon zum Einführungsworkshop in einem
       Kabuler Hotel versammelt, erklärten eine Mehrheit von 200 von ihnen, die
       Empfehlungen des Sondergerichts seien "nicht bindend" und seine Existenz
       ohnehin "illegal". Karsai solle einen Stellvertreter schicken, wenn er zum
       letzten noch verfassungsmäßigen Termin der Parlamentseröffnung am 21.
       Januar auf Staatsbesuch in Russland sei.
       
       Das Hickhack ist ein Schock für westliche Regierungen. Sie fielen auf
       Karsais Beschwichtigungen herein, der erst gegen das Wahlergebnis
       protestierte, dann aber andeutete, der Januar-Termin stehe und das
       Sondergericht werde rechtzeitig fertig. Karsais Lager dürfte die in
       Aussicht stehende Blockade des Parlaments sogar willkommen sein. Das alte
       Parlament hatte Karsai eher als störend empfunden, vor allem seit es gleich
       in seiner ersten Abstimmung seinen Kandidaten für dessen Vorsitz, einen
       üblen Warlord, scheitern ließ.
       
       In den letzten Tagen rief Karsai immer wieder die sogenannten
       Dschihad-Führer aus dem Kampf gegen die Sowjets in den Palast. Laut Kabuls
       Gerüchteküche hätten die geraten, bis zu Neuwahlen nur mit dem Oberhaus zu
       arbeiten. Mit seinem Kurs erniedrigt und delegitimiert Karsai das Unterhaus
       und riskiert eine Verfassungskrise.
       
       Mitarbeit: Fabrizio Foschini und Gran Hewad
       
       20 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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