# taz.de -- Debatte Sterbehilfe: Der Tod kommt billiger
       
       > Als oberstes Gebot am Lebensende gilt der Patientenwille. Doch wie frei
       > ist der, wenn Leistungen für Todkranke verweigert werden? Wer am Leben
       > bleiben will, erfährt Entsolidarisierung.
       
 (IMG) Bild: Was, wenn der behandelnde Arzt die Depression gar nicht als solche erkennt?
       
       Herbert Wittig war der erste prominente Fall: Der Hausarzt aus Krefeld
       respektierte im November 1981 den Willen einer langjährigen Patientin auf
       Selbsttötung und sah davon ab, die Frau ins Leben zurückzuholen, als er sie
       vergiftet in ihrer Wohnung auffand. Stattdessen hielt er neben ihr Wache,
       bis sie etwa zwölf Stunden später verstarb. Das Urteil der Dritten Großen
       Strafkammer des Landgerichts Krefeld zwei Jahre später machte Furore:
       Erstmals sprach ein deutsches Gericht einen Arzt frei, obwohl der sich
       nicht um die Reanimation seiner Patientin bemüht hatte.
       
       Knapp 30 Jahre später ist der damals eingeleitete Kurswechsel in der
       Rechtsprechung vollzogen und gesellschaftlich akzeptiert: Bei der
       Sterbebegleitung gilt mittlerweile als Konsens, dass der Patientenwille das
       oberste Gebot für jegliches Handeln Dritter sein müsse - auch von Ärzten.
       Patientenverfügungen sind gesetzlich geregelt, der ärztlich begleitete
       Suizid ist nach aktuellem Strafrecht weitgehend legal, und die
       Bundesärztekammer hat soeben ihre moralischen Grundsätze gelockert:
       Sterbebeihilfe gehört danach zwar nicht zu den ärztlichen Aufgaben, wird
       aber auch nicht mehr per se als unethisch deklariert.
       
       Über eine Liberalisierung auch ihres strengen Berufsrechts, das bislang
       jede Form der Tötung untersagt, streiten die Ärzte - noch. Spätestens beim
       114. Ärztetag Anfang Juni in Kiel wollen sie sich positionieren.
       
       Leichter sterben liegt im Trend, verkauft als Zugewinn von Autonomie und
       Integrität am Ende des Lebens. Wer sich dieser Option verschließt, der
       scheint irgendwie selbst schuld zu sein: Leiden, so die Botschaft, war
       gestern. Heute bestimmen wir nicht nur, wann wir unsere Kinder per
       Kaiserschnitt zur Welt bringen, sondern auch, wann wir uns von ihnen
       verabschieden. Wer alles in der Hand hat, der fällt auch niemandem zur
       Last. Wirklich? Tatsächlich beschränkt sich die vermeintliche neue
       Unabhängigkeit auf den Verzicht auf Leistungen, die einem todkranken
       Menschen zustehen, um sein Leben natürlich - und trotzdem nicht qualvoll -
       zu Ende gehen zu lassen.
       
       Abgesehen davon, dass Sterben selten selbst bestimmt ist (oder haben Sie
       sich Ihren Krebs und seinen Verlauf ausgesucht?): Indem suggeriert wird, es
       handele sich bei der Gewährung von Beihilfe zum Suizid ausschließlich um
       einen Akt der Humanität - was er, das soll hier nicht in Abrede gestellt
       werden, in manchen Fällen sicher ist -, wird Druck aus einer anderen
       dringlichen, aber unangenehmen Debatte genommen: der Debatte um die
       Konditionen des Sterbens hierzulande.
       
