# taz.de -- Musik gegen die Unmenschlichkeit: Der gute Spielmann
       
       > Den Liedermacher Heinz Ratz zieht es an die Ränder der Welt. In
       > Deutschland sind das Flüchtlingsheime. Dort macht er Musik gegen
       > Diskriminierung und Ausgrenzung.
       
 (IMG) Bild: In 70 Flüchtlingsheimen singt Heinz Ratz gegen Ausgrenzung – und für Menschlichkeit.
       
       Heinz Ratz ist derzeit mit dem Fahrrad unterwegs. Er radelt durch ganz
       Deutschland, durch den Regen, durch den Schnee, von Bayern über Sachsen
       nach Frankfurt (Oder) und weiter. Von Flüchtlingsheim zu Flüchtlingsheim.
       Ratz besucht graue Containersiedlungen in Industriegebieten, schäbige
       Plattenbauten am Waldrand, jene Behausungen, in denen Flüchtlinge
       untergebracht werden.
       
       Vor gut sechs Wochen hat sich Ratz in München wasserdichte Outdoorkleidung
       angezogen und sich auf sein gelbes Fahrrad geschwungen, er hat sich eine
       lange Route ausgesucht, 7.000 Kilometer will er schaffen, alle
       Flüchtlingsheime, die auf dem Weg liegen, steuert er an.
       
       Ratz hat auch eine Pressemitteilung herumgeschickt. "Gegen Diskriminierung
       und Ausgrenzung. Für eine menschliche Flüchtlingspolitik", steht darin. Bis
       zum 4. April soll die Fahrt gehen, jeder, der will, kann mitradeln.
       Momentan wird Ratz begleitet von einem übergewichtigen Steinmetz aus Trier
       und einer stillen Studentin aus Cottbus.
       
       Heinz Ratz ist ein großer Mann mit zerzausten Haaren, 43 jetzt, er hat so
       was schon öfter gemacht. Vor zwei Jahren lief er sechs Monate zu Fuß durch
       Deutschland. Unterwegs besuchte er Obdachlosenunterkünfte, als ein "Zeichen
       für die Besitzlosigkeit". Im Sommer 2009 durchschwamm Ratz Flüsse, legte
       890 Kilometer im Wasser zurück als Signal gegen Umweltzerstörung.
       
       Diesmal radelt Ratz also.
       
       Heinz Ratz ist Liedermacher von Beruf, er wohnt in Kiel und ist ein Mann,
       der das Leben vom unteren Rand her kennt. Als Kind von Eltern, die immer
       das Weite suchten, die es nirgendwo lange aushielten, verschlug es ihn von
       Deutschland nach Saudi-Arabien, nach Jordanien, nach Peru.
       
       49-mal sei er umgezogen, erzählt Ratz, er habe als Junge Schießereien vor
       Hotelzimmern erlebt, lateinamerikanischen Bürgerkrieg, wie es ist,
       verlassen in einem fremden Land zu stehen - und seine raue
       Liedermacherstimme bewirkt, dass die Geschichte jetzt in der Rückschau
       romantischer klingt, als sie sich wohl tatsächlich abgespielt hat.
       
       Viel später, als junger Mann ist Ratz obdachlos gewesen, ein Jahr lang. Er
       hat eine Unruhe mitgenommen von alledem, einen Drang, der ihn zum Predigen
       treibt. In seinen Liedern geht es gegen die "Krebsgeschwüre" der
       Gesellschaft, gegen Konsum und Kapital.
       
       Und abends, wenn Heinz Ratz vom Fahrrad steigt, macht er sich in der
       Kleinstadt, in der sie gerade gelandet sind, auch immer gleich auf zu
       irgendeiner Bühne. 70 Konzerte in 70 Städten, das Eintrittsgeld geht an die
       Flüchtlinge, auch dieses Versprechen aus der Pressemitteilung versucht Ratz
       zu halten.
       
       Sie radeln jetzt nur zwanzig oder fünfzig Kilometer am Tag, nicht mehr
       hundert, wie anfangs geplant, manchmal fahren sie auch ein Stück mit der
       Bahn. Um mehr Zeit bei den Flüchtlingen zu haben. In Landshut hatte ihnen
       eine syrische Familie Tee auf ihrem Wohnheimzimmer angeboten, und da haben
       sie beschlossen, länger zu bleiben.
       
       "Die Flüchtlinge sind schließlich das Wichtigste an der Tour", erklärt
       Ratz. Und man kennt das ja: Wenn es zu einer Begegnung zwischen Unbekannten
       kommt, ist das immer das Beste am Reisen.
       
