# taz.de -- Gentrifizierung in Kreuzberg: Alte Parolen wieder angesagt
       
       > Einst war der Chamisso-Kiez ein Zentrum der Hausbesetzerszene. Heute
       > fürchten dort viele Mieter die Verdrängung: Investoren haben die Gegend
       > entdeckt und kaufen Immobilien auf.
       
 (IMG) Bild: Demonstrant auf einem Kreuzberger Hausdach
       
       Der Kreuzberger Chamissokiez mit seinen Kopfsteinpflaster und den
       altmodischen Laternen macht auf viele BesucherInnen den Eindruck eines
       Freilichtmuseums zum Thema "Berlin vor 100 Jahren". Dass die in der
       Endphase des Kaiserreichs gebauten Mietskasernen erhalten blieben, ist vor
       allem HausbesetzerInnen zu verdanken. Sie bewahrten Ende der 70er Jahre
       zahlreiche leerstehende Gebäude in der Gegend vor den Abriss. Später
       erhielten sie oftmals Mietverträge. Doch gut 30 Jahre nach der
       Besetzerhochphase müssen viele Bewohner wieder um ihre Wohnungen kämpfen.
       Und sogar die alten Lieder von damals erklingen wieder.
       
       "Das ist unser Haus, ihr kriegt uns hier nicht raus" - der ganze Saal singt
       den Refrain des Rauchhaussongs von Ton Steine Scherben mit. Die meisten
       Besucher des Stadtteilzentrums im Chamissokiez sind in der zweiten
       Lebenshälfte. Das passt, denn die Gruppe, die zu diesem Treffen vor einigen
       Tagen eingeladen hat, heißt "Jung bleiben - alt werden im Kiez". Der
       Andrang ist groß, schon zehn Minuten vor Beginn sind alle Plätze belegt.
       Viele BewohnerInnen rund um den Chamissoplatz fürchten in der Tat, dass sie
       dort nicht mehr alt werden können.
       
       In den vergangenen Jahren zeigten immer mehr Immobilienfirmen Interesse an
       den Gründerzeithäusern - und hoffen auf hohe Mieteinnahmen. Nach dem Kauf
       sollen die MieterInnen meist rasch zum Auszug bewegt werden, berichten
       Bewohner auf der Versammlung, die vor wenigen Tagen stattfand. "In der
       Arndtstraße 38 zum Beispiel stehen von neun Wohnungen vier leer", sagt
       Jutta, die sich ironisch eine der letzten "Standhaften" nennt. Eine
       Immobilienfirma aus Baden-Württemberg, die das Haus gekauft hat, habe ihr
       wegen verspäteter Zahlung der Kaution gekündigt. Im März werde darüber vor
       Gericht entschieden.
       
       Auch die 27 Mieterparteien in der Katzbachstraße 17 sind nach einem
       Eigentümerwechsel verunsichert. Wegen eines Streits zwischen Alt- und
       Neueigentümern um die Ölrechnung fiel in diesem Winter schon zweimal die
       Heizung aus, erzählt ein Hausbewohner. Trotz der Größe des Hauses und der
       Unterschiedlichkeit der MieterInnen habe es mittlerweile erste gemeinsame
       Treffen gegeben, berichtet er. Man wolle sich organisieren.
       
       Die BewohnerInnen der Willibald-Alexis-Straße 34 - das Hausprojekt WAX 34 -
       sind schon weiter. Nachdem ihr Haus im Herbst 2010 verkauft worden war,
       haben sie ihre Ziele formuliert. "Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt
       entziehen und mit offenen Briefen an PolitikerInnen aller Parteien eine
       Debatte um bezahlbaren Wohnraum in Gang setzen", erzählt Bewohner Michael.
       Im Kiez stößt er damit auf offene Ohren. "Wer hier länger lebt, spürt, dass
       der Kiez kippt", berichtet eine ältere Frau. Ein Anzeichen dafür sieht sie
       auch in der wachsenden Zahl der Ferienwohnungen. Die würden nicht nur die
       Mieten in die Höhe treiben. Auch der Zusammenhalt in der Nachbarschaft gehe
       verloren, wenn die BewohnerInnen wöchentlich oder gar täglich wechseln,
       moniert sie.
       
       ## Politiker aufrütteln
       
       Beim Beklagen der Situation wollen es viele BewohnerInnen des
       Chamissokiezes nicht belassen. Eine Podiumsdiskussion mit PolitikerInnen
       aller Parteien wollen sie vorbereiten. Und beim Sammeln der Forderungen
       haben sie fachkundige Beratung: Der ehemalige Kreuzberger Baustadtrat der
       Alternativen Liste (AL), Werner Orlowsky, unterstützt die BewohnerInnen. Er
       betont, es gebe gesetzliche Möglichkeiten auf Bezirks- und mehr noch auf
       Senatsebene, um dem Häusermonopoly entgegenzuwirken. Die Wiedereinführung
       einer Fehlbelegungsablage gehöre ebenso dazu wie ein besserer
       MieterInnenschutz und die Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus in Berlin.
       
       Außerdem wollen MieterInnen im Kiez eine Demo unter dem bewährten Motto
       "Wir bleiben alle!" vorbereiten. "Wenn alles nicht hilft, müssen wir wieder
       Häuser besetzen", meinte ein etwa 50-jähriger Mann. Er erhält nicht nur
       umfassende Zustimmung auf der Versammlung, sondern auch die Adresse eines
       Hauses, das im guten Zustand ist - und schon lange leer steht.
       
       17 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Nowak
       
       ## TAGS
       
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