# taz.de -- Nach der Volksabstimmung im Sudan: Die Jugend will Häuser aus Stein
       
       > Die Trennung zwischen Süd- und Nordsudan ist beschlossen. Das offizielle
       > Ergebnis der Abstimmung ist da, die USA und Europa gratulieren. Doch wie
       > sieht es vor Ort aus?
       
 (IMG) Bild: Das größte Schwimmbad des Landes in Rock City, Juba, Südsudan.
       
       "Du bist verrückt!" schreit der Fahrer des Motorradtaxis. "Das ist das
       Doppelte von gestern." Der Tankwart zuckt mit den Schultern. "Benzin ist
       Mangelware und deshalb ist der Preis verdoppelt." Der Taxifahrer zur
       Passagierin: "Du musst mir das Doppelte zahlen oder laufen." Da startet die
       Frau ebenfalls eine lautstarke Tirade. "Das ist kein guter Anfang für
       unsere neue Zukunft", meint der Motorradtaxifahrer.
       
       Nicht nur in dem Städtchen Aweil hat sich einiges geändert, seit die
       Südsudanesen für die Unabhängigkeit gestimmt haben. Vor allem in den
       nördlichen Teilen Südsudans ist eine neue, teure Realität erschienen. Bis
       vor dem Referendum fuhren die Tankwagen aus dem Norden über die staubigen
       Sandstraßen nach Süden, verkauften Sprit, bis der Tanker leer war, und
       fuhren wieder zurück. Aber seit dem Referendum liegt der
       Nord-Süd-Warentransport größtenteils still. Die Händler aus dem Norden
       wissen nicht, was sie im Süden erwartet, ihre südlichen Kollegen trauen dem
       Norden nicht und fürchten Rache für ihre Wahl der Unabhängigkeit.
       
       Aweil, ein hübsches Städtchen mit vielen schattenspendenden Mangobäumen,
       liegt nicht weit von der Grenze zwischen Süd- und Nordsudan. Seit dem
       Referendum fehlt der hohe Pfeifton der alten Dampflokomotive, der sonst
       regelmäßig durch die Nacht schneidet, wenn der Zug nach Norden sich in
       Bewegung setzt. Die Eisenbahnverbindung war die Nabelschnur des Fernhandels
       zwischen Nord und Süd. Jetzt fährt der Zug nicht mehr.
       
       Während des Bürgerkrieges zwischen 1983 und 2005 transportierte die
       Regierung in Khartum mit dieser Eisenbahn Milizen an die Front gegen die
       Rebellen der SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee), die für die
       Unabhängigkeit des Südens kämpften. Der Zug brachte auch Waffen und Nahrung
       für die Truppen des Nordens. Die SPLA sabotierte regelmäßig die Schienen.
       Für die Südler war diese Eisenbahn der Todeszug.
       
       Aber jetzt, wo die Bahn friedlich genutzt werden könnte, fehlt sie. "Ich
       habe große Abneigung gegen den Norden, aber wir müssen pragmatisch sein",
       findet Andrew Deng Malong, ein ehemaliger Rebellenkämpfer, der jetzt als
       Chauffeur einer Hilfsorganisation arbeitet. "Unser Land muss komplett neu
       aufgebaut werden. Wir können es uns nicht leisten, wählerisch zu sein. Wir
       sind zu weit entfernt von Uganda und Kenia, um uns dort zu versorgen.
       Unsere besten Chancen sind im Norden."
       
       Erinnerung an den Krieg 
       
       Es kostet viel Selbstüberwindung, so etwas zu sagen. In Südsudans
       Grenzgebieten zum Norden fanden die schlimmsten Bodenkämpfe des Krieges
       statt, die Abneigung gegen Khartum ist hier am größten. Die Südler erlebten
       ihre nördlichen Landsleute als rassistische Unterdrücker, die mit Feuer und
       Schwert Arabisierung und Islamisierung zu bringen versuchten.
       
