# taz.de -- Debatte 150 Jahre Italien: Bruderkrieg in Berlusconien
       
       > Italien wird 150 - und ist gespalten. Doch nicht die Kultur, sondern die
       > Ökonomie ist der Grund. Mit Wohlstandschauvinismus grenzt sich der Norden
       > vom Süden ab.
       
 (IMG) Bild: Schöne, aber trügerische Fassade: Die Piazza Venezia in Rom wurde anlässlich des 150. Geburtstags Italiens aufgehübscht.
       
       "Abbiamo fatto l'Italia, ora dobbiamo fare gli italiani" - wir haben
       Italien gemacht, nun müssen wir die Italiener machen: dieses Diktum von
       Massimo D'Azeglio, einem der liberalen Vorkämpfer der staatlichen Einheit
       im 19. Jahrhundert, erfreut sich noch heute großer Beliebtheit. Gerne wird
       es derzeit zitiert anlässlich des 150. Jahrestags der politischen Einigung
       der Nation, die am 17. März gefeiert wird.
       
       An jenem Tag im Jahr 1861 ließ sich Viktor Emanuel II. von Savoyen zum
       König Italiens krönen, nachdem Giuseppe Garibaldis Truppen der Herrschaft
       der Bourbonen im Süden des Stiefels ein Ende gemacht hatten. Italien
       existierte nun, war nicht mehr bloß "ein geografischer Begriff", wie noch
       Metternich gemeint hatte, sondern ein veritabler, wenn auch ziemlich spät
       gekommener Nationalstaat.
       
       ## Der Jubiläumsdiscount
       
       Ein Nationalstaat allerdings, der heute seine Schwierigkeiten hat, den
       eigenen runden Geburtstag fröhlich zu feiern. Gewiss, der Hard Discount an
       der Ausfallstraße Roms wirbt mit "15 Prozent Preisnachlass für 150 Jahre
       Einheit". Gewiss, der Staatssender RAI macht dieses Jahr Reklame für die
       Zahlung der Rundfunkgebühren mit der gar nicht so unrichtigen Feststellung,
       das Fernsehen erst habe Italien wirklich geeint. Gewiss, auch die
       Autobahnraststätten bieten ein "supergünstiges" Einheitsmenü an. Und an
       vielen Geschäften in den Einkaufsstraßen der Hauptstadt weht in diesen
       Tagen die grün-weiß-rote Trikolore.
       
       Dennoch will im Land keine rechte Feierlaune aufkommen, und eigentlich ist
       für den Donnerstag auch weiter nichts Großes geplant - außer dass er zum
       ersten und womöglich letzten Mal zum staatlichen Feiertag erklärt wurde.
       Über das lange Wochenende freut man sich von Palermo bis Triest - das wars
       dann aber auch: Weiterer patriotischer Überschwang wird ausbleiben. Den
       entwickeln Italiener, so will es das weltweite Vorurteil, sowieso nur bei
       Fußballweltmeisterschaften. Eigentlich ein schöner Zug an diesem Volk,
       dessen Angehörige sich im Angesicht des Kriegstodes in der großen Mehrheit
       immer zuerst fragten, ob das Opfer denn lohnt.
       
       Doch das Problem der Italiener heute ist gar nicht, wie laut sie feiern
       sollen. Ebenso wenig geht es um die Frage, wie sie feiern sollen. 1911
       wollten die Katholiken nicht mittun, weil das "Königreich Italien" nicht
       zuletzt mit der Eroberung des vom Papst regierten Kirchenstaates im Jahr
       1870 vollendet worden war. 1961 wiederum standen die laizistischen Parteien
       und die Kommunisten abseits, weil die regierenden Christdemokraten die
       Festivität katholisch umfunktioniert hatten.
       
       Im Jahr 2011 dagegen stellt die Regierungspartei Lega Nord die Frage, ob
       überhaupt gefeiert werden soll. Nein, lautet die Antwort der rassistischen
       Separatisten unter Umberto Bossi, die zwar als Berlusconis Partner Italiens
       Geschicke leiten, die gar Italiens Innenminister stellen - die aber, unter
       Zustimmung von immer mehr Wählern der Lombardei, des Piemont, des Veneto,
       von Italien nichts wissen wollen.
       
