# taz.de -- Debatte Iran: Kairo ist nicht Teheran
       
       > Was hat der Protest in Ägypten mit Irans Revolution von 1979 gemein? Nur
       > auf den ersten Blick weisen die beiden Volksaufstände Parallelen auf.
       
 (IMG) Bild: Seit Tagen versammeln sich die Ägypter am Tahrir-Platz gegen Mubarak.
       
       Der iranische Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei hat die islamische
       Geistlichkeit aufgefordert, die Proteste in der arabischen Welt zu
       unterstützen, und versucht den Eindruck zu erwecken, als handele es sich
       dabei um ein Erwachen des Islam. Demgegenüber warnt Israel aus Furcht vor
       einer Machtübernahme der Islamisten vor einem Regimewechsel in Ägypten, und
       auch die USA und die europäischen Staaten zögern deshalb, das
       Mubarak-Regime fallen zu lassen.
       
       Sowohl Chamenei als auch seine Gegner beziehen sich auf die iranische
       Revolution von 1979. Und tatsächlich gibt es eine Parallele: Auch im Iran
       richtete sich der Volksaufstand damals gegen ein militärisch gut gerüstetes
       Regime mit einem vom Westen abhängigen Potentaten an der Spitze. Doch die
       Unterschiede überwiegen. Was die Ägypter oder Sudanesen auf die Straße
       getrieben hat, sind die katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse, die
       hohe Arbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit der Jugend. Im Iran gab es
       damals zwar ebenfalls Armut, Misswirtschaft und Korruption, aber der
       Aufstand ging zunächst von einem Mittelstand aus, der dank des rapiden
       Anstiegs der Öleinnahmen ökonomisch mächtig geworden war und daher
       politisches Mitspracherecht verlangte. Erst in der letzten Phase des
       Volksaufstands kamen die Streiks der Arbeiter und die Slumbewohner, die
       sicherste Basis der Islamisten, hinzu.
       
       Eine Armee in Panik 
       
       Ganz anders als heute in Ägypten war auch die Lage der Militärs im Iran.
       Die iranischen Offiziere, meist in den USA ausgebildet, korrupt und ohne
       Nationalstolz, gerieten schon bei den ersten Massendemonstrationen in
       Panik. Einige Generäle ergriffen die Flucht, andere streckten heimlich die
       Fühler zur aufkommenden Macht aus. Die wenigen, die standhaft blieben,
       vermochten nicht mehr, den Apparat zusammenzuhalten. Die angeblich stärkste
       und mit modernsten Waffen ausgerüstete Armee des Nahen und Mittleren Ostens
       fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
       
       Dafür, dass die iranische Revolution am Ende eine islamistische Wende nahm,
       gibt es viele Gründe. Das Schah-Regime hatte jede Opposition im Keim
       erstickt. Die beiden bewaffneten Gruppen der Volksmudschaheddin und
       Volksfedajin, die sich im Untergrund gebildet hatten, konnten das Regime
       nicht ernsthaft gefährden. Die einzige Organisation, an die sich die
       Sicherheitsdienste und Militärs nicht heranwagten, war der Klerus der
       Schiiten. Über einhunderttausend Mullahs, verteilt im ganzen Land und in
       engstem Kontakt mit der Bevölkerung, verwandelten sich innerhalb kurzer
       Zeit zu politischen Aktivisten, die Moscheen in Parteizentralen, die
       Gläubigen zu treuen Sympathisanten.
       
       Dass diese Mobilisierung - trotz des Widerstands einiger mit dem Hof
       liierter Großajatollahs - gelang, lag nicht zuletzt an der Person Ruhollah
       Chomeinis. Wenige Monate vor dem Sturz des Regimes wurde der Ajatollah, der
       seit Jahrzehnten im irakischen Exil seine Tage mit Beten verbracht hatte,
       auf Drängen des Schahs aus dem Irak ausgewiesen. Da kein islamisches Land
       bereit war, den Gottesmann aufzunehmen, begab er sich gezwungenermaßen nach
       Paris.
       
       Islamistenführer in Paris 
       
       Ob Zufall oder ausgetüftelter Plan, dieser Umzug machte Chomeini mit einem
       Schlag weltberühmt. Unter dem polizeilichen Schutz Frankreichs verkündete
       der exotische Ajatollah unter einem Apfelbaum im Garten seines Hauses seine
       Botschaften an das iranische Volk, die von westlichen Rundfunksendern,
       allen voran der BBC, verbreitet wurden. Innerhalb weniger Wochen stieg
       Chomeini, der ohne jedes Wenn und Aber den Sturz des Schahs forderte, zum
       unumstrittenen Führer der Revolution auf. Die Vertreter der iranischen
       Mittelschicht baten der Reihe nach in Paris um Audienz - nicht um sich mit
       dem Ajatollah zu beraten, sondern um seine Anweisungen zu empfangen.
       
       Die Situation in Ägypten ist nicht vergleichbar. Die Bewegung hat noch
       keine Führung, und die Armee scheint zumindest bislang geschlossen und
       handlungsfähig. Ihr ist es gelungen, obwohl sie ein Teil der Macht ist,
       sich souverän zwischen die Führung und das Volk zu stellen und damit den
       Machtapparat, auch im Falle eines erzwungenen Rücktritts von Mubarak, zu
       retten. Das bedeutet, dass die Entwicklung in Ägypten bislang eher auf
       einen Wechsel an der Spitze als auf eine umwälzende Revolution hinausläuft.
       Sollte die neue Führung den Forderungen nach mehr Freiheit und mehr
       Offenheit folgen, wird es in Ägypten einen friedlichen Übergang vom
       autokratischen Staat hin zu einer Demokratie geben.
       
       Moderate Muslimbruderschaft 
       
       Angesichts dessen scheint jeder Gedanke an eine absolute Machtergreifung
       der Islamisten derzeit völlig abwegig. Weder gibt es in Ägypten einen
       charismatischen Anführer, der sich mit Ajatollah Chomeini vergleichen
       ließe, noch sind die seit Jahrzehnten in Ägypten organisierten Muslimbrüder
       gesellschaftlich und ideologisch so radikal, dass sie sich einer Koalition
       mit säkularen Gruppen zur Durchsetzung sozialer und politischer Reformen
       verweigern würden.
       
       Es sei denn, die alte Staatsmacht, die Armee, legt der Reformbewegung
       Steine in den Weg, um die bisherigen Pfründen zu behalten, wenn der
       revolutionäre Elan abgeflaut ist und die Gemüter sich beruhigt haben. Ein
       Scheitern demokratischer Reformen in Ägypten würde dann sicherlich zu einer
       Radikalisierung - aber nicht nur der Muslime - führen.
       
       10 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bahman Nirumand
       
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