       Die Einwohner von Tonj wollen vom Nordsudan nichts mehr wissen. Während des
       Kriegs war Tonj oft Ziel von Luftangriffen des Militärs aus Khartum. "Die
       schlimmste Erinnerung aus meiner Kindheit ist die immer wiederkehrende
       Flucht aus unseren Häusern, um uns außerhalb von Tonj im Busch zu
       verstecken. Wir mussten mäuschenstill bleiben. Nur so konnten wir
       überleben", erzählt Athuai Albino Madhieu.
       
       Aus seinem Handy, das der 22-Jährige als Radio benutzt, schallt der letzte
       Hit des südsudanesischen Hiphopsängers Emmanuel Jal. Athuais Mutter backt
       vor ihrer Grashütte flaches Brot auf einem offenen Feuer. "Unsere Häuser
       sind schrecklich altmodisch", schimpft der Jugendliche. "Wir müssen uns
       anpassen. Unser neues Land soll modern werden. Mit Steinhäusern!"
       
       Tonj wird im Südsudan scherzhaft "Eton" genannt. Der Vergleich mit dem
       Elite-Internat in England rührt von der hohen Zahl von Schulen und Schülern
       im Ort her. Beinah ein Viertel der 20.000 Einwohner sind Studenten in einer
       der Lehranstalten, meistens geführt von kirchlichen Organisationen. Athuai
       hat gerade Abitur gemacht und will Geld verdienen, um zur Universität zu
       gehen. Seine Eltern, beide Polizisten, können sich das aber nicht leisten.
       Und dann mangelt es auch noch an Studienplätzen. Seit Jahresanfang sind
       mehr als 4.000 südsudanesische Studenten, die im Norden studierten,
       heimgekehrt und wollen nicht zurück. Die lokalen Studienanwärter haben das
       Nachsehen. "Vielleicht muss ich einen Studienplatz im Ausland suchen",
       seufzt Athuai.
       
       Der junge Mann hat immerhin Arbeit gefunden beim neuen lokalen Radiosender
       "Don Bosco 91 FM". Bei Athuai und seinen Kollegen hängt die Hose halb den
       Hintern hinunter, wie bei ihren Altersgenossen in der westlichen Welt. Sie
       lieben alle Hiphop, auch der Radiodirektor, ein Priester aus Nigeria.
       Athuai liebt seine Arbeit. "Es war toll, Radioprogramme über das Referendum
       zu machen. Ein Ende unserer Unterdrückung, ein historischer Moment, der
       Anfang einer selbständigen Zukunft."
       
       Aber die Vergangenheit ist nicht leicht zu vergessen. Ab und zu lümmelt
       Athuai in einem Stuhl, versunken in seiner eigenen Welt. "Ich weiß auch
       nicht, was dann mit mir los ist", sagt er. "Ich habe Tage, da ist mein
       Körper schwer und mein Kopf von innen dunkel. Es dauert immer eine Weile,
       bis das vorbeigeht."
       
       Nicht nur die düstere Vergangenheit belastet die Jugend von Tonj. Das
       einzige Mädchen beim Radiosender hat einige Jahre in Australien gelebt.
       Jetzt ist Monica wieder zuhause - und ihr Vater will sie verheiraten. Sie
       ist schön, ist, anders als die meisten Mädchen, im Südsudan zur Schule
       gegangen und sie wird ihren Vater reich machen, weil sie in der Kultur des
       Dinka-Hirtenvolkes viele Kühe wert ist. "Ich will aber weiter lernen",
       vertraut sie ihren Freundinnen an. "Ich bin noch nicht so weit, zu
       heiraten."
       
       Überhaupt ist es schwierig für die Australien-Heimkehrerin, sich wieder an
       das Leben in Tonj zu gewönnen. "Von einer Grashütte ohne Toilette und
       Dusche in ein Haus mit Elektrizität und fließendem Wasser und dann wieder
       zurück - das ist nicht leicht."
       
