# taz.de -- Montagsinterview mit Filmmacher Jan Schütte: "Auf die persönliche Handschrift kommt es an"
       
       > Auch ohne Ausbildung leitet Regisseur Jan Schütte seit einem halben Jahr
       > die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Seine Studenten
       > sollen sich ihre künstlerische Freiheit bewahren, sagt er. Er selbst gibt
       > das Filmen erst einmal auf.
       
 (IMG) Bild: "Habe mich nie als Autorenfilmer verstanden." Regisseur Jan Schütte.
       
       taz: Herr Schütte, seit September sind Sie Direktor der Deutschen Film- und
       Fernsehakademie Berlin. Zuvor haben Sie lange als Filmregisseur gearbeitet.
       Haben Sie das Regieführen jetzt an den Nagel gehängt? 
       
       Jan Schütte: Wenn man so eine Institution wie die dffb übernimmt, muss man
       sich zunächst einmal ganz um die Schule und die Studenten, die Dozenten und
       Mitarbeiter kümmern. Zudem war die dffb ja lange Zeit ohne Direktor. Filme
       machen werde ich also in den kommenden zwei, drei Jahren sicher nicht. Aber
       irgendwann möchte - und muss! - ich auch wieder Filme drehen.
       
       Bereuen Sie nicht ein wenig den Wechsel vom Set oder Schneideraum zum
       Schreibtisch? 
       
       Alles hat seine Zeit. Neben meiner Arbeit als Regisseur habe ich sehr früh
       begonnen, auch zu unterrichten. Als Lehrender zu arbeiten hat mir immer
       großen Spaß gemacht, und im Wechselspiel mit dem Filmemachen war die
       Erfahrung mit den Studenten sehr inspirierend. Aber die Leitung einer
       Schule wie der dffb ist noch mal eine eigene Herausforderung, für die ich
       die Regie gerne eine gewisse Zeit aussetze.
       
       Sie selbst haben Germanistik und Kunstgeschichte studiert, also keine
       Ausbildung an einer Filmhochschule absolviert. Wozu braucht es eigentlich
       Filmhochschulen, wenn es, wie in Ihrem Fall, auch anders geht? 
       
       Ich hatte das große Glück, mich über viele Stufen zur Spielfilmregie
       hinarbeiten zu können. Ich habe vieles ausprobiert: Journalist,
       Dokumentarfilmer, ich war Produktionsleiter und Regieassistent. Irgendwann,
       mehr aus Neugierde, passierte der Schritt zur Spielfilmregie. Der Weg war
       ungewöhnlich, damals aber noch möglich. Heute gibt es viele sehr gute
       Filmhochschulen, gerade in Deutschland. Die Absolventen sind sehr gut
       ausgebildet, für learning by doing außerhalb der Schulen ist da wenig
       Platz.
       
       Das Handwerkszeug als Filmemacher haben Sie sich angeeignet. Was braucht
       man als Lehrer oder Leiter einer Filmschule? 
       
       Natürlich bringe ich meine eigenen Erfahrungen, Erfolge und Niederlagen als
       Regisseur mit. Gleichzeitig arbeitet und diskutiert man mit den Studenten
       ihre Projekte und Filme. Generell, glaube ich, es kommt darauf an,
       neugierig und offen zu sein für die Studenten und ihnen die Balance
       zwischen Können, Wissen und Selbermachen zu vermitteln. Die Schule ist ein
       Raum, in dem man experimentieren kann und soll - übrigens auch mal im
       Scheitern. Man kann bestimmte Haltungen und Sichtweisen künstlerisch
       formulieren.
       
       Nicht so offen für Sie waren Studenten der dffb, als der Senat Sie zum
       Direktor berief. Es gab Proteste, Streiks, eine Abstimmung. Hat Sie das
       geschockt? 
       
