# taz.de -- Debatte Energie: Mehr Wind machen!
       
       > Der Ausbau erneuerbarer Energien ließe sich beschleunigen: mit neuen
       > Gesetzen, finanziellen Anreizen und Kampagnen zur Mobilisierung. Doch die
       > Politik blockiert.
       
 (IMG) Bild: Tut den Kommunen gut: Erneuerbare Energien, wie hier in Dardesheim im Landkreis Harz.
       
       Vergangene Woche kam es im Bundestag zu heiteren Szenen, als
       Unionspolitiker SPD und Grünen vorwarfen, beim Ausbau der erneuerbaren
       Energien versagt zu haben. Das ist grotesk. Doch statt zu feixen, sollte
       die Opposition diese neuen Freunde einer Energiewende lieber in die Pflicht
       nehmen: mit einem konkreten Gesetzgebungspaket.
       
       Schade, dass Hermann Scheer nicht mehr lebt: Er hätte in dieser Situation
       sicher schon ein radikales Papier zum Atomausstieg präsentiert. Ohne ihn
       stellte die SPD am Donnerstag ein etwas bescheideneres Sofortprogramm vor,
       das noch nicht ohne Kohleneubau auskommt. Und auch die Grünen und die
       Umweltverbände haben Konzepte in der Schublade (ohne Kohleneubau).
       
       Doch die Zeit drängt. Denn schon werden die ersten Zahlen ins Spiel
       gebracht, was der Atomausstieg kosten würde: "Turboausstieg kostet 230
       Milliarden!", titelte etwa Spiegel Online. "Und bringt wie viel, für wen?",
       möchte man fragen. Entscheidend ist nämlich, wer wo investiert, welche
       Wertschöpfung und Arbeitsplätze entstehen und welche versteckten Kosten
       vermieden werden.
       
       Die abstrakte Investitionssumme sagt erst mal gar nichts. Es geht eben
       nicht - wie bisher - nur um betriebswirtschaftliche Überlegungen der
       Konzerne und um den abstrakten Kilowattstundenpreis ab Kraftwerk und
       Strombörse. Es geht eher darum, welche neuen Akteure das Geschäft
       übernehmen.
       
       ## Chancen des Atomausstiegs
       
       Tatsächlich könnte der Atomausstieg zu einem Glücksfall der
       Regionalentwicklung werden und der Rückeroberung demokratischer Spielräume
       dienen. Stichwörter sind Rekommunalisierung, neue Stadtwerke und Aufbau
       innovativer Bürgerunternehmen. Das alles fällt nicht vom Himmel. Es muss
       durch massive Förderprogramme zum Auf- und Ausbau regionaler
       Energieagenturen in allen deutschen Land- und Stadtkreisen politisch
       unterstützt werden. Wir brauchen flächendeckend regionale Masterpläne und
       die planerische Freiheit, diese auch umzusetzen - und dafür neue Gesetze.
       
       Höchste Priorität hat deshalb die Novellierung von Planungsgesetzen:
       Genehmigungsverfahren im Baugesetzbuch und im Raumordnungsrecht müssen
       angepasst werden, also auch in verschiedenen Landesgesetzen zur Raum- und
       Regionalplanung. Mit restriktiven Gesetzen wurde der Ausbau der Windenergie
       in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg verhindert. Aber auch der
       Verteidigungsminister blockiert mit Radarvorschriften.
       
       Als nationales Leuchtturmprojekt sollte Hermann Scheers Vorschlag der
       "Energieallee A 7" aufgegriffen werden. Das heißt, die Bundesregierung und
       die betreffenden Bundesländer sollten die Nord-Süd-Autobahn A 7 als fast
       1.000 Kilometer Allee der erneuerbaren Energien mit dezentral geplanten und
       finanzierten Wind-, Solar- und Biomasse-Kraftwerken mit dezentraler
       Netzeinbindung ausweisen.
       
