# taz.de -- Polizei-Bereitschaftszeiten: Atomtransporte werden teurer
       
       > Polizisten haben Anspruch auf vollen Freizeitausgleich für ihre
       > Bereitschaftsdienste beim Castor-Einsatz, urteilt das
       > Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Niedersächsisches Innenministerium
       > erwägt Revision.
       
 (IMG) Bild: Rumstehen, frieren und warten: Polizisten beim Castor-Einsatz im Wendland.
       
       HAMBURG taz | Bereitschaftsdienste bei Polizeieinsätzen müssen zu 100
       Prozent in Freizeit ausgeglichen werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht
       Lüneburg am Dienstag in einem Berufungsverfahren entschieden (Az. 5 LC
       178/09).
       
       Geklagt hatte ein Polizist, der beim Castor-Transport 2005 nach Gorleben 32
       Überstunden in Form von Bereitschaftsdiensten schieben musste. Nur acht
       davon waren ihm als Arbeitszeit angerechnet worden. Das niedersächsische
       Innenministerium will die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann
       über einen Antrag auf Revision entscheiden.
       
       Bei den Polizeieinsätzen zum Schutz der Atomtransporte ins Wendland fallen
       regelmäßig viele Tausend Überstunden an - unter anderem deswegen, weil die
       Beamten stundenlang in ihren Büros, Unterkünften oder Bussen auf ihre
       Einsätze warten müssen. Für die entstehenden Kosten - schon in der
       Vergangenheit mehrere Millionen Euro - muss zu einem großen Teil das Land
       Niedersachsen aufkommen.
       
       Versuche, diese Zusatzkosten mit anderen Bundesländern zu teilen, sind
       regelmäßig gescheitert. Für den jüngsten Castor-Einsatz im November 2010
       waren 16.500 PolizistInnen aufgeboten worden, darunter 4.500 aus
       Niedersachsen.
       
       Bei dem aktuellen Verfahren handelt es sich um einen Musterprozess, der von
       der Gewerkschaft der Polizei (GdP) unterstützt wurde. "Wir freuen uns
       riesig", kommentierte der stellvertretende Landesvorsitzende der GdP
       Niedersachsen, Dietmar Schilf, die Entscheidung. Schilf sprach von einem
       "wegweisenden Urteil" in puncto Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und
       Familienfreundlichkeit. Es komme nicht nur den niedersächsischen Beamten
       sondern auch denen der übrigen Länder und des Bundes zugute.
       
       Das OVG beurteilte eine Arbeitszeitvorschrift für den niedersächsischen
       Polizeivollzugsdienst als rechtsfehlerhaft, nach der Bereitschaftsdienst
       nur zu 25 Prozent auf die Arbeitszeit angerechnet wird.
       Bereitschaftsdienste müssten in gleichem Umfang wie Volldienste in Freizeit
       abgegolten werden, "wenn der Bereitschaftsdienst in Form persönlicher
       Anwesenheit geleistet wird und der Beamte jederzeit während des
       Bereitschaftsdienstes zur Verfügung stehen muss, um seine Leistungen
       erbringen zu können".
       
       Dem Freizeitausgleich stehe auch nicht eine Regel im niedersächsischen
       Beamtengesetz entgegen, nach der ein Beamter fünf Überstunden im Monat
       leisten muss, ohne dafür frei zu bekommen. Gehe die Mehrarbeit über die
       fünf Stunden hinaus, müssten sämtliche Überstunden in Freizeit abgegolten
       werden, urteilte das Gericht.
       
       Ein Sprecher des Niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) wies
       darauf hin, dass die Entscheidung nicht rechtskräftig sei. Überdies sei sie
       möglicherweise gar nicht so relevant, wie es den Anschein habe. "Die bisher
       streitige Rechtsfrage, ob sich aus europäischem Gemeinschaftsrecht ergibt,
       dass Bereitschaftsdienst stets wie Volldienst ungekürzt durch
       Freizeitausgleich abzugelten ist, wurde nach derzeitigem Kenntnisstand
       nicht entschieden", teilte das Ministerium mit. Auf diese Frage jedoch
       beziehe sich die Musterklage der Gewerkschaft.
       
       In Niedersachsen werde seit Jahrzehnten davon ausgegangen, dass
       Bereitschaftsdienst in seiner Intensität und Effektivität nicht dem
       Volldienst gleichgestellt werden könne. Der entsprechende Erlass stamme vom
       25. Mai 1992.
       
       "Bereitschaftsdienst, in dem sich die Beamtinnen und Beamten nicht im
       unmittelbaren Einsatz befinden, ist durch Ruhe- und Schlafphasen und Zeiten
       des Wartens geprägt", argumentiert das Ministerium. "Vor diesem Hintergrund
       wurde Bereitschaftsdienst stets geringer als Volldienst vergütet und nur
       anteilig durch Freizeit ausgeglichen."
       
       Die Lüneburger Richter stehen mit ihrem Urteil allerdings nicht alleine da.
       Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits im Oktober 2000 entschieden,
       dass ein Bereitschaftsdienst am Arbeitsplatz voll als Arbeitszeit zu werten
       sei. Die Luxemburger Richter gaben damit einer Klage spanischer Ärzte
       statt. Durch das Urteil änderten sich auch die Arbeitsbedingungen an den
       deutschen Krankenhäusern.
       
       26 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gernot Knödler
       
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