# taz.de -- Streit um armenisch-türkisches Denkmal: Erdogan in der Provinzposse
       
       > In der Türkei eskaliert die Debatte über das unvollendete Mahnmal
       > türkisch-armenischer Versöhnung in Kars. Ministerpräsident Erdogan will
       > es jetzt wieder abreißen lassen.
       
 (IMG) Bild: Noch steht es: Denkmal in Kars.
       
       Von der Straße aus vermutet man zunächst eine Baustelle. Ein großer Kran
       ragt über die Baumwipfel hinaus, darunter liegen etliche Steinblöcke, die
       erst bei näherem Hinsehen erste Anzeichen einer Bearbeitung erkennen
       lassen. Nach wenigen Metern steht man dann jedoch schon in einem Atelier,
       das keinen Zweifel mehr daran lässt, dass es hier nicht um Straßenbau,
       sondern um Kunst geht, wenn es auch im Wortsinne große Kunstwerke sind, die
       hier entstehen.
       
       Mehmet Aksoy hat sein Atelier in einem kleinen Dorf auf halbem Weg von
       Istanbul zum Schwarzen Meer. So abgeschieden er hier auch lebt, derzeit
       geben sich bei ihm befreundete Künstler, Politiker und Journalisten die
       Klinke in die Hand. Der Künstler ist, ganz ohne eigenes Dazutun, derzeit
       "talk oft the town" in Istanbul.
       
       Kunstwerke von Aksoy können schon mal mehrere Tonnen wiegen, seine derzeit
       meistdiskutierte Arbeit wiegt sogar 1.500 Tonnen. Der weißhaarige, in
       sympathischer Weise an einen Althippie erinnernde Bildhauer ist der
       bekannteste und derzeit auch umstrittenste bildende Künstler der Türkei.
       Der Anlass dafür findet sich jedoch nicht in seinem Atelier, hier steht nur
       das Modell, sondern in Kars, einem Ort ganz im Osten des Landes, 30
       Kilometer von der armenischen Grenze entfernt.
       
       Er hat dort ein Mahnmal der Versöhnung gebaut, genauer gesagt, er ist immer
       noch dabei, es fertigzustellen. Das Mahnmal soll, wenn es einmal komplett
       ist, 35 Meter hoch sein. Es zeigt zwei Hälften eines in der Mitte
       durchtrennten stilisierten Körpers auf einem großen Sockel, die versuchen,
       den zwischen ihnen liegenden Raum zu überwinden. Die Skulptur symbolisiert
       das türkische und armenische Volk, die nach der "großen Katastrophe", dem
       Genozid von 1915, wieder aufeinander zugehen.
       
       "Als ich die Figur entworfen habe, hab ich an ein Lied gedacht, dass wir in
       den 70er Jahren in unserem Arbeiterchor in Kreuzberg immer gesungen haben",
       erzählt Mehmet Aksoy, als er versucht, seine Idee und den sich daran
       entzündeten Konflikt zu erklären. "Ein Lied aus Aserbaidschan, bei dem es
       darum geht, aufeinander zuzugehen." Mehrere Jahre lang hatte die
       Auseinandersetzung um sein Denkmal etwas von einer Provinzposse im fernen
       Osten des Landes. Türkische Nationalisten kämpften dagegen, Bürgermeister
       wechselten und Denkmalschutzkommissionen entschieden mal so oder so.
       
       Doch seit zwei Wochen redet die gesamte Türkei über sein Denkmal. Der
       Auslöser dafür war Ministerpräsident Tayyip Erdogan höchstpersönlich. Der
       war Anfang des Jahres in Kars und gab sich entsetzt. Das Denkmal sei
       "monströs", befand er und befahl kategorisch den Abriss. Seinem
       Kulturminister, der bei dem Abstecher im Osten dabei war und anschließend
       versuchte, die Wogen etwas zu glätten, fuhr Erdogan über den Mund und
       bekräftigte noch einmal: "Ja, ich habe gesagt, das Denkmal ist monströs und
       der zuständige Bürgermeister solle dafür sorgen, dass es schnellstmöglich
       verschwindet."
       
       Als Begründung gab Erdogan an, das Mahnmal überschatte die Grabstätte eines
       Sufi-Heiligen und eine Moschee. Mehmet Aksoy kann darüber nur den Kopf
       schütteln. Als er den Platz 2006 aussuchte und die zuständige
       Denkmalschutzbehörde den Plan prüfte, war von der Sufi-Türbe keine Rede und
       die Behörde hatte auch sonst keine Einwände.
       
       Den Platz hatte Mehmet Aksoy deshalb ausgesucht, weil die Statue dann der
       alten Burg von Kars gegenübersteht und so dem Krieg als Versöhnung
       entgegentritt. Kars war in der Vergangenheit wiederholt Schauplatz
       kriegerischer Auseinandersetzungen. Ganz in der Nähe fand eine der
       verlustreichsten Schlachten der osmanischen Armee im Ersten Weltkrieg
       statt, eine Niederlage, die mit zu dem Deportationsbefehl für die
       armenische Zivilbevölkerung führte, weil auf Seiten des russischen Feindes
       auch Armenier gekämpft hatten. Deshalb haben türkische Nationalisten schon
       vor Jahren in Igdir, einer Stadt in der Nähe von Kars, ein unsäglich
       militaristisches Denkmal errichtet, mit dem die "türkischen Opfer" der
       Armenier beklagt werden sollen.
       
       "Mein Denkmal", so Aksoy, "steht im Spannungsfeld zwischen dem
       Nationalistenschrein und dem Denkmal für die Opfer des Völkermordes in
       Eriwan, auf der armenischen Seite der Grenze. Das war die Herausforderung
       der ich mich stellen musste." Aksoy hat lange in Berlin gelebt. Zunächst
       sechs Jahre in der ersten Hälfte der 70er, später nach dem Militärputsch
       1980 musste er fliehen und war deshalb noch einmal neun Jahre in Berlin.
       "Damals", sagt er, "waren wir politisch sehr engagiert. Aber ich mache
       keine Agitprop-Kunst, und auch das Denkmal in Kars ist nicht im engen Sinne
       politisch, sondern Ausdruck humanen Denkens."
       
       Er ist traurig, dass seine Arbeit nun so vordergründig politisiert wird.
       Angegriffen zu werden von den Nationalisten in der Region, die schon 2008
       einen Baustopp durchsetzten, bevor er das Mahnmal vollenden konnte, damit
       hatte er gerechnet. Aber nun auch noch zum Spielball der unvollendeten
       Annäherung zwischen dem türkischen und dem armenischen Staat zu werden, ist
       zwar hochsymbolisch, macht ihn aber auch zornig.
       
       Ich werde gegen Erdogan klagen, kündigte er an. "Es gibt einen Vertrag mit
       der Stadtverwaltung von Kars, den müssen sie einhalten, auch wenn
       mittlerweile der Bürgermeister gewechselt hat." Außerdem, der Abriss dürfte
       nicht so leicht fallen. Die beiden Figuren sind um ein massives
       Stahlgerippe geformt worden, damit sie auch die Winterstürme in Kars
       unbeschadet überstehen können. "Einfach zerschneiden geht nicht",
       schmunzelt Mehmet Aksoy, "sie müssten schon Dynamit nehmen. Wie die Taliban
       mit den Buddha-Statuen." Und das, glaubt Aksoy, werden sie sich dann "doch
       nicht trauen".
       
       27 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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