# taz.de -- Interview mit den Leitern des Projekts "Jobstarter": "Das Handwerk ist anspruchsvoll"
       
       > Abiturienten studieren, die anderen machen eine Lehre. Das muss sich
       > ändern, fordern Metin Harmanci und Markus Klier. Schließlich macht sich
       > der Fachkräftemangel auch beim Handwerk bemerkbar.
       
 (IMG) Bild: Als angehende Elektroniker für Automatisierungstechnik können diese beiden jungen Menschen durchaus auch Köpfchen gebrauchen.
       
       taz: Herr Harmanci, Herr Klier, warum soll ich als Abiturientin eine
       Ausbildung im Handwerk beginnen? 
       
       Metin Harmanci: Im Zuge des Fachkräftemangels und wegen der demografischen
       Entwicklung ist jetzt schon der Bedarf da, Abiturienten für das Handwerk zu
       gewinnen. Es reicht nicht, auf diejenigen mit mittlerer Reife
       zurückzugreifen, es braucht auch die Absolventen des Gymnasiums. Zumal sich
       die Prozesse in den Betrieben geändert haben: Sie sind anspruchsvoller
       geworden.
       
       Das klingt nachvollziehbar, aber: Was kann Abiturienten dazu bewegen, einen
       Handwerksberuf dem Studium vorzuziehen? Nach einem Studium verdiene ich
       doch viel mehr. 
       
       Harmanci: Im Handwerk kann man schneller aufsteigen. Kombiniert mit einer
       Fortbildung, die auch anrechenbar ist etwa auf eine spätere Meisterprüfung,
       zahlt sich das aus. Der Reiz kann auch die familiäre Atmosphäre sein. Man
       arbeitet meist eng mit seinen Vorgesetzten zusammen. Wenn ich heutzutage
       sage: Ich möchte frühzeitig eine Firma gründen, dann ist das im Handwerk
       möglich. Das muss sich aber erst einmal manifestieren bei den Abiturienten.
       Viele wissen gar nicht, wie interessant die Aus- und
       Fortbildungsmöglichkeiten im Handwerk sind.
       
       Wie hoch ist denn der Anteil der Abiturienten unter den Handwerks-Azubis? 
       
       Markus Klier: Er liegt bei knapp 15 Prozent. Das reicht nur nicht mehr,
       weil die Anforderungen steigen und auch etwa der Dienstleistungsgedanke
       viel stärker ausgeprägt werden soll. Dazu braucht man Jugendliche mit
       besonderen Kommunikationskompetenzen - und hier spürt man deutliche
       Unterschiede zwischen jungen Menschen, die nach der zehnten Klasse
       abgegangen sind, und solchen, die zwölf oder dreizehn Jahre in der Schule
       waren. Wir wollen die Jugendlichen nicht nur zu Fach- und Führungskräften
       machen, sondern auch zu Innovationsträgern.
       
       Im Handwerk sind heute nicht mehr nur die Hände gefragt, sondern auch der
       Kopf? 
       
       Harmanci: Absolut. Zum Beispiel in der Gesundheitsbranche, bei
       Orthopädiemechanikern oder Augenoptikern, da sind die Anforderungen hoch
       und die Abiturientenquoten liegen heute schon bei 60 Prozent.
       
       Reicht doch. 
       
       Klier: Da kommt ein anderes Problem dazu: Viele nehmen die Ausbildung mit
       und beginnen danach ein Studium. Das ist auch nicht das, was wir wollen.
       Wir werden es nicht ganz verhindern können. Aber viele gehen auch deswegen
       in ein Studium, weil ihnen nicht klar ist, wie schnell sie im Handwerk in
       interessante Positionen kommen können mit einem vernünftigen Gehalt. Diese
       Transparenz wollen wir leisten.
       
       Harmanci: Es ist ja nicht unbedingt so, dass man nach einem Studium
       automatisch einen Arbeitsplatz hat. Wir wollen die, die auf der Kippe
       stehen. Sie verweisen wir auf die Arbeitsmarktchancen: Sie verdienen
       relativ viel Geld, haben praktische und zusätzliche Kompetenzen und sind
       früh in einer Führungsposition. Das ist dann wieder interessant für
       Betriebe, weil die Aufgabenverteilung eine andere sein kann: Der Chef muss
       nicht mehr alles machen, er hat ein fittes Team, das
       dienstleistungsorientierter auftreten kann.
       
       Wie groß sind denn die Gehaltsunterschiede zu Studienberufen? 
       
       Klier: Das variiert stark. Im Durchschnitt sind es 300 bis 400 Euro. Dafür
       verdient ein Handwerker früher als jemand, der studiert.
       
       Bleibt die Sache mit dem Renommee. 
       
       Klier: Da muss sich vielleicht auch die Gesellschaft ein Stück
       weiterentwickeln.
       
       Handwerk hat ja noch etwas von dem alten Bild: Familienbetrieb,
       patriarchalisch, starre Struktur. Sind die Firmen bereit für eine pfiffige
       Abiturientin und frischen Wind? 
       
