# taz.de -- Kolumne Geräusche: Die Krise meiner Musikkritik
       
       > Ich habe die akustische Lufthoheit über meine Wohnung verloren. Der
       > eigene Nachwuchs übt mit "Häschen hüpf" Terror aus, so dass manche Töne
       > aus den Boxen verloren gehen.
       
       Über wenige Dinge nur scheinen derzeit Musikkritikerinnen und Musikkritiker
       lieber zu schreiben als über die Krise der Musikkritik. Komisch, dass man
       von der Krise der Elektrotechnikkritik so gar nichts hört. Dass es nun aber
       ausgerechnet in der Musikkritik kriseln soll, leuchtet mir durchaus ein.
       Ich kenne das ja aus eigener, schmerzhafter Erfahrung.
       
       Wer über Musik schreiben will, sollte sie zunächst einmal hören können.
       Damit gehts schon los. Inzwischen gibt es Kostbarkeiten wie die neue Elbow
       nur noch als digitales Rinnsal, den sogenannten "Stream". Tja, Winter ade,
       Scheiden tut weh. Bald wird es so weit sein, dass der Promoter dem
       Rezensenten die Schlüsselszenen des zu besprechenden Albums am Telefon
       vorsingt: "Pass auf, jetzt kommt eine besonders coole Stelle …", aber dein
       Scheiden macht, dass mir das Herze lacht.
       
       James Blake zum Beispiel. Scharlatan? Wunderkind? Pausenclown? Hm. Dazu
       müsste ich die Bässe hören, um die es auf diesem Album geht, wäre da nicht
       der Fuchs. Er hat die Gans gestohlen! Gib sie wieder her! Sonst wird dich
       der Jäger holen mit dem Schießgewe-he-er! Meine Boxen gehen, mit solchen
       Bruttoregisterbässen konfrontiert, regelmäßig röchelnd in die Knie. Über
       Knopfkopfhörer kann man die tieffrequenten Schwingungen zwar zur Kenntnis
       nehmen, aber nicht spüren, zumal das Häschen in der Grube saß und schlief,
       saß und schlief.
       
       Mit einem lauthals seine eigenen Lieder singenden Kind im Nacken ist es
       auch alles andere als ein Spaziergang, sich eine Meinung über die neue
       Live-DVD von beispielsweise Mastodon zu machen, weil Kinder meiner
       Erfahrung nach für progressiven Sludge-Metal nur eingeschränkt empfänglich
       sind. Kleines Häschen, bist du krank, dass du nicht mehr hüpfen kannst? Und
       wenn der Nachwuchs aus unauslotbaren Gründen einmal irgendwas goutiert, wie
       neulich den sagenhaften äthiopischen Jazz des Mulatu Astatke, dann läuft
       dieser sagenhafte Jazz so lange in Dauerschleife, bis ich ihn irgendwann
       sooo sagenhaft gar nicht mehr finden kann. Häschen hüpf, Häschen hüpf,
       Hääääschen, hüüüüpf! Einerseits.
       
       Andererseits: Wer sich so lange wie ich auf die neue Platte von Paul Simon
       freut, der würde sich auch nachts sogar ins Auto setzen, um sich die Songs
       unter einer Laterne in Neukölln anzuhören. Dabei müsste ich den Motor
       laufen lassen, damit die Batterie nicht schlapp macht, und das wäre Paul
       Simon gar nicht recht. Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh! Ist
       das neue Album von Bright Eyes wirklich so wuchtig, wies klingt? Wäre nett,
       dazu die Texte studieren zu können, stattdessen sehe ich den fleißigen
       Waschfrauen zu. 
       
       Okay, ich habe die akustische Lufthoheit über meine Wohnung verloren. Na
       und? Dafür weiß ich inzwischen genau, wieviel Sternlein stehen an dem
       blauen Himmelszelt. Ich will nicht zu viel verraten, aber: Es ist eine
       verdammt große Zahl.
       
       Text: "What if I take my problem to the United Nations?" (PJ Harvey)
       
       Musik: Das entschiedene "Chrock", mit dem das Messer durch die Zwiebel
       geht.
       
       17 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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