# taz.de -- Katastrophen in Japans Popkultur: Das Monstrum und die Hundemenschen
       
       > Atomare Katastrophen und der Kampf zwischen Mensch und Natur spielen in
       > der japanischen Popkultur schon lange eine große Rolle. Bekanntestes
       > Beispiel: der radioaktive Saurier Godzilla.
       
 (IMG) Bild: Die Deformation kommt durch verseuchtes Grundwasser zustande: Buchcover Kirihito.
       
       Häuser wackeln und stürzen ein. Eine Explosion nahe dem Meer. Menschen
       versuchen, zu fliehen. Zu Fuß oder dichtgedrängt auf Lastwagen sitzend, die
       sich langsam durch die Trümmer vorarbeiten. Ein Meer aus Flammen. "Das Ende
       der Menschheit!" kommentiert eine gehetzt klingende Männerstimme die Szenen
       auf Japanisch. Dann taucht ein riesiges Monster auf und speit einen
       gleißenden Strahl zwischen die Häuser, die sogleich zu brennen beginnen.
       "Godzilla verbreitet Radioaktivität in Tokio" heißt es.
       
       Diese dramatischen Szenen wurden 1954 in den japanischen Toho-Filmstudios
       aufgenommen. Die Schauspieler Haruo Nakajima und Katsumi Tetsuka zwängten
       sich abwechselnd in ein schweres, tyrannosaurus-rex-artiges Gummikostüm und
       wüten in einer Miniaturstadt - Godzilla war geboren. Ein Übermonster, das
       die Erde beben ließ; Feuer und radioaktive Verseuchung zugleich brachte.
       Millionen Jahre hatte es unter dem Meer geschlafen, doch die atomaren
       Experimente der Menschen hatten es geweckt und nun zog es los, die
       japanische Hauptstadt zu zerstören. Und für die nächsten sechzig Jahre
       einen Spitzenplatz unter den Monstergestalten einzunehmen, die in der
       Popkultur Japans schon seit Jahrhunderten zu Hause sind.
       
       "Bakemono" bedeutet so viel wie etwas Verwandeltes, etwas Verändertes,
       etwas Pervertiertes. Kurz: ein Monster. Die japanische Kultur ist von
       zahlreichen dieser Bakemono bevölkert. Einige haben ihre Wurzeln in der
       alten animistischen Tradition des Landes, andere wurden mit dem Buddhismus
       aus China importiert. Wieder andere wurden über die Jahre dazu erfunden. Da
       gibt es traditionelle Fuchsgeister und Wasserdämonen, verwandelte Menschen
       und Geisterwesen. Sie tauchen in traditionellen Märchen auf, wurden auf
       Holzschnitten und Drucken verewigt.
       
       Die neuen Bakemono sind die Stars etlicher Comics und Filme der
       Nachkriegszeit. Hier werden Traumata aufgearbeitet und Katastrophen nach-
       und vor-exerziert: Industrialisierung, Urbanisierung, totale Technisierung,
       Entfremdung von der Natur, Krieg und atomare Katastrophen.
       
       Die Bakemonos dieser Geschichten sind Godzilla, Akira, oder durch die
       fiktive Monmow-Krankheit verwandelte Hundemenschen.
       
       Eine der älteren dieser popkulturellen Bakemonos ist Ge-ge-ge no Kitaro.
       Die Geschichte um "den Jungen vom Friedhof" wurde Anfang des 20.
       Jahrhunderts im japanischen Papierbildertheater Kamishibai erzählt. 1959
       machte Shigeru Mizuki eine Manga-Serie daraus . Es geht darin um den
       einäugigen Jungen Kitaro. Geboren auf einem Friedhof neben seinem halb
       verwesten Vater, kämpft er als letzter Vertreter einer Geister-Dynastie für
       den Frieden zwischen Menschen und Monstern.
       
       Die Kitaro-Comics waren in der Nachkriegszeit äußerst populär. Kitaro war
       ein Versehrter und führte den Menschen ihre eigene Versehrtheit und den
       Horror ihrer Umgebung vor. Noch heute ist Ge Ge Ge no Kitaro, dank
       zahlreicher Neuverfilmungen und Play-Station-Spiele, vielen jungen Japanern
       ein Begriff. In der Nachkriegszeit wurde auch Godzilla erschaffen. Der
       erste der 28 Filme über das Monster von 1954 ist sicher als direkte
       Verarbeitung eines Traumas zu sehen - erst die Atombombenabwürfe am 6. und
       9. August auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, in den 50er
       Jahren dann die Atomtests der Amerikaner im Pazifik. Die atomare Bedrohung,
       in diesem Fall durch die Bombe, hat etliche japanische Manga-Künstler und
       Filmemacher zu apokalyptischen Szenarien und endzeitlich geprägten Werken
       inspiriert.
       