       Ich habe versucht, das nicht persönlich zu nehmen. In einem bestimmten
       Sinne konnte ich den Unmut ja nachvollziehen. Mein Vorgänger Hartmut
       Bitomsky war 2009 von jetzt auf gleich gegangen. Die Studenten fühlten sich
       zum Teil im Stich gelassen. An der dffb war ein Vakuum entstanden, und bei
       den Studenten gab es vielleicht Frust über das reguläre Berufungsverfahren.
       
       Aber die Studenten äußerten auch direkte Vorbehalte gegen einen neuen
       Direktor Jan Schütte: zu mainstreamig, Agent des Hamburger Filmbüros …
       Haben Sie damals nicht mal überlegt, den Job nicht zu machen? 
       
       Den Widerstand empfand ich wie gesagt nicht als gegen mich persönlich
       gerichtet, sondern gegen das Verfahren. Daher habe ich mich trotz allem
       sehr auf die dffb, ihre Studenten und Mitarbeiter gefreut. Diese Arbeit war
       und ist mir wichtig.
       
       Die dffb gilt als eine der renommiertesten Filmakademien in Deutschland.
       Was ist ihr Profil? 
       
       Ich habe in den vergangenen Monaten viele hier produzierte Filme gesehen,
       mich überraschen Vielfalt, Breite und Qualität der Arbeiten. Die Studenten
       haben eine unglaubliche Verschiedenheit von filmischen Sprachen und Formen,
       Haltungen und Sichtweisen entwickelt, die ich als Direktor weiter fördern
       will.
       
       Wo bleibt das Handwerk? 
       
       Hier ist natürlich die Praxis ein wesentlicher Faktor. Was die dffb
       einzigartig macht, ist die Gleichzeitigkeit zweier Prozesse: Hier werden
       Regie, Drehbuchschreiben, Produktion und Kamera ausgebildet. Man lernt
       fundiert ein Handwerk. Gleichzeitig werden gleich zu Beginn die Jahrgänge
       gemeinsam übergreifend ausgebildet: Die Studenten lernen von Anfang, in
       Teams zu arbeiten. Aber am Ende geht es immer um die Frage: Welche
       ästhetischen oder formalen Ausdrucksformen habe ich zur Verfügung, wie
       transportiere ich filmisch meine Haltung und die Inhalte, und gelingt es
       mir, meine künstlerische Freiheit zu bewahren?
       
       Und da insistieren Sie als Direktor nicht da oder dort? 
       
       Es gibt da einen großen Unterschied: Unterrichte ich eine Klasse, lehre ich
       meine eigene Sichtweise. Als Direktor aber bin ich für alle Formen und
       Sprachen da, ob das nun ein Horrorfilm wird oder eine sehr persönliche,
       intime Arbeit. Ich versuche, jeden Film in seiner Form zu erkennen und dann
       so stark wie möglich zu machen. Ich betrachte es als Aufgabe, die
       künstlerischen Möglichkeiten zu stärken, die jemand besitzt. Manchmal sind
       das vielleicht andere, als die Studenten selbst bei sich sehen. Ich
       versuche, in der einen Hälfte meiner Zeit mir die Projekte und Filme der
       Studierenden anzusehen, und diskutiere mit ihnen in allen Entstehungsphasen
       darüber. Filme machen ist ein langwieriger Prozess. Die andere Hälfte
       meiner Arbeit besteht darin, wie jeder Hochschulleiter, die Institution
       nach außen zu vertreten, Dozenten zu gewinnen, die inneren Abläufe zu
       strukturieren, Mittel aufzutreiben, Filme auf Festivals zu bringen etc.
       
       Die dffb war einmal sehr politisch. Unter Hartmut Bitomsky entstand die
       "Berliner Schule" mit einem besonderen Realismus. Wird es eine
       Schütte-Richtung geben? Mehr poetischer Realismus etwa, ein Merkmal Ihrer
       eigenen Filme? 
       
