# taz.de -- Debatte Atomenergie: Welche neue Lage?
       
       > Die Risiken der Atomkraft waren vor der Katastrophe in Japan bekannt.
       > Jetzt rächt es sich, dass die Union so stark auf Kernenergie gesetzt hat.
       
       Lüge und Heuchelei erreichen in Berlin und Stuttgart derzeit ähnlich hohe
       Konzentration wie das Cäsium in Fukushima. Die Ereignisse in Japan haben ja
       keine neuen Erkenntnisse über Sicherheitsrisiken der Atomkraft gebracht -
       nur die politische Stimmung in Deutschland hat sich verändert.
       
       Alleine des öffentlichen Drucks und der nahen Wahlen wegen schwenken
       Merkel, Mappus und Mischpoke nun um. Sie stellen fürs eigene politische
       Überleben ihre gesamte zuvor vehement propagierte Atompolitik infrage.
       
       Die Fakten, die deutschen Reaktoren betreffend, haben sich nicht geändert:
       Der einzige Erkenntnisgewinn aus Japan ist der, dass Risiken, die
       theoretisch gegeben sind, auch praktisch auftreten können - was
       wahrscheinlichkeitstheoretisch betrachtet nicht mehr ist als eine
       Plattitüde. Und wer nun behauptet, ein solches Desaster habe niemand für
       möglich gehalten, der belügt sich selbst und andere oder zeigt eine
       beängstigend beschränkte Sicht der Realität.
       
       ## Erdbeben verboten
       
       Das Risiko der Atomtechnik war jedem bekannt, der es sehen wollte. Am
       Oberrhein zum Beispiel steht das französische Kraftwerk Fessenheim. Gelb
       leuchtende Schilder mit dem Slogan "Fessenheim - Erdbeben verboten" gehören
       in der Region seit Jahren zur Ausstattung einer jeden Anti-Atom-Demo. Der
       Bund für Umwelt und Naturschutz am Oberrhein warnt schon lange unermüdlich
       vor den Erdbebenrisiken der Reaktoren - von Fessenheim bis Japan.
       
       Und er ist bei Weitem nicht der Einzige. Doch aus Sicht des
       baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus entsprang bis zum
       letzten Wochenende jegliche Kritik an der "friedlichen Nutzung der
       Kernenergie" immer einzig und alleine "grünen Ideologien".
       
       Dass nun zwei Wochen vor der Landtagswahl dem obersten Atomlobbyisten unter
       den Ministerpräsidenten ein mehrfacher Super-GAU im fernen Japan seine
       Wahlchancen verhagelt, ist Ironie der Geschichte. Vermutlich wünscht Mappus
       sich heute, er hätte ein wenig auf den Bundesumweltminister Norbert Röttgen
       gehört, als dieser infrage stellte, ob es sinnvoll sei, "gerade die
       Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal der CDU" zu machen. Anders als
       Mappus ahnte Röttgen, dass es - unabhängig von der Ereignissen in Japan -
       für eine konservative Partei nichts Dümmeres gibt, als diesen
       Konservativismus unbedingt durch borniertes Festhalten an einer
       Risikotechnik pflegen zu wollen.
       
       Da hätte es - auch politisch gesehen - risikoärmeres konservatives Terrain
       gegeben. Man muss sich einfach nur im Heimatland des Herrn Mappus
       umschauen: Wenn eine traditionell konservative Klientel, wie Landwirte im
       Schwarzwald, der CDU wegen deren Energiepolitik den Rücken kehrt - und das
       sind keine Einzelfälle mehr -, sollte das der Partei zu denken gaben.
       
       Politisch war es nie nachvollziehbar, warum CDU und FDP den bestehenden
       Atomkonsens ohne Not aufkündigten und damit nicht nur der
       Anti-Atom-Bewegung zu neuer Stärke verhalfen, sondern auch noch Wähler in
       Massen zu den Grünen trieben. Hätte die CDU die Atomkraft wie geplant
       unaufgeregt auslaufen lassen, hätten die Grünen ein ziemliches Problem mit
       der Wählermobilisierung bekommen. Denn ein ähnlich zugkräftiges Thema hat
       die Partei nicht zu bieten.
       
       ## Planlos, kopflos, populistisch
       
       Nach der ganzen Vorgeschichte sind die vorübergehenden Abschaltungen, die
       Bundesregierung und Stuttgarter Landesregierung jetzt beschlossen haben,
       einfach nur jämmerlich. Mit verantwortlicher Politik hat das alles nichts
       mehr zu tun. Verantwortliche Politik ist planbar und basiert auf
       stringenten Entscheidungen, die sich nicht populistisch nach der Zugbahn
       einer Strahlenwolke in Japan ausrichten. Wer ernst genommen werden will,
       muss verlässlich sein. Mappus hingegen hat nur ein Ziel: seinen Kopf zu
       retten. Und auch Angela Merkel fürchtet um ihre politische Zukunft, wenn
       die CDU Baden-Württemberg verliert.
       
       Wirklich begriffen haben Kanzlerin und Ministerpräsident das Problem der
       Atomkraft noch immer nicht. Es geht nämlich nicht darum, wie stark Erdbeben
       in Deutschland theoretisch auftreten können und wo ein Tsunami denkbar ist.
       Es geht um viel Grundsätzlicheres. Schon vor 25 Jahren, nach dem
       Tschernobyl-Desaster, war die Erkenntnis, dass exakt das gleiche
       Havarieszenario in deutschen Reaktoren nicht möglich ist, wenig hilfreich.
       Entscheidend ist vielmehr die schlichte Erkenntnis, dass die Atomspaltung
       technisch nicht in jedem Fall beherrschbar ist.
       
       Denkbare GAU-Szenarien gibt es nämlich viele, kein Schutz kann sie alle
       definitiv ausschließen. Und das kann nur eines heißen: Finger weg von
       dieser Höllentechnik. Doch anmaßend hat man diese Risiken ignoriert. Japan
       hat nun das Pech gehabt nach der Ukraine das nächste Opfer zu sein. Der
       Unfall hätte jedes andere Atomland treffen können - und jedes Land kann
       auch das nächste sein.
       
       ## Hilflos vor der eigenen Technik
       
       Besonders beklemmend ist es zu sehen, wie hilflos seit Tagen die
       Kraftwerksbetreiber in Japan agieren. Sie versuchen mit Meerwasser zu
       kühlen, sie setzen diesem Borsalze zu, um dann mal zu sehen, was passiert,
       denn sie wissen es nicht. Sie wissen fast gar nichts von den Vorgängen in
       einem Reaktor, dessen Kühlung versagt. Nirgendwo sonst hat man je
       Wissenschaftler so hilflos einer Technik gegenüberstehen sehen, die sie
       selbst entwickelt haben.
       
       Und wie geht es politisch weiter in Deutschland? Es gehört nicht viel
       Fantasie dazu, sich auszumalen, wie die ach so nachdenklich betroffenen
       CDU-Granden nach den Landtagswahlen langsam, aber sicher wieder in die alte
       Rhetorik von der verantwortbaren Energie, der großen Sicherheit der Meiler
       hierzulande und der Unverzichtbarkeit des Atomstroms verfallen werden. Denn
       der Lobbydruck ist groß.
       
       Im Internet kursiert bereits eine Beschreibung von Merkels Positionen.
       Womit dann alles gesagt wäre: In der großen Koalition war Merkel für den
       Ausstieg; in der CDU-FDP-Koalition war sie für den Ausstieg aus dem
       Ausstieg; seit Fukushima ist sie für den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem
       Ausstieg; und nach den Landtagswahlen wird sie erneut umschwenken - auf den
       Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg.
       
       18 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernward Janzing
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA