# taz.de -- Raserei in Saudi-Arabien: "Du darfst nie die Handbremse ziehen"
       
       > Während ihre Altersgenossen in Libyen oder Ägypten rebellieren, bekämpfen
       > viele junge Männer in Saudi-Arabien ihren Frust auf andere Weise. Sie
       > rasen durch die Gegend.
       
 (IMG) Bild: Auch die Scheichs interessieren sich für Autos.
       
       Wir rasen hier mit 130 Sachen. Links und rechts ziehen Wohnhäuser vorbei.
       Einige sind noch nicht fertig gebaut, davor parken ordentlich aufgereihte
       Autos. Drinnen dröhnt laut Kesha, eine US-amerikanischen Rapperin, aus den
       Lautsprechern. "Hot and dangerous/If you're one of us then roll with us",
       singt sie, und die vier jungen Männer im Auto, allesamt um die 20, singen
       laut mit. Heute sind sie gut gelaunt, es ist Donnerstagabend, der Freitag
       ist frei, darauf freuen sie sich die ganze Woche: Drogen gehören da dazu.
       Amphetamine, Gras - egal, irgendwas. Hauptsache, es macht Spaß.
       
       Plötzlich reißt der Fahrer das Lenkrad scharf nach links. Das Heck bricht
       aus und schert nach vorne, sodass die Reifen schrill quietschen. Dann reißt
       der Fahrer das Lenkrad nach rechts, und wieder folgt das Heck. Die
       Passagiere im Auto quietschen vor Vergnügen. So geht das ein paarmal, bis
       der Fahrer schließlich das Heck überholen lässt. Knapp vorbei an den
       parkenden Autos am Straßenrand rotiert der Wagen jetzt in ein paar
       schnellen 360-Grad-Drehungen, bis er fast zum Stehen kommt. Dann steigt der
       Fahrer wieder aufs Gas, und das Ganze beginnt von vorne, mit 130 zurück auf
       der gegenüberliegenden Straßenseite.
       
       "Du darfst auf keinen Fall die Handbremse ziehen", sagt der junge Mann auf
       dem Beifahrersitz wichtig. "Das können die anderen draußen sehen. Wenn du
       sie ziehst, bist du für immer ein Feigling."
       
       Am Straßenrand hat die ganze Zeit ein Häufchen von Freunden gestanden.
       Trotz des fahlen Lichts der Straßenlaternen versuchen sie die wilden
       Manöver mit ihren Mobiltelefonen zu filmen. Danach werden sie selbst in
       ihre Autos steigen und versuchen, es noch waghalsiger zu machen. Und wenn
       es gut aussieht, werden sie es vielleicht ins Internet stellen.
       
       Die schnellen 360-Grad-Drehungen aus voller Fahrt nennen sie voller Stolz
       Saudi-Drift. Das ist die gefährlichste Variante des Driftens, der
       populärsten Freizeitbeschäftigung junger Saudis. Inzwischen hat dieses
       Phänomen jedoch auch in anderen arabischen Ländern Fuß gefasst. Bis vor
       einigen Monaten haben solche Drifts in der Hauptstadt Riad noch Hunderte
       von jubelnden Zuschauern angezogen. Nach einigen schweren Unfällen jedoch
       hat die Polizei diese öffentlichen Schaukämpfe unterbunden. Sie hat die
       Seite im Netz blockiert, auf der sich die Drifter verabredeten und auf der
       sie die Videos ihrer waghalsigsten Drehungen ausstellten, aber so
       verabreden sie sich nun eben einfach am Telefon.
       
       Und auch wenn die öffentlichen Rennen nun in den Untergrund gedrängt sind,
       sind die quietschenden Reifen junger Saudis, die für die Nächte üben oder
       einfach so ihre Autos durch Straßen jagen, ein Stück Alltag, den jeder in
       Riads Vororten nur zu gut kennt.
       
       Nach gut zehn Minuten - eine Zeitspanne bevor die Polizei erfahrungsgemäß
       auftaucht - ist das Driften für heute Abend vorbei, und die jungen Männer
       machen sich auf den Weg zu einem Café, um in der Runde zu sitzen und
       Wasserpfeifen zu rauchen. Die meisten sind Studenten um die 20, einige sind
       sogar jünger und gehen noch zur Schule. Diejenigen, die an der islamischen
       Al-Imam-Universität in Riad studieren, tragen dort das traditionelle weiße
       lange Gewand und über dem Kopf das rot-weiße Tuch. Nun jedoch haben sie
       Jeans und T-Shirt an und auf dem Kopf die eine oder andere Baseballmütze
       mit dem Schirm nach hinten.
       