       Einige dieser Treffen hebt er auf in seinem Kopf und erzählt von ihnen
       abends bei den Konzerten. Von dem irakischen Mathematikprofessor in
       Wunsiedel, der fünf Sprachen spricht und seit sechzehn Jahren in dem
       Flüchtlingsheim auf eine Arbeitserlaubnis wartet. "Welcher Arbeitgeber
       stellt so einen Mann nach zwölf Jahren Warten noch ein?", ruft Ratz ins
       Publikum.
       
       In Plauen hat er mit einem palästinensischen Jungen mit Zahnschmerzen
       gesprochen, der bei vier Zahnärzten erfolglos im Wartezimmer saß, weil es
       in Sachsen eine Regelung gibt, die Ärzten für Flüchtlinge nur bestimmte
       Maßnahmen erlaubt.
       
       Flaschengeld fürs Lotto 
       
       In Frankfurt (Oder) begegnete Ratz einem querschnittgelähmten Kenianer. Aus
       Verzweiflung über seine Lage hatte sich der Kenianer aus dem Fenster
       geworfen, nun sitzt er im Rollstuhl. In Berlin stieß Ratz auf einen Mann
       aus Guinea, der abends Flaschen aus Mülleimern sammelt und vom Pfandgeld,
       das er dafür bekommt, Lottoscheine kauft.
       
       "Schlimmer als gedacht" sei die Lage in den Heimen, findet Heinz Ratz. Er
       habe verrottete sanitäre Einrichtungen gesehen. Eine Küche für 160 Leute,
       und der Herd ist seit Monaten kaputt, wird nicht repariert. Heimleiter, die
       über die Flüchtlinge sagten: "Es sind nicht alles faule Säcke." Ratz steht
       oben auf der Bühne und ruft herunter. "Man schämt sich für dieses Land!"
       
       Natürlich ist es keine Revolution, was Heinz Ratz da macht. Die Begegnungen
       in den Heimen sind flüchtig, ändern kann er an der Situation der Bewohner
       wenig. Im Erstaufnahmelager in Berlin-Spandau sitzt er in einem Raum voller
       Menschen aus dem Kosovo, aus Kroatien und Afghanistan, die Gardinen sind
       vergilbt, der PVC-Boden ist fleckig.
       
       Ratz verschenkt Fußballkarten an die Kinder. Alle knabbern die Kekse, die
       die Heimleitung im Bemühen, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen, auf
       den Tisch gestellt hat. Ein Zimmer voller Menschen, die schüchtern
       zusammensitzen, schweigen und knabbern wie alte Vertraute, deren Welten
       aber so weit auseinanderliegen wie Spandau und das afghanische Dorf, von
       dem die Flüchtlinge aufgebrochen sind.
       
       Es ist auch ein Sprachproblem. Nur manche Flüchtlinge können ein paar
       Brocken Deutsch oder Englisch, Ratz unterhält sich dann vor allem mit einer
       Mitarbeiterin des Heimes darüber, dass sich die Bewohner keine
       U-Bahn-Fahrkarten leisten können. Erst als er seine Gitarre auspackt und
       ein Lied spielt, quakende Geräusche macht, das Gackern eines Huhns
       imitiert, gibt es ein bisschen Verständigung. Die Kinder lachen und hüpfen.
       Eine junge Asiatin steht mit ihrem Baby in der Tür und lächelt still.
       
       Aber manchmal kann es auch kommen, wie einen Abend später in einer
       abgelegenen Scheune vor der brandenburgischen Stadt Neuruppin, wo Ratz
       wieder ein Konzert gibt. Der weite Raum ist voll von älteren Menschen, die
       Rotwein trinken. Die rund 30 Flüchtlinge, die aus dem nächstgelegenen
       Flüchtlingsheim gekommen sind, sitzen in Festtagskleidung auf Holzstühlen
       und hören Ratz zu, wie er auf der Bühne singt. Die Getränke sind an diesem
       Abend für sie umsonst.
       
       Und dann kommt einer dieser Momente, für die sich alles Reden, alles
       Radfahren, alles Bemühen um internationale Solidarität lohnt: Denn
       irgendwann steigt ein Afghane auf die Holzbühne. Er schnallt sich eine
       Gitarre um, stellt sich ans Mikrofon.
       
       Der Mann schwankt und schwitzt, er ist ziemlich betrunken. Aber das Lied,
       das er singt, tönt hell und laut durch die weite Halle, es klingt besser
       als alles, was man seit Langem gehört hat. Die Frau und die Kinder des
       Mannes stehen vor der Bühne und klatschen. Die ganze Halle klatscht mit.
       
       18 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kirsten Küppers
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Heinz Ratz krault für den Artenschutz: "Mein moralischer Triathlon"
       
       Heinz Ratz krault durch Flüsse, um Spenden für den Artenschutz zu sammeln.
       Er hat schon für Obdachlose gejoggt, gegen Faschismus will er radeln.