       78 Prozent der Menschen, die auf hospizliche oder palliative Begleitung
       angewiesen wären, haben derzeit keinerlei Zugang zu entsprechenden
       Angeboten, und das, obwohl sie einen Rechtsanspruch darauf haben. Nach
       Berechnungen der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung
       betrifft das jedes Jahr knapp 400.000 Menschen. Doch selbst wer einen Platz
       im Hospiz bekommen hat, kann sich nicht sicher sein, dort in Frieden
       bleiben zu dürfen: Länger als ein Jahr lang ist eine Finanzierung des
       Aufenthalts durch die gesetzliche Krankenversicherung in der Regel nicht
       vorgesehen. Wer danach immer noch lebt, gilt als
       sondergenehmigungsbedürftig.
       
       ## Der ökonomisierte Tod
       
       In den Krankenhäusern und Pflegeheimen sind die Bedingungen für Sterbende
       ungleich schlechter: Es mangelt hier nicht nur an Personal generell -
       weswegen schon mal eine Magensonde gelegt wird, obwohl der Patient durchaus
       noch essen könnte, hätte denn jemand Zeit, ihn zu füttern -, sondern auch
       an palliativmedizinisch geschultem im Besonderen. Die Erkenntnis, unter
       Hospiz sei nicht bloß ein Ort zu verstehen, sondern ein Gesamtkonzept, das
       überall dort Anwendung finden müsse, wo Menschen sterben, hat sich bislang
       nicht durchgesetzt.
       
       Auch Schmerzmittel wie cannabishaltige Medikamente, die Schwerstkranken oft
       die einzige Linderung bieten, werden häufig nur dann von den Krankenkassen
       erstattet, wenn die Betroffenen die Sozialgerichte anrufen. Welcher
       Sterbende ist dazu in der Lage? Und: Wie viel ökonomischer ist es da, einem
       solchen Menschen den schnellen Tod zu ermöglichen?
       
       In dieser Gemengelage verwundert es wenig, wenn Patienten in Depressionen
       verfallen und ihre Ärzte anflehen, diese mögen ihnen beim Sterben helfen.
       Vielleicht ja auch, weil sie spüren, dass es nicht mehr gesellschaftlich
       opportun ist, als quasi Langzeitsterbende der Versichertengemeinschaft zur
       Last zu fallen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Zahlen, die die
       Bundesärztekammer kürzlich vorgelegt hat: Bei 95 Prozent der
       Sterbewilligen, so die Kammer, hänge der Sterbewunsch mit einer -
       behandelbaren! - Begleiterkrankung wie einer Depression zusammen. Was, wenn
       der behandelnde Arzt die Depression gar nicht als solche erkennt?
       Spätestens an diesem Punkt gerät der ärztlich assistierte Suizid zum
       Fiasko.
       
       ## Recht auf Palliativmedizin
       
       Zu den Grund- und Sozialrechten, und das gilt auch für die medizinische
       Versorgung während des Sterbeprozesses, gehören nicht nur Abwehrrechte
       (keine lebensverlängernden Maßnahmen! keine künstliche Ernährung!), sondern
       immer auch Anspruchsrechte. Wie das Recht auf Palliativmedizin.
       
       Solange diese Versorgung aber nicht oder unzureichend stattfindet, ist
       jeder Vorstoß in Richtung mehr Sterbeliberalisierung immer auch mit der
       Gefahr des Missbrauchs und der Entsolidarisierung verbunden.
       Entsolidarisierung mit denjenigen, die sich lieber für eine Verbesserung
       des Sterbens einsetzen möchten.
       
       Ein Drittel der Ärzte sind nach einer Umfrage des
       Meinungsforschungsinstituts Allensbach generell zum assistierten ärztlichen
       Suizid bereit. Bezeichnenderweise sind dies vor allem jüngere Kollegen.
       Die, die langjährigen Umgang mit Schwerstkranken haben, dagegen lehnen die
       Beihilfe zum Sterben eher ab.
       
       Nicht weil sie per se alt, konservativ und beratungsresistent wären.
       Sondern weil sie erfahren haben: Bevor ein Mensch sich entschließt, egal ob
       todkrank oder gesund, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, muss die
       Verzweiflung über die empfundene Aussichtslosigkeit der eigenen Situation
       immens sein.
       
       3 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA