# taz.de -- Streit der Woche: "Japan hat sich selbst dahin gebracht"
       
       > Die Welt muss sich zum Atomausstieg verpflichten, fordert Japans
       > wichtigste Anti-AKW-Gruppe. Deutschland werde nicht ohne Kernkraft
       > auskommen, entgegnet der FDP-Energieexperte.
       
 (IMG) Bild: Die Feuerwehr aus Tokio soll am AKW Fukushima helfen.
       
       BERLIN taz | Eine Woche nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima
       kritisiert der Tokioer Nuklearexperte Philip White die Reaktion der
       Atomindustrie. "Sämtliche AKW-Betreiber behaupten, Fukushima sei ein
       Sonderfall und neue Reaktoren seien völlig sicher", schreibt der Sprecher
       von Japans wichtigster Anti-AKW-Organisation Citizens' Nuclear Information
       Center im Streit der Woche der sonntaz. Mit ein paar "kosmetischen
       Veränderungen" an den Reaktoren sei es nicht getan. "Die meisten Menschen
       werden sich solche Alibis nicht mehr bieten lassen," meint White.
       
       Der Australier, der seit 16 Jahren in Tokio lebt, bemängelt außerdem die
       engen Beziehungen zwischen Atomlobby, Bürokratie und Politikern in Japan.
       "Japan hat sich selbst in diese lächerliche Situation gebracht", schreibt
       White. Es gebe schon seit Jahrzehnten eine gut organisierte
       Anti-AKW-Bewegung in Japan. Bislang aber sei die Lobby zu stark gewesen, um
       einen politischen Wandel herbeizuführen. Von Tokio aus appelliert White an
       alle Staaten der Welt, eine Lehre aus dem Desaster zu ziehen und sofort
       verbindliche Ausstiegspläne zu entwickeln: "Sonst werden Tschernobyl und
       Fukushima nur der Anfang sein."
       
       Die Katastrophe in Japan hat die Atom-Debatte auch in Deutschland neu
       entfacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach, acht von insgesamt
       17 deutschen Meilern vom Netz zu nehmen – für drei Monate.
       
       Im Streit der Woche plädiert der energiepolitische Sprecher der FDP, Klaus
       Breil, für die weitere Nutzung der Kernkraft als "Brückentechnologie": "Wir
       haben in Deutschland weder Erdbeben japanischer Stärke noch Tsunamis." Es
       mache wenig Sinn "in Panik zu verfallen". Nur die Kernkraft garantiere
       derzeit eine sichere Versorgung, die Einhaltung der Klimaziele sowie einen
       niedrigen Strompreis. Das Energiekonzept der schwarz-gelben Koalition, das
       eine durchschnittliche Verlängerung der deutschen AKW-Laufzeiten um 12
       Jahre vorsieht, nennt Breil "revolutionär". Es ebne den Weg zur Nutzung
       erneuerbarer Energien.
       
       Dagegen kritisiert Robert Werner, Vorstand der Energiegenossenschaft
       "Greenpeace Energy", Umweltminister Norbert Röttgen für seine Aussage,
       Fukushima sei nicht vorhersehbar gewesen: "Weiß denn Herr Röttgen erst seit
       Freitag, dass es Erdbeben geben kann? Und kennt er den Zusammenhang
       zwischen Erdbeben und Tsunamis nicht?", schreibt Werner in der sonntaz.
       "Hoffentlich ist ihm wenigstens klar, dass hier täglich tausende Flugzeuge
       fliegen, gegen deren Absturz kaum ein Reaktor gesichert ist."
       
       Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU, warnt vor
       "Aktionismus und Schnellschüssen". Ein "noch schnellerer" Ausstieg sei
       teuer und bedeute, man müsse über die weitere Nutzung der Kohle nachdenken.
       "Ziel ist die Erhaltung des Industriestandortes Deutschland!", sagte
       Pfeiffer taz.de.
       
       Im Streit der Woche der sonntaz diskutieren außerdem Angelika Claußen,
       langjährige Leiterin der atomkritischen Vereinigung Internationale Ärzte
       für die Verhütung des Atomkrieges, der Politologe Peter Lösche und Henning
       Marx, der Geschäftsführer des Deutschen Atomforums. Die taz.de-Leserin
       Judith Maisenbacher, die sich jahrelang engagiert hat, fragt: "Warum muss
       es immer erst zur Katastrophe kommen, bevor sich was bewegt?"
       
       19 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christina Felschen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zusammenfassung der Katastrophe in Japan: Lage in Fukushima I stabilisiert sich
       
       Alle sechs Reaktoren sind nach Angaben der Betreiber wieder ans Stromnetz
       angeschlossen. Aus Reaktor 3 stieg am Montagmorgen grauer Rauch auf, alle
       Einsatzkräfte wurden evakuiert.
       
 (DIR) Fukushima I - Block 1 bis 6: Der Zustand der Reaktoren
       
       Was seit dem Erdbeben und dem Tsunami in den sechs Atomkraftwerken von
       Fukushima Daiichi passiert ist. Eine Zustandsbeschreibung.