       Ich werde sicher keine Richtung vorgeben. Für mich ist wichtig, jedem Film
       möglichst gute Bedingungen zu verschaffen und gleichzeitig die Studenten so
       zu fordern, dass sie das Beste aus ihren Projekten herausholen. Wenn, dann
       kommt eine Richtung von den Studenten selbst. Es wird ja auch in der Schule
       viel und intensiv diskutiert. Wenn sich hier also etwas herausschält, kann
       man das nur stärken. Mir persönlich ist ein durchaus kritischer Blick auf
       die Gesellschaft und die Suche nach entsprechenden Geschichten wichtig.
       Aber erzwingen kann man das nie.
       
       Müssen Ihre Absolventen heute fit für den kommerziellen Film- und
       Fernsehmarkt sein? 
       
       Nur Filmschaffende mit einer persönlichen Handschrift können sich beim Kino
       oder Fernsehen durchsetzen. Die Schule ist der Raum für die Studenten,
       ihren eigenen Stil zu entwickeln. Ich halte es für falsch, nach
       kommerziellen Entwicklungen zu schielen. Das heißt nicht, dass wir von der
       Außenwelt nichts wissen wollen. Ganz im Gegenteil: Darum kooperiert die
       dffb eng mit den Fernsehredaktionen. Und Projekte mit Arte und dem RBB
       gehören zum festen Bestandteil des Curriculums.
       
       Sie selbst kommen aus der Ära des Autorenfilms. Ist das damalige Ideal, die
       Filmproduktion vom Drehbuch bis zum Schnitt selbst zu bestimmen, heute noch
       Studenten vermittelbar? 
       
       Ich persönlich habe mich nie als Autorenfilmer verstanden. Ich habe Regie
       geführt und an Drehbüchern mitgeschrieben, eher zwangsweise habe ich auch
       produziert. Ich habe in unterschiedlichsten Konstellationen gearbeitet, mit
       kleinen Rucksackproduzenten bis zu großen Produktionsfirmen, mit sehr
       verschiedenen Autoren. Trotzdem hatte ich die Chance, eine persönliche
       Handschrift zu entwickeln. Und darauf kommt es in meinen Augen an, ob Sie
       nun Drehbücher schreiben, Kamera führen, über Finanzierungen grübeln oder
       Schauspieler inszenieren: eine persönliche Handschrift.
       
       Wo steht die dffb in fünf Jahren? 
       
       Im Moment lerne ich die Schule ja erst kennen. Ich würde mir wünschen, dass
       sich die Studenten einen offenen, neugierigen Blick bewahren und sich die
       Fragen des Lebens in ihren Filmen sehr unterschiedlich widerspiegeln. Beim
       letzten Deutschen Kurzfilmpreis war die dffb mit drei Filmen vertreten,
       einer erhielt den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold, ein anderer den
       Sonderpreis der Jury: "Jessi" von Mariejosephin Schneider erzählt die
       Geschichte einer Elfjährigen, deren Mutter inhaftiert ist. "Manolo" von
       Robert Bohrer ist eine kleine, feine Komödie im Columbia-Schwimmbad.
       "Kafarnaum" von Jasco Viefhues hat die Geschichte einer jungen Frau und
       ihre Pflege der krebskranken Mutter zum Thema. Drei ganz verschiedene
       Blicke auf die Welt, drei ganz verschiedene Themenstellungen, drei ganz
       verschiedene formale Ansätze. Wunderbar.
       
       Auf der in dieser Woche startenden Berlinale 2011 hat die dffb einen
       Beitrag in der Reihe "Perspektiven Deutsches Kino". Ein Film unter 400, ist
       das nicht ein bisschen wenig? 
       
       Die Berlinale ist kein regionales oder Nachwuchsfilmfest wie Saarbrücken,
       es gibt einen Überblick über den Stand der weltweiten Filmproduktion. Wenn
       also unter den tausenden Einreichungen mit Lothar Herzogs Film "weisst du
       eigentlich dass ganz viele blumen blühen im park" ein studentischer Beitrag
       dabei ist, Absolventen der dffb in Forum, Panorama und Wettbewerb vertreten
       sind und auch noch zwei Dozenten - Bela Tarr und Andres Veiel - ihre Filme
       im Wettbewerb zeigen, dann ist das doch gar nicht so schlecht.
       
