# taz.de -- Niedersachsens CDU auf Kulturtrip: Das Prinzip Mindestgage
> Niedersachsens CDU ist stolz, dass die Kultur bei der letzten Sparrunde
> verschont wurde - und verkennt, wie prekär die Lage dennoch ist. Das
> zeigte eine CDU-Veranstaltung mit Vortrag und Tanz im Oldenburgischen
> Staatstheater.
(IMG) Bild: Vier Schauspieler statt über 30, zwei davon mit Mindestgage: Der Oldenburger "Prinz Friedrich von Homburg".
HANNOVER taz | Kultur ist Ländersache. Eifersüchtig wachen die
Landespolitiker darüber, dass der Bund nicht in ihrem Feld wildert.
Gleichwohl spielt Kultur die Rolle des Stiefkinds: Sie hat, im Vergleich zu
anderen Ressorts, nur ein geringes Budget. Ehrgeizige Politiker suchen
dickere Portefeuilles oder sehen eine Position als Kulturminister lediglich
als Sprungbrett oder als letzte Station vor dem Ruhestand. Das Ergebnis ist
schauerlich: siehe Hamburg. Zusammen mit anderen Kulturinstitutionen sollte
das Deutsche Schauspielhaus vergangenen Herbst Subventionen einbüßen.
Inhaltliche Debatte? Fehlanzeige!
In Lübeck wird das Theater unter Schmerzensschreien des
Generalmusikdirektors todgespart, Bremen bedenkt den designierten
Generalintendanten mit Auflagen, die das Theater, das einst bundesweit
ausstrahlte, weiter marginalisieren dürften - da ist es schon ein
Silberstreif an Norddeutschlands finsterem Kulturhorizont, wenn wenigstens
in Niedersachsen keine weiteren Einsparungen drohen. Ein Erfolg, den
Kultur- und Wissenschaftsministerin Johanna Wanka stolz vermerkt. Sie
gehört der CDU an.
Die Union beschäftigt sich in diesem Jahr in Niedersachsen gar
schwerpunktmäßig mit der Kultur - das jedenfalls sagt der
Fraktionsvorsitzende Björn Thümler. Die Grünen spotten: im letzten Jahr sei
es die Landwirtschaft gewesen.
Kürzlich tagten die Unions-Abgeordneten im Sprengelmuseum in Hannover.
Außerdem wollen sie in Cloppenburg das Museumsdorf besuchen und kündigten
eine "Goslarer Erklärung zur Kulturpolitik" an. Am Montagabend lud die CDU
zu einer Veranstaltung in die Oldenburger Exerzierhalle, einer
Nebenspielstätte des Staatstheaters Oldenburg.
Fraktionschef Björn Thümler verknüpfte das Schwerpunktthema Kultur mit den
Begriffen "Tradition, Innovation und Identität in Niedersachsen". Dann nahm
Markus Müller das Wort, Oldenburgs Generalintendant. Als Thema hatte er mit
der CDU "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?" abgestimmt. Müller wollte
über die Unabhängigkeit des Theaters sprechen.
In unseren Zeiten sei der Druck, die Subventionen der öffentlichen Hand für
das Theater zu legitimieren, angestiegen. Der Theaterleiter nannte als
überzeugendsten Grund, warum Bühnen mit Steuergeldern unterstützt werden
sollten: Das Theater biete ein retardierendes Moment, es gebe die
Möglichkeit, die Zeit anzuhalten, innezuhalten, nachzudenken im Fluss der
Zeit - also auch tiefer schürfen zu können. "Das Theater muss die richtigen
Fragen zur falschen Zeit stellen können dürfen", zitierte Müller den
Theaterkritiker Peter Iden.
Der Intendant hatte sein Rednerpult in der Exerzierhalle aufgeschlagen, in
der abends "Prinz Friedrich von Homburg" gespielt wurde. Heinrich von
Kleist sah über 30 Figuren vor, in Oldenburg schafften das vier
Schauspieler, berichtete Müller, die in mehrere Rollen schlüpften. Zwei
dieser vier Schauspieler verdienten die Mindestgage, das seien 1.600 Euro
brutto. Einer der Schauspieler stehe, obwohl er eigentlich Anspruch auf
Ruhetage habe, schon 27 Tage hintereinander auf der Bühne.
Immer wieder unterbrach Müller seinen Gedankenfluss, um jemandem zu danken:
dem Oberbürgermeister und der Stadt, die Hausherren der Exerzierhalle
seien, dem Land Niedersachsen wegen seiner Unterstützung, einer Firma,
einem Unternehmen, einer Organisation.
Der Vortrag zerfiel in zwei Teile: Die Argumente für das Theater, obwohl es
etwas kostet, und der Dank an jene Wohltäter, die es ermöglichen. Mitunter
streifte Müller das Devote, trat