       Hartnäckig wehrten sich die Lega-Minister im Kabinett gegen die Erklärung
       des 17. März zum staatlichen Feiertag, hartnäckig weigern sie sich, sich
       die grün-weiß-rote Kokarden ans Revers zu heften - und lassen stattdessen
       ihre Lega-grünen Einstecktüchlein aus der Reverstasche heraushängen, als
       Zeichen der Zugehörigkeit zur imaginären Nation "Padanien".
       
       Nichts läge näher als die Folgerung, es sei halt schiefgegangen mit dem
       "Italiener-Schaffen" - ein krasser Fehlschluss allerdings. Vor 150 Jahren
       hatten sich Piemontesen und Kalabrier tatsächlich nichts zu sagen, weil sie
       einander schlicht nicht verstanden. Heute aber sprechen alle im Land
       Italienisch, sie teilen dieselbe Volkskultur (des Berlusconi-Fernsehens),
       sie lesen - wenn sie es denn tun - die gleichen Bücher, sie lernen nach den
       gleichen Lehrplänen.
       
       Und Mailänder mögen zwar behaupten, "eigentlich" seien sie Nordeuropäer,
       ihre Stiefbrüder aus Sizilien dagegen eher "Afrikaner" - doch egal ob im
       Verhältnis zur Familie oder in den Beziehungen zu Politik und öffentlichem
       Raum: In Italien überwiegen die Gemeinsamkeiten bei Weitem die
       Unterschiede. Lange her sind die Zeiten, als die von Mussolini in den
       tiefen Süden verbannten politischen Gegner wie Carlo Levi ("Christus kam
       nur bis Eboli") dort bass erstaunt ein völlig fremdes Land entdeckten.
       
       ## Ein Volk, zwei Länder
       
       Nein, Italiens Problem heute ist nicht, dass es keine Italiener hätte. So
       war es vor 150 Jahren: ein Staat, in dem viele "Völker" lebten, ohne
       rechten Kitt außer der äußeren Klammer des "Königreichs". Heute dagegen ist
       da ein kulturell so stark wie nie zuvor geeintes Volk, doch es lebt, recht
       besehen, in zwei Ländern. Die Mailänder, die Turiner, die Bürger Bolognas
       oder Trients: wenig trennt sie sozial und ökonomisch vom Norden Europas,
       von Frankreich, Deutschland, Österreich.
       
       Hier kann man Kerneuropa besichtigen, ökonomisch stark, von insgesamt recht
       hoher Kohäsion. Neapel, Palermo, Reggio Calabria dagegen: das ist nicht
       Deutsch-, sondern Griechenland, Peripherie der EU, abgehängt im
       ökonomischen Wettbewerb, angewiesen auf Transferzahlungen aus Rom und
       Brüssel. Dies übrigens war ein alles andere als selbstverständliches
       Resultat der vor 150 Jahren geschaffenen staatlichen Einheit: Damals war
       das Reichtumsgefälle zwischen Nord und Süd weit geringer als heute.
       
       Heute findet die Lega in diesem Gefälle ihren idealen Humus. Ihr sind seit
       nun 25 Jahren und mit zunehmendem Erfolg die Süditaliener das, was seit
       letztem Jahr dem Bild-Zeitungs-Deutschen "der Grieche" ist: Schmarotzer,
       die es sich "auf unsere Kosten" gut sein lassen. Ganz offen propagiert
       Lega-Chef Umberto Bossi eine Lösung nach belgischem Muster, obwohl sich in
       Italien gar nicht zwei Sprachgruppen, zwei "Ethnien" gegenüberstehen,
       obwohl der Norden spätestens seit dem Wirtschaftswunder der sechziger Jahre
       den Zuzug von Millionen Süditalienern erlebte (die heute oft genug Lega
       wählen).
       
       Wer dieser Entwicklung gegensteuern will, der allerdings muss sich heute
       nicht mehr darum sorgen, die Italiener zu schaffen. Stattdessen wäre es nun
       wieder an der Zeit, Italien zu schaffen: als ein Land, das nicht durch die
       tiefen sozialen und ökonomischen Gräben auf immer in zwei Hälften
       auseinanderdividiert bleibt.
       
       17 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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