# taz.de -- PJ Harveys neues Album: Die fetten Jahre sind vorbei
       
       > Mit ihrem neuen Album "Let England Shake" findet die britische Musikerin
       > PJ Harvey ungewöhnlich offene Worte zum britischen Engagement in
       > Afghanistan.
       
 (IMG) Bild: Ihr neues Album ist so etwas wie musikgewordener Zorn: PJ Harvey.
       
       In Polly Jean Harvey brodelt es. Das war schon immer so. Und oft hielt
       dieser Zustand als Erklärung her, warum die britische Musikerin in ihren
       Songs von innerer Zerrissenheit gesungen hat. Doch mit dem Ausloten ihres
       Seelenlebens, so scheint es, ist es jetzt vorbei. Stattdessen betreibt PJ
       Harvey auf ihrem neuen Album "Let England Shake" Fundamentalkritik.
       
       Zeilen wie "What is the glorious fruit of our land? Its fruit is orphaned
       children" (aus dem Song "The Glorious Land") sprechen eine deutliche,
       mitunter auch verstörende Sprache. Angesichts des Konflikts in Afghanistan,
       in den auch ihr Heimatland verwickelt ist, kommt die 41-Jährige im
       Titelsong zu dem Schluss: "Englands dancing days are done."
       
       Nirgends wird PJ Harvey mit dieser Aussage so angeeckt sein, wie bei ihrem
       Auftritt in der "Andrew Marr Show" beim staatlichen Fernsehsender BBC im
       April 2010. Dort war nämlich ausgerechnet der Labour-Politiker Gordon Brown
       zu Gast. "Ich hätte zu gern gesehen, wie er auf mein Lied 'Let England
       Shake' reagiert", sagt die Sängerin. "Dummerweise stand er mit dem Rücken
       zu mir." Auch nach der Sendung hatte sie keine Gelegenheit mehr, mit dem
       damals noch amtierenden britischen Premierminister zu reden. Er wurde von
       seinen Bodyguards abgeschirmt. Dabei hätte Harvey ihm gewiss einiges zu
       sagen gehabt: "Es hat mich nie kalt gelassen, was um mich herum passiert.
       Bloß fehlte mir bisher das nötige Selbstvertrauen, dies auch in meinen
       Songs zu formulieren."
       
       Nun ist ihr neues Album so etwas wie musikgewordener Zorn. Auslöser dafür
       war ein Zeitungsartikel über den Krieg in Afghanistan: "Ich empfinde es als
       Albtraum, womit Soldaten und Einheimische am Hindukusch konfrontiert
       werden. Einfach beschämend!" Sie begann zu recherchieren und wälzte
       Geschichtsbücher, wertete Nachrichtensendungen und Politikerreden aus, vor
       allem aber Zeitungsartikel. Harte Arbeit sei das gewesen, resümiert sie.
       Gelohnt hat es sich trotzdem.
       
       Denn PJ Harvey ist es gelungen, sich als Songschreiberin vollständig zu
       häuten. Wandlungsfähig war sie ja schon immer. Aber jetzt spricht aus ihren
       Songs eine neue Direktheit. Sie hat ihre Wut nicht länger verdrängt, sie
       überführt sie in Musik. In "The Words That Maketh Murder" singt die bisher
       eher als introvertiert bekannte Künstlerin ganz offen von getöteten
       Soldaten und abgetrennten Gliedmaßen - ohne sich hinter rätselhaften
       Metaphern zu verstecken.
       
       Die Musik, kontrapunktisch zu den Texten gesetzt, klingt unerwartet
       eingängig. Oft werden nostalgische Töne angestimmt, als hätte Harvey die
       seltsamen alten Klänge des Folk wiederbeleben wollen.
       
       Tatsächlich lässt sich PJ Harvey ganz häufig von Volksmusik aus allen
       möglichen Ländern von Russland bis Kambodscha inspirieren: "Der Reiz liegt
       darin, aus disparaten Einflüssen etwas Eigenes zu formen." Dazu offeriert
       sie äußerst melodische Xylofon- oder Orgelklänge,
       Weichzeichner-Bläsersätze, manchmal sogar einen Männerchor. Selbst die
       Gitarrenriffs klingen nicht mehr so harsch wie früher, sondern meist
       wattiert.
       
       PJ Harveys Stimme bleibt dagegen stets im Vordergrund, oft schwingt sie
       sich zu hohen Tönen auf, kristallklar, ohne Tremolo: "Ich experimentiere
       mit meinem Gesang wie mit einem Instrument." Ab und zu legt er sich über
       ihre Autoharp, ein der Zither verwandtes Instrument, auf dem sie gut die
       Hälfte der zwölf neuen Songs komponiert hat.
       
       Zu Beginn der Aufnahmen gab es diesmal gar keine Musik, nur Textfragmente:
       "Ich habe ewig an den Worten gefeilt, ohne überhaupt an die Melodien zu
       denken. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich wollte allerdings
       keine klassischen Protestsongs schreiben", stellt sie klar. "Es liegt mir
       nicht, meinen Zuhörern eine Meinung einzuhämmern. Ich möchte bloß
       Denkanstöße geben."
       
       Dafür wechselt sie immer wieder die Perspektive und springt von der
       Ich-Erzählerin in die dritte Person: "Selbst wenn ich eine Geschichte in
       der Ich-Form erzähle, ist sie nicht unbedingt autobiografisch. Von Lied zu
       Lied schlüpfe ich in eine andere Rolle." Wobei ihre Themen diesmal
       auffallend oft um Krieg und Tod kreisen: "Das betrifft wirklich jeden. Ob
       in England oder anderswo." Einen Lobgesang auf ihre Heimat hatte Harvey
       also nicht anstimmen wollen, als sie in einer alten Kirche in Dorset mit
       ihren langjährigen Weggefährten, dem Produzenten Flood und den Musikern
       John Parish und Mick Harvey (ein ehemaliger Adlatus von Nick Cave), "Let
       England Shake" aufnahm.
       
       Sie hadere dauernd mit ihren Gefühlen für ihre Heimat, räumt PJ Harvey ein:
       "Aber das ist doch normal. Ich glaube, die meisten Menschen verbindet mit
       ihrem Vaterland so eine Art Hassliebe." PJ Harvey sagt, sie mag die
       Traditionen Englands, und sie sei beeindruckt von den Zeugnissen der
       britischen Kultur: "Bei uns erzählt beinahe jedes Gebäude eine Geschichte.
       Ich stehe dann staunend davor und werde demütig. Irgendwie seltsam, dass
       wir Menschen im Vergleich zu diesen jahrhundertealten Bauwerken so
       unbedeutend sind.
       
       10 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dagmar Leischow
       
       ## TAGS
       
 (DIR) PJ Harvey
 (DIR) Künstlerin
       
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