# taz.de -- Der Dalai Lama will nicht mehr: Der unmögliche Rücktritt
       
       > Diesmal könnte es der Dalai Lama das Oberhaupt der Exiltibeter mit seinem
       > Rücktritt wirklich ernst meinen. Und kündigt gleichzeitig Vorschläge für
       > eine Verfassungsänderung an.
       
 (IMG) Bild: Nicht zum ersten Mal: der Dalai Lama kündigt seinen Rücktritt an.
       
       DELHI taz | Er ist für seinesgleichen eine Gottheit, und natürlich gilt er
       als unersetzbar. Trotzdem redet der Dalai Lama schon seit Jahren, und seit
       einem Jahr besonders häufig, über seinen Rücktritt. Doch für die Mehrheit
       seiner Anhänger ist das eine unerträgliche Vorstellung. Niemand will es ihm
       glauben. Jetzt aber hat es der 76-jährige Obermönch seiner weltweiten
       Anhängerschaft noch einmal ganz klargemacht. Und zwar am Donnerstag in
       seiner jährlichen Ansprache zum Aufstand der Tibeter im Jahr 1959 in China.
       
       Er ließ keinen Zweifel an seiner "Entscheidung, meine formale Machtposition
       an einen gewählten Führer abzugeben". Er bettelte geradezu um Verständnis
       dafür. Seine Entscheidung habe nichts mit dem "Ausweichen vor
       Verantwortung" zu tun. Sie sei "langfristig zum Wohle aller Tibeter".
       
       Doch natürlich wollte wieder mal niemand zuhören. "Er hat schon oft gesagt,
       dass er geht. Das scheint einer seiner Tricks zu sein", kommentierte Jiang
       Yu, die Sprecherin des Pekinger Außenministeriums, mit der zu erwartenden
       Bissigkeit. Aber auch die unmittelbaren Adressaten seiner Rede, die
       Abgeordneten des tibetischen Exilparlaments, wiesen die Rücktrittswünsche
       des Dalai Lama zurück. "Ja, er will zurücktreten, aber es gibt keine
       Möglichkeit, dass er es wirklich tut", sagte die einflussreiche tibetische
       Parlamentsabgeordnete Youdon Aukatsang in Delhi.
       
       ## Vorschläge für neue Verfassung
       
       Dabei kündigte der Dalai Lama an, dem Exilparlament, das in der nächsten
       Woche im indischen Dharamsala zusammentritt, konkrete Vorschläge zu einer
       Verfassungsänderung zu machen. Bisher bezeichnet die so genannte Charta der
       Exiltibeter den Dalai Lama als höchsten geistigen und politischen Führer.
       Der Dalai Lama ist deshalb nie gewählt worden, nur über die Verfassung
       wurde abgestimmt. Damit aber will der Dalai Lama nun Schluss machen.
       
       Er hat den Zeitpunkt seines Einspruchs genau gewählt: Denn schon am 20.
       März wählt die tibetische Exilgemeinde einen neuen Regierungschef. Der alte
       führte bisher ein Schattendasein neben dem Dalai Lama. Der neue aber soll
       nun wirklich der politische Chef werden, wenn es nach seiner Heiligkeit
       ginge. "Der Dalai Lama will weniger Termine und nicht mehr für jede
       Regierungsentscheidung verantwortlich sein", räumt Aukatsang ein. Aber die
       Parlamentarierin sagt auch: "Das ist eine lange Diskussion. Darüber wird
       das Parlament nur hinter verschlossenen Türen diskutieren."
       
       Doch vielleicht lässt sich der Dalai Lama darauf nicht mehr ein. Vielleicht
       meint er es diesmal ernster, als seinen Anhängern lieb ist. Das jedenfalls
       glaubt der ehemalige indische Spitzendiplomat Dalip Mehta, ein enger
       Vertrauter des Friedensnobelpreisträgers.
       
       Mehta war jahrelang im Delhier Außenministerium sein engster
       Ansprechpartner. Heute meint er "einen fundamentalen Wechsel im Denken des
       Dalai Lama" festzustellen. Dieser wolle sich nun wirklich auf seine
       geistige und religiöse Rolle beschränken. "Er fühlt sein steigendes Alter
       und will mehr meditieren", sagt Mehta. Außerdem glaube der Dalai Lama nicht
       mehr daran, dass er persönlich die Verhandlungen mit China über einen
       Autonomiestatus der Tibeter noch voranbringen könne. "Vielleicht denkt er,
       dass ein neuer tibetischer Regierungschef, der mit echter Macht
       ausgestattet ist, in Peking mehr erreichen kann", sagt Mehta.
       
       ## Wen repräsentiert der exiltibetische Regierungschef?
       
       Die Frage, die sich viele Exiltibeter auch selbst stellen, lautet nur: Wer
       wird unseren Regierungschef je ernst nehmen? Wenn der Dalai Lama auftritt
       und wie immer im Namen von "sechs Millionen Tibetern" spricht, dann ist er
       glaubwürdig, weil niemand die tiefe Religiösität der meisten Tibeter
       bezweifelt. Egal wo sie leben, in Dharamsala, New York oder Peking, glauben
       sie an den Dalai Lama als ihre irdische Gottheit. Doch wen repräsentiert
       ein exiltibetischer Regierungschef? Für seine Wahl sind heute gerade mal
       80.000 Exiltibeter in aller Welt registriert. Hinzu kommt, dass der nächste
       "Kalon Tripa", wie sich der tibetische Regierungschef offiziell nennt, kein
       Mönch sein wird.
       
       Drei Kandidaten haben sich für die Wahl am 20. März durchgesetzt: ein
       junger Harvard-Professor, Dr. Lobsang Sangay, und zwei langgediente
       Diplomaten der Exilregierung, Tenzin Tethong und Tashi Wangdi. Keiner von
       ihnen aber trägt das Markenzeichen des Dalai Lama, die rote Kutte. Welcher
       westliche Regierungschef wird dann noch einen Fototermin mit seinem
       tibetischen Gegenüber wünschen?
       
       Peking könnte ein offizieller Wechsel an der exiltibetischen
       Regierungsspitze sogar gelegen kommen - um die Regierung in Dharamsala
       zukünftig komplett zu ignorieren. Mit dem Dalai Lama hatte früher sogar Mao
       Tse-tung verhandelt. Ihn konnte Peking zumindest öffentlich nicht
       übergehen.
       
       Hier erkennt der Dalai-Lama-Vertraute Mehta denn auch das eigentliche
       Anliegen seines Freundes: Der Dalai Lama wolle noch selbst dafür sorgen,
       dass der zukünftige exiltibetische Regierungschef weltweit Anerkennung
       fände. Dafür aber müsse zuallererst er selbst den Thron verlassen.
       
       11 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Blume
       
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