       Der Ortsälteste Machar Mabior Malong, geboren in Tonj, schloss sich im
       Krieg der SPLA an und eroberte sein eigenes Dorf. Am Ortsrand steht er an
       einem Fluss, auf dem anderen Ufer ist in der Ferne ein Mann zu sehen, der
       ein Stück Land pflügt. "Er ist der Erste, der hier wieder Landwirtschaft
       treibt", meint Machar stolz. Gemüse gibt es kaum in Tonj. Auf dem Markt
       werden nur Fleisch, getrockneter Fisch und Getreide angeboten. "Wir haben
       vergessen, wie Landwirtschaft geht. Unser Hirten- und Bauernblut ist uns
       durch das Leben als Kämpfer ausgetrieben worden."
       
       Aber vielerorts haben die Menschen vergessen, sich auf die eigenen Kräfte
       zu besinnen. Weitere 125 Kilometer südlich in der Stadt Rumbek streckt eine
       gutgekleidete Frau reflexhaft bettelnd ihre Hand aus, als sie eine Weiße
       sieht. Der 24-jährige Lucas Deng Mawien grinst, als er das sieht. "Wir sind
       wahnsinnig hilfeabhängig geworden", erklärt der Informatikstudent. Er hat
       nicht genügend Geld, um sein letztes Studienjahr abzuschließen.
       
       Bis der historische SPLA-Führer John Garang im Juli 2005 bei einem
       Hubschrauberabsturz starb, war Rumbek mehr oder weniger die Hauptstadt
       Südsudans - nicht Juba, wo heute die südsudanesische Regierung sitzt. "Wir
       sind ein Dinka-Clan, der während des Krieges die besten Kämpfer lieferte",
       erklärt Lucas das Selbstverständnis von Rumbek. "Die meisten Männer haben
       keine Lust, auf eine andere Art ihr Geld zu verdienen." Im Frieden also
       herrscht hier Untätigkeit. Überall in Rumbek ist zu sehen, wie die Männer
       von früh bis spät Karten oder Domino spielen. Es sind die Frauen, die auf
       den Märkten Geld verdienen. "Die Frauen wissen schon längst, dass die
       Vergangenheit vorbei ist", meint Lucas. "Es gibt seit dem Referendum einen
       neuen Alltag. Der ist anders, schwierig, aber es ist unser Alltag."
       
       Offene Fragen im Frieden 
       
       Nun ist die Trennung also beschlossen. Doch man kann zwischen Nord und Süd
       keine Mauer bauen. Die beiden Teilstaaten müssen noch vieles klären: Was
       wird aus Sudans Auslandsschulden von mehr als 30 Milliarden Euro? Wie wird
       das Öl aufgeteilt, das im Süden gefördert und über den Norden exportiert
       wird? Wo genau verläuft überhaupt die Grenze und welche Staatsangehörigkeit
       haben Südler im Norden und Nordler im Süden?
       
       Südsudans Vizepräsident Riek Machar findet diese Fragen gar nicht so
       schwierig. Er ist im Norden zur Schule gegangen, er hat den Rassismus der
       Araber am eigenen Leibe gespürt. "Die Nordsudanesen meinten gleich nach
       Sudans Unabhängigkeit 1956, sie wären erstklassige Leute und die Südländer
       Bürger zweiter Klasse", bemerkt Riek Machar und runzelt die Stirn. "Aber
       ich schätze die Schulen im Norden, und die Menschen dort sind gewiefte
       Händler. Wir können von ihnen lernen."
       
       Riek Machar gibt zu, dass viele Südsudanesen in bitterer Armut leben. Dann
       versucht er, seine Jacke zu schließen über seinem starken Bauch, und sagt:
       "Der Norden und der Süden brauchen einander. Wir müssen uns gegenseitig
       respektieren. Wir brauchen uns nicht zu lieben."
       
       8 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilona Eveleens
       
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