       Mit "Akira" hat der Comiczeichner Katsuhiro Otomo zwischen 1982 und 1990
       das über Japan hinaus bekannteste Werk geschaffen. Die Geschichte spielt
       nach dem dritten Weltkrieg in Neo-Tokio im Jahr 2030. "Am 6. Dezember 1992
       um 14.17 explodierte im Großraum Tokio eine neuartige Superbombe...", so
       lauten die ersten Zeilen des Epos. Neo-Tokio ist ein unwirtlicher,
       postapokalyptischer Moloch, in dem sich eine militärische Regierung,
       Anti-Regierungs-Terroristen und Jugendgangs bekämpfen. Zwei junge
       Mitglieder einer Motorrad-Gang kommen einer politischen Verschwörung um
       "Akira" auf die Spur. Ein seltsamer Junge mit enormen psychischen
       Fähigkeiten, die das Militär nicht mehr kontrolliere konnte, bis er die
       Explosion 1992 auslöste.
       
       Die Allegorie zu Hiroshima und Nagasaki ist eindeutig.Der 1954 geborene
       Schöpfer Akiras, Katsuhiro Otomo stammt aus der Präfektur Miyagi, die
       besonders schlimm vom aktuellen Tsunami verwüstet wurden. Das nationale
       Trauma als Action-Manga "Akira", das gleichzeitig eine Warnung ist: Es
       existieren Kräfte, die der Mensch nicht beherrschen kann.
       
       Das ist auch die Botschaft, die der Regisseur Hayao Miyazaki in vielen
       seiner Animationsfilmen formuliert. In den letzten Jahren wurden viele der
       Werke des 1941 in Tokio geborenen "Heidi"-Schöpfers auch ins Deutsche
       synchronisiert.
       
       Wie "Akira", spielt auch "Nausicäa im Tal der Winde" (1984) in einem Land
       nach der Katastrophe. Die Menschen haben ihren Lebensraum derart verseucht,
       dass dort nur noch ein giftiger Pilzwald wächst, der seine gefährlichen
       Sporen verbreitet und ein Zuhause für deformierte Rieseninsekten ist. Das
       Leben ist beschwerlich, es kommt zu Kriegen und am Ende geht es um nichts
       weniger, als um die Rettung der Welt.
       
       Auch in dem Film "Prinzessin Mononoke" (1997) gibt es einen Kampf zwischen
       Mensch und Natur. Waldtiere und -götter wollen sich die Ausbeutung und
       Zerstörung ihres Lebensraumes durch eine Eisenhütte nicht mehr gefallen
       lassen und greifen an. Auf ihrer Seite kämpft die "Prinzessin der Dämonen."
       
       Miyazaki, der große Umweltprediger, beleuchtet die Koexistenz von Mensch
       und Umwelt in kritischer Weise. Er thematisiert die gnadenlose Ausbeutung
       der Natur durch den Menschen und ihre Folgen; die Veränderung der
       Gesellschaft durch Technik. In meisterhaften Bildern mit eindeutiger
       Botschaft.
       
       Erst kürzlich kam Osamu Tezukas Comic "Kirihito" auf Deutsch heraus. Der
       Übervater des japanischen Manga schrieb und zeichnete den Thriller um die
       gefährliche aber ausgedachte "Monmow-Krankheit" schon 1973. Es wir
       vermutet, dass es ein Virus ist, dass die Menschen in einem abgelegenen Ort
       in hundeähnliche Wesen verwandelt. Doch am Ende stellt sich heraus: die
       Deformation kommt durch verseuchtes Grundwasser zustande.
       
       Die gemeinsame Basis all dieser Werke ist nicht nur das atomare Trauma
       Japans, sondern generell die Sorge, das angesichts eines rasanten
       gesellschaftlichen und technischen Wandels, wie er im 19 Jahrhundert durch
       die erzwungene Öffnung des Landes durch die Amerikaner und stärker noch
       nach 1945 stattgefunden hat, nicht nur die traditionellen Werte Japans,
       sondern auch der natürliche Lebensraum zerstört werden.
       
       Mit ihren Visionen von Apokalypse, radioaktiver Verseuchung, Deformation
       und vollkommener Zerstörung hat sich die Popkultur mit diesem Thema seit
       Jahrzehnten auseinandergesetzt. Fast wirken ihre Werke nun wie dunkle
       Prophezeihungen.
       
       15 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kirsten Reinhardt
       
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