# taz.de -- Deutscher Diplomat über Afghanistan: "Es war eine Selbstüberschätzung"
       
       > Warum Afghanistan nicht Vietnam ist: Michael Steiner, Sonderbeauftragter
       > der Bundesregierung, über den geplanten Abzug der Bundeswehr aus Kundus.
       
 (IMG) Bild: Er wird gehen, das Strichmännchen bleibt: Bundeswehrsoldat in Afghanistan.
       
       taz: Herr Botschafter, werden die aktuellen drei Skandale bei der
       Bundeswehr den Rückhalt in der Bevölkerung für den Bundeswehreinsatz in
       Afghanistan weiter reduzieren? 
       
       Michael Steiner: Überhaupt nicht. Man muss unterscheiden zwischen den
       aktuellen Fällen und den schwierigen grundsätzlichen Fragen in Afghanistan.
       
       Hier scheint zumindest bei den Bundestagsparteien vor allem das Datum der
       Truppenreduzierung wichtig: Wie wirkt die deutsche Abzugsdebatte auf Sie? 
       
       Sie wird verkürzt geführt. Wenn wir das Engagement nur unter dem Aspekt des
       Abzugs sehen, werden wir nicht erfolgreich sein. Abzug kann nur mit einer
       langfristigen Strategie erfolgreich sein.
       
       Geht eine Truppenreduzierung 2011? 
       
       Das wollen wir erreichen. Es ist internationaler Konsens, in diesem Jahr
       mit der Sicherheitsübergabe zu beginnen, die 2014 beendet werden soll.
       
       Und wahrscheinlich ist, dass der Abzug wirklich beginnt? 
       
       Das wird so sein. Es gibt keinen Grund, das zu konditionieren. Das würde
       weder bei uns noch in der Region mitgetragen werden. So ist die politische
       Realität. Daran hängt auch unsere Glaubwürdigkeit. Auch wenn es nie
       Garantien gibt.
       
       Es mehren sich die Stimmen, die sagen: In Afghanistan wurden grundsätzliche
       Fehler gemacht. 
       
       Ohne Frage haben wir alle - Journalisten, Politik, internationale Partner -
       in der Afghanistan-Politik Fehler gemacht. Wir haben uns überhoben in dem,
       was wir uns vorgenommen haben. Und was wir dachten, verändern zu können.
       Wir waren zu unbescheiden.
       
       War es eine Illusion, mit einer westlichen Idee eines Staates in
       Afghanistan einzumarschieren? 
       
       Es war eine Selbstüberschätzung. Zum Beispiel in der Frage, wie weit man
       eine geschichtlich gewachsene Situation von außen nach seinen Vorstellungen
       verändern kann und darf.
       
       Was nun? 
       
       Wir sind von den Blütenträumen runter. Von "Schweiz am Hindukusch" redet
       keiner mehr. Wir wollen hinreichende Sicherheit und fundamentale
       Menschenrechte durchsetzen. Das ist eine realistische Zielsetzung.
       
       Was soll nach 2014 geschehen? 
       
       Das internationale Engagement muss weitergehen - aber ohne Kampftruppen.
       Die müssen dann durch trainierte afghanische Sicherheitskräfte und Polizei
       ersetzt sein.
       
       Ist es nicht illusorisch, integre Sicherheitskräfte aufzubauen? - die
       Korruption grassiert? 
       
       Isoliert betrachtet ist das sicher illusorisch. Deshalb dürfen wir
       Afghanistan erst recht nicht fallen lassen. Das Training muss weitergehen.
       Auch nach dem Abzug der Bundeswehr.
       
       Geht es nicht längst um einen gesichtswahrenden Abzug? 
       
       Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem überschaubaren Zeithorizont haben wir
       gegenüber den 48 internationalen Partnern Argumente, zu sagen: Zusammen
       rein, zusammen raus. Hätten wir den Zeithorizont nicht, würden einige
       abspringen.
       
       Morgen soll in Kabul das neugewählte Parlament eröffnet werden, vier Monate
       nach einer Wahl voller Manipulationen. Zeigt das Desaster der letzten
       Wahlen, massive Korruption, das immer problematischere Verhalten von
       Präsident Karsai und die anhaltende Schwäche demokratischer Institutionen,
       dass der Westen in Afghanistan auch politisch gescheitert ist? 
       
       Afghanistan liegt nicht in Europa. Es ist zweifelhaft, bei der afghanischen
       Geschichte unsere Ansprüche an Wahlen anzulegen. Selbstverständlich sind
       eine Million für ungültig erklärte Stimmen ein Indiz dafür, dass das Land
       längst nicht am Ziel ist. Aber die Wahlkommission hat sie eben für ungültig
       erklärt und sich damit viele Gegner verschafft. Das ist ein erster Schritt.
       
       Vor einem Jahr wurde bei der Londoner Afghanistan-Konferenz beschlossen,
       Verhandlungen mit gemäßigten Taliban zu ermöglichen. Warum ist das bisher
       nicht gelungen? 
       
       Es gibt erste Erfolge bei der Reintegration. Aber ein politischer Prozess
       braucht seine Zeit. Es muss erst mal Vertrauen geschaffen werden. Das
       funktioniert nicht auf Knopfdruck. Wir werden auch länger als dieses Jahr
       brauchen.
       
       Entwicklungsminister Niebel hat jetzt fast eine Verdopplung der Zahl der
       Entwicklungshelfer verkündet. Ist es bei der Korruption nicht riskant,
       plötzlich so viel Geld ins Land zu geben? Ja, das ist es. Einfach Geld
       hineinzuschütten ist kontraproduktiv. Aber wir geben keine Blankoschecks,
       sondern wollen Kontrollmechanismen. Wir wollen zugleich einen
       selbsttragenden Staat schaffen. Je mehr wir aber internationale Kontrolle
       einbauen, desto unmündiger machen wir die Afghanen.
       
       Es klingt nach Dilemma. Müssen wir uns an den Gedanken der Niederlage
       gewöhnen wie einst an die Bezeichnung Krieg? 
       
       Nein. Heute zeigen alle Resolutionen das Engagement der internationalen
       Gemeinschaft. Es geht um den Erfolg der verfassten internationalen
       Gemeinschaft. Deshalb kann es auch gelingen. Afghanistan ist nicht Vietnam.
       
       26 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
 (DIR) Gordon Repinski
       
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