       Aber der Anspruch, als dffb präsenter zu werden, besteht? 
       
       Die Berlinale ist auf vielfältige Weise wichtig für uns. Nicht ohne Grund
       wurden das Festival, das Filmmuseum, das Arsenal und die dffb gemeinsam an
       den Potsdamer Platz verpflanzt. Während des Festivals ist unser Kino eine
       Spielstätte des European Film Market. Ich schätze, über die Hälfte unserer
       Studenten arbeitet in irgendeiner Form für die oder bei der Berlinale. Der
       Talent Campus schneidet und mischt in unseren Räumen. Die dffb-Studenten
       haben Filmstudenten aus ganz Europa zum Couchsurfing beim Festival
       eingeladen. Aber es gibt viele Festivals, die für Studenten spannend sind.
       Wir haben mit "Headshots" von Laurence Tooley einen Film in Rotterdam im
       Wettbewerb. Natürlich eignen sich kleinere Festivals eher für den
       Nachwuchs.
       
       Berlinale-Chef Dieter Kosslick, Ihr Exkollege beim Hamburger Filmbüro, hat
       vier deutsche Beiträge im Wettbewerb. Das ist überraschend, es gab Jahre
       ohne deutsche Beteiligung. Auffallend ist, dass alle Themen
       rückwärtsgewandt erscheinen: eine RAF-Geschichte, Wim Wenders Film über
       Pina Bausch, ein Beitrag über türkische Gastarbeiter. Von Krieg und Tod,
       neuer Armut, dem Finanzdesaster oder der Umweltkatastrophe keine Spur.
       Fehlt unseren Filmemachern Mut? 
       
       Wir kennen ja die Filme noch nicht, oder? Und es könnte doch sein, dass die
       Filme sehr radikale Fragen aufwerfen. Aus journalistischer Sicht haben Sie
       vielleicht recht, dass die Beiträge nicht aktuell wirken. Aber aus
       künstlerischer Perspektive kommt es doch eher darauf an, mit tieferem Blick
       oder längerem Atem hinzuschauen. Und genau dafür ist doch ein Festival auch
       da: abseits und frei vom Tagesgeschäft Filme zu zeigen, die einen anderen
       Blick auf die Dinge werfen, die uns inspirieren, Fragen stellen, neugierig
       machen. Ich bin sehr neugierig auf alle vier deutschen Filme im Wettbewerb.
       
       Sie selbst haben sich als Filmemacher wiederholt einem speziellen Thema
       gewidmet: den von den Nazis ins US-Exil getriebenen Menschen - Juden,
       Polen, Russen - und ihrem bitteren Leben in Brooklyn, ihren Sehnsüchten
       nach Heimat, Liebe, der eigenen Vergangenheit. Was hat Sie daran so
       gereizt? 
       
       Auf diese Menschen und ihre Geschichten bin ich bei meinen
       New-York-Aufenthalten gestoßen, das hat mich unglaublich fasziniert.
       Brighton Beach liegt fast eine Stunde U-Bahn-Fahrt von Manhattan entfernt.
       Es wirkt fast europäisch, ein Stadtteil voller neuer und alter Immigranten.
       Hinzu kam die Begegnung mit Schauspielern wie George Tabori und Otto
       Tausig, dann die Erzählungen von Isaac B. Singer. In Deutschland fehlen
       diese Persönlichkeiten, bestimmte Stimmen sind uns für immer verloren
       gegangen. Ich war neugierig, habe diese Menschen gesucht, ihre Schicksale
       kennengelernt und dabei auch so viel über Deutschland erfahren.
       
       6 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
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