# taz.de -- Überlebenskampf bei Werder: "Schönreden, Verkacken, Weiterrumpeln"
> Werder Bremen erlebt derzeit die größte Sinnkrise in der Ära
> Schaaf/Allofs. Ausgerechnet da kommt Bayern München ins Weserstadion.
(IMG) Bild: Hat keine große Erwartungshaltung: Werder-Trainer Thomas Schaaf.
BREMEN taz | Noch ist ungewiss, ob es sich bei den älteren, zornigen
Männern, die sich Anfang der Woche zum Weserstadion aufgemacht hatten, um
eine erste winzige Keimzelle des Widerstandes handelte - des Widerstands
gegen zwei Institutionen der Stadt, die zum SV Werder Bremen gehören wie
der Roland vors Rathaus. Besagte Protestler stellten jedenfalls ein braunes
Pappschild vor der Geschäftsstelle des Klubs auf. Darauf stand: "Schaaf +
Allofs raus!" Auf der Rückseite: "Schönreden. Verkacken. Weiterrumpeln."
Weder Cheftrainer Thomas Schaaf, 49, noch Vorstandschef Klaus Allofs, 54,
beide gemeinsam im Beinahe-Abstiegsjahr 1999 ins Amt gehievt, bekamen diese
Form des Frustes zu Gesicht. Jemand hatte das Stück Protestpappe ins
Gebüsch geschmissen, während die Bremer Baumeister hinter verschlossenen
Türen ihren Profis mal wieder die Leviten lasen. Um die Krisensitzungen an
der Weser zählen zu können, reichen die Finger einer Hand schon lange nicht
mehr - Werder befindet sich in der tiefsten Sinnkrise der Ära
Schaaf/Allofs. Und nun kommt am Samstag der FC Bayern München.
Was früher das Schlagerspiel der Liga war, ein Klassiker, den der frühere
Manager und heutige Aufsichtsratschef Willi Lemke schon mal als
Klassenkampf titulierte, ist für die Norddeutschen nur noch
Überlebenskampf. Und eine Art Schicksalsspiel. Schon lange nicht mehr
mussten sich Schaaf, der im kragenlosen Pullover erschienen war, und
Allofs, der eine schwarze Strickweste trug, derart kritischen Fragen
stellen wie auf der Pressekonferenz am Donnerstag. Nur die düstersten
Szenarien wie ein möglicher Abstieg oder der Rücktritt der Trainers wurden
verhandelt.
Kann es sein, dass sich nach einer erneuten kampflosen Niederlage ein
Denkmal selbst demontiert? Schaafs Standardantwort: "Es geht nicht um mich,
nicht um meine Person." Allofs Standardreflex: "Ich weiß, dass das Thema
brennend interessiert, aber der beste Trainer für Werder Bremen heißt
Thomas Schaaf. Wir sind überzeugt davon, wie er arbeitet."
Offiziell gibt dies auch der Aufsichtsrat zu Protokoll, doch es ist
häufiger zu hören, dass das Verhältnis des oft misslaunigen Cheftrainers zu
Teilen des Teams gestört sein soll. Ihm fehle der Zugang zu etlichen
Spielern, heißt es. Und verstrickt sich Schaaf nicht selbst in
Widersprüche? Einerseits behauptete Schaaf nun trotzig, dass "dieser Kader
mit minimalen Änderungen Dritter geworden ist", andererseits hat er für das
Bayern-Spiel "keine große Erwartungshaltung" - schon das Abrufen der
zuletzt verschüttgegangenen Elementartugenden würde ihm ausreichen.
Und bei Allofs, der die Hoheit über alle sportlichen und wirtschaftlichen
Angelegenheiten vereint, wird nicht nur die Personal-, sondern auch die
Finanzpolitik hinterfragt. In sechs der vergangenen sieben Jahre hat der
Klub den Rahm aus der Champions League abschöpfen dürfen, aber dennoch nur
dank der Millionendeals mit Diego (2009) und Özil (2010) positive Bilanzen
präsentiert. Zudem ist der SV Werder zur Hälfte an einer Gesellschaft
beteiligt, die einen äußerst fragwürdigen und zudem sündhaft teuren
Stadionumbau finanziert.
Zuvörderst aber scheiden sich die grün-weißen Geister an der nicht
stimmigen Architektur des Spielerkaders. Es scheint vorne wie hinten nicht
zu passen: Sonnige Gemüter wie Claudio Pizarro, isolierte Einzelgänger wie
Torhüter Tim Wiese, selbstverliebte Grenzgänger wie der Österreicher Marko
Arnautovic, überschätzte Leistungsträger wie Aaron Hunt oder Tim Borowski
und überforderte Eigengewächse wie Philipp Bargfrede bilden eine wenig
Harmonie versprechende Mixtur. Nationalspieler Per Mertesacker, der derzeit
fast gar nicht als Leitfigur taugt, wird im Sommer wohl das Weite suchen.
Selbst können die Hanseaten nur noch kleine Fische an Land ziehen: Von der
U 23 des FC Schalke ist gerade ein gewisser Predrag Stevanovic verpflichtet
worden. Vom FC Sao Paulo trainiert gerade testhalber ein Brasilianer namens
Samuel mit; Kicker, die nicht mal Insider kennen müssen.
Der Verfall des einstigen Vorzeigevereins Werder Bremen hat sich nicht über
Nacht vollzogen, sondern ist ein schleichender Prozess. Der Klub hat sich
über die Jahre immer mehr zur Wundertüte entwickelt, die immer wieder mit
unerklärlichen Aussetzern erschreckte: Den zehnten Platz aus der Saison
2008/2009 übertünchte der Sieg im DFB-Pokal; 2009/2010 rettete erst ein
Kraftakt am Saisonende die Teilnahme an der Champions League. Nun wären
alle in Bremen schon froh, wenn der zweite Abstieg der Vereinsgeschichte
abgewendet werden könnte. Ansonsten würde es sicher nicht bei nur einer
einzigen Protestpappe bleiben.
29 Jan 2011
## AUTOREN
(DIR) Frank Hellmann
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