       Für sie ist das Driften nicht die Mischung aus Mutprobe, sozialem Protest
       und Frustverhalten, als das es Journalisten und andere Beobachter
       beschreiben. Auf die Frage aber, warum sie es denn so gerne machen, sagt
       Tariq* schlicht: "Es gibt nichts anderes zu tun. Was sollen wir denn sonst
       machen?" Die anderen, die um ihn herumsitzen, nicken stumm.
       
       Resigniert hört sich das an. So, als sei das etwas Gegebenes, das niemand
       ändern kann. Und Adnan, der an einer Uni in Riad Ingenieurwesen studiert,
       fügt hinzu: "In unserem Auto können wir machen, was wir wollen. Da kann uns
       niemand reinreden."
       
       Saudi-Arabien und seine jungen Männer - das ist ein Kapitel, das nicht zum
       ersten Mal in die Schlagzeilen gerät. 15 der 19 Selbstmordattentäter des
       11. September waren junge Saudis. Einige von ihnen frequentierten
       Stripteaseclubs und Prostituierte, bevor sie in den Märtyrerhimmel
       aufstiegen. Und nach amerikanischen Medienberichten waren fast die Hälfte
       der ausländischen Al-Quaida-Kämpfer nach der US-Invasion im Irak junge
       Saudis.
       
       Das ist wohl kein Zufall. Wegen der rigiden wahabitischen Auslegung des
       Korans herrscht in der saudischen Gesellschaft die wohl strikteste
       Geschlechtertrennung der Welt. Im Kindergarten, in der Schule, an der
       Universität, in Sportvereinen und Moscheen und, außer in einigen liberalen
       Oasen, am Arbeitsplatz sind überall im alltäglichen Leben beide
       Geschlechter streng voneinander geschieden. An Wochenenden, wenn dort am
       meisten los ist, werden unverheiratete Männer sogar aus den Ladenpassagen
       verbannt. Musik und jegliche Art des Abbildens von Mensch und Tier sind von
       der Religion geächtet. In Saudi-Arabien gibt es keine Kinos, keine
       Jugendclubs, keine Bars oder gar Diskotheken.
       
       In der Öffentlichkeit tragen die Frauen tiefschwarze, furchterregende
       Roben, die nur einen schmalen Schlitz um die Augen frei lassen. Ihre
       Silhouette gemahnt unheilvoll an Darth Vader, den Erzschurken aus dem Film
       "Star Wars". Und das Treffen von Männern und Frauen, die nicht eng
       miteinander verwandt sind, wird mit schweren Strafen bedroht.
       
       Dass das nicht spurlos an jungen Saudis vorübergeht, scheint nur allzu
       verständlich. In den letzten Wochen berichten saudische Zeitungen, dass die
       jungen Männer immer aufdringlicher werden, um an die Telefonnummer von
       einem Mädchen zu kommen. Vor allem auf den Straßen tobt der Wettkampf.
       Einige machen regelrecht Jagd auf Autos, in denen sie Mädchen sehen,
       drängen sie ab, klopfen an die Scheiben und brüllen ihre Telefonnummern
       hinüber.
       
       Nein, so etwas machen wir nicht, sagen die Drifter an diesem Abend und
       lachen verschmitzt. Zwei halten ihren Blackberry hoch, das in Saudi-Arabien
       allgegenwärtige Mobiltelefon, auf dem man E-Mails empfangen kann. Dort
       prangt jeweils das Foto von einem Mädchen - unverschleiert. Sie haben die
       Ihrige schon gefunden. Wissen das ihre Eltern? Nein, nein, sagen sie. Wie
       bei vielen jungen Saudis ist das ihr zweiter, geheimer Apparat. Damit
       können sie stundenlang mit der Liebsten telefonieren und texten, ohne dass
       es die Eltern erfahren.
       
       Einige von ihnen wollen nach dem Studium in den USA ihren Masterabschluss
       machen, sagen sie. Die Regierung investiert großzügig in die Ausbildung
       junger Saudis und gibt mehr oder weniger jedem, der sich darum bewirbt, ein
       großzügiges Stipendium für das Studium im Ausland. Nur, denken sie denn,
       dass sie nach ein paar Jahren in den USA sich wieder in der saudischen
       Gesellschaft zurechtfinden werden? "Ja klar, mein Bruder ist wieder hier",
       sagt Adnan. "Das geht alles, wenn man nur will."
       
       * Die Namen wurden geändert, um die Identität der beschriebenen Personen
       vor der Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden zu schützen. Tariq und
       seine Freunde wollten sich deshalb auch nicht fotografieren lassen
       
       25 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Böhm
       
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