       Klier: Es gibt solche und solche. Es gibt Betriebe, die sehr offen sind.
       Ich kenne etwa eine Orthopädiemechanikfirma mit genau so einem älteren
       Chef, da ist schon eine Frau Ausbildungsleiterin. Sie achtet stark darauf,
       dass junge Leute kommen, die dorthin wollen. Nicht nur solche, die nirgends
       anders einen Platz gefunden haben. Grundsätzlich sind die Berufe im
       Kreativitätsbereich Vorreiter: Tischler, Konditoren, Fotografen.
       Abiturienten sind da unbedingt gewollt.
       
       Wie kommen Sie ran an die Abiturienten? 
       
       Klier: Wir gehen in die Schulen und präsentieren unser Angebot. Da stoßen
       wir auf offene Ohren - und merken auch, dass sich das Handwerk bisher kaum
       positioniert hat. Auch die Messen sind für uns interessant. Bei der
       "Einstieg Abi" im Herbst haben sie uns den Stand eingerannt, da waren wir
       wirklich überrascht. Die Abiturienten haben genau das gefragt, worüber wir
       reden: Was bringt mir das, was kann ich da machen? Auch Praktika für
       Gymnasiasten sind wichtig.
       
       Das Neue sind die Zusatzqualifikationen, mit denen Sie junge Menschen
       locken wollen. Was verbirgt sich dahinter? 
       
       Klier: Wir bieten diese Qualifikationen in den Richtungen
       betriebswirtschaftlich-kaufmännisch, technisch-innovativ und
       sozial-international. Damit beschleunigen sich die Fortbildungszeiten. Man
       macht bestimmte Dinge schon während der Ausbildung, die sonst erst danach
       kommen. Die genauen Inhalte entwickeln wir gerade. Wir wollen diese
       Zusatzqualifikationen zunächst in 40 extra Ausbildungsplätzen erproben.
       Damit starten wir im September. Die Auszubildenden müssen dafür bereit sein
       zu lernen: Es wird zusätzlicher Aufwand zur normalen Ausbildung, zeitlich
       und inhaltlich.
       
       Wie stellen Sie Vergleichbarkeit zu anderen Bundesländern her? 
       
       Klier: Wir richten uns nach den Richtlinien der Kultusministerkonferenz und
       den Rahmenvorgaben des Ecvet, des Leistungspunktesystems in der beruflichen
       Bildung. Damit ist eine Vergleichbarkeit gegeben.
       
       Mehr Karrierechancen heißt ja auch: Die Handwerkschefs müssen sich darauf
       einstellen, dass ihre Azubis weiterwandern und nicht mehr lebenslang im
       Haus bleiben. 
       
       Harmanci: Viele Inhaber haben selbst einen nichtlinearen Werdegang.
       Menschen mit solchen Erfahrungswerten sind wiederum offener für Impulse und
       akzeptieren auch eher Brüche in der Biografie.
       
       Klier: Wir wollen die Leute zwar im Handwerk halten. Aber auch mit ihnen
       planen und transparent machen: Das sind deine Möglichkeiten, da kannst du
       hin. Diese Personalentwicklung fehlt bisher.
       
       Harmanci: Das sieht auf Betriebsseite nicht anders aus. Auch dort gibt es
       strukturelle Defizite. Deswegen geht es im Projekt auch darum, Firmen so
       weit zu unterstützen, dass sie personalplanen können: Wo will ich hin,
       welche Leute brauche ich dafür, wen habe ich, wie kann ich Leute schulen?
       
       Da verlangen Sie ganz schön viel von den Handwerkern. 
       
       Harmanci: Die Zeiten ändern sich. Für den Inhaber heißt das auch: Er kann
       Aufgaben abgeben, der Geselle kann die Rechnungen machen, und der Chef hat
       den Kopf frei für anderes.
       
       Klier: Wir werden ja auch nicht alle erreichen. Aber gerade im Handwerk
       funktioniert das Netz: Sie erreichen einen, der erzählt es anderen weiter.
       So ändern sich Strukturen.
       
       Harmanci: Auf diese Weise verstehen die Betriebe am ehesten, dass sie nur
       im Wandel den Wettbewerb bestehen können. Produkte müssen sich ja auch
       ändern - da brauchen Sie fitte Leute, die das mittragen.
       
       Nehmen die Abiturienten den Schwächeren die Plätze weg? 
       
       Klier: Wenn sich Ausbildungsberufe verändern, gibt es immer auch
       Verdrängungsprozesse. In Gesundheitsberufen wird es für Jugendliche mit
       niedrigeren Qualifikationen schwieriger, Mittlerer Schulabschluss wird da
       schon erwartet. Im High-Tech-Bereich gilt das Gleiche. Aber: Das Handwerk
       hat immer noch für jeden die Tür offen.
       
       In welchen Branchen? 
       
       Harmanci: Kraftfahrzeuge, da gibt es immer Bedarf. In der Branche wurde
       eigens der Beruf des Service-Technikers geschaffen, das ist quasi der
       einstige Automechaniker. Auch im Baugewerbe findet sich etwas, genauso wie
       bei den Friseuren. Die Verdienstmöglichkeiten sind natürlich entsprechend
       geringer.
       
       11 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristina Pezzei
       
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