       ## Vorrang für die Erneuerbaren
       
       Beim nächsten Update des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) sollte deren
       Vorrang nicht nur verteidigt, sondern ausgebaut werden. Nötig ist auch,
       dass die Preise wieder verlässlich sinken, um auch im Fall der Fotovoltaik
       langfristige Projektplanung zu ermöglichen. Wind-Onshore sollte vielleicht
       durch eine leichte Erhöhung sogar wieder angeschoben werden.
       
       Viele Experten sagen, dass sich die Anreize für Netzdienstleistungen und
       Netzintegration verbessern müssen. Notwendig ist aber auch, die Berechnung
       der EEG-Umlage so zu verändern, dass die preisdämpfenden Effekte der
       Erneuerbaren deutlich werden. Sonst bleiben sie als angebliche Preistreiber
       in der Kommunikationsfalle. Auch braucht es weniger Ausnahmeregeln für
       stromintensive Betriebe - sonst zahlen weiter nur die privaten Haushalte
       und kleinere Unternehmen.
       
       Der Energiewissenschaftler Joachim Nitsch hat angemerkt, dass es überdies
       dringend einer neuen Gasstrategie bedarf, um den Kohleneubau zu verhindern.
       Diverse Gaskraftwerke würden dann für den Übergang die flexible
       Regelenergie liefern, die beim heftigen Ausbau der Erneuerbaren gebraucht
       wird. Wünschenswert wäre natürlich auch ein Klimaschutzgesetz, das den Bau
       neuer Kohlekraftwerke ohne CO2-Abscheidung untersagt.
       
       Da die Kraft-Wärme-Kopplung völlig stagniert, muss deren Förderung gestärkt
       werden. Es könnte auch eine KWK-Verpflichtung der Industrie für
       Prozesswärme eingeführt und ein echter Schwerpunkt gelegt werden auf die
       Verbreitung von Mikro-KWK in Wohngebäuden - Stichwort: virtuelles
       Kraftwerk.
       
       Viel ist von Stromspeichersystemen die Rede, doch um diese zu finanzieren,
       muss das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden. Es geht um die
       Anerkennung der Investitionen in den Stromnetzgebühren. Dabei müssen, wie
       der Grüne Hans-Josef Fell meint, dezentrale Stromspeicher, verbunden mit
       virtuellen Kraftwerken, so gefördert werden wie die Erschließung großer
       internationaler Speicher in Skandinavien oder den Alpen.
       
       ## Welche Gesetze überarbeiten?
       
       Beim Thema Trassenbau steht eine Überarbeitung des
       Energieleitungsausbaugesetzes an. Ziel ist, den Ausbau auf Hochspannungs-
       wie Verteilnetzebene (auch mit Erdkabeln) zu beschleunigen und die
       Bürgerbeteiligung zu verbessern. Bleibt das spröde Thema Stromsparen: Dazu
       bräuchte es ein echtes Effizienzgesetz mit konkreten Vorgaben für
       Stromlieferanten, die bei ihren Kunden verbindliche Einsparziele erreichen
       müssen. Auch sollten Industriebetriebe zu einem aktiven Energieaudit und
       der Erschließung ihrer ungeheuren Einsparpotenziale verpflichtet werden.
       
       Nicht zu vergessen unsere Privathaushalte: Deren Sparpotenziale sind noch
       nicht mal angekratzt. Es gibt Vorschläge, einen Energiesparfonds mit
       beispielsweise 500 Millionen Euro und groß anlegte Förderprogramme
       einzurichten. Da die Menschen dafür im Moment recht empfänglich sind, wären
       Sofortmaßnahmen sinnvoll: etwa attraktive finanzielle Anreize, die zum
       Austausch von Heizungspumpen, Kühlgeräten und alten Elektroherden anregen.
       Das wäre mal eine Abwrackprämie, die tatsächlich nützt.
       
       Bleibt am Ende festzustellen, dass der Wettbewerb der Ideen in Sachen
       Energiewende eröffnet ist. Setzen wir auf Schwarmintelligenz: Wer
       Vorschläge hat, der melde sich!
       
       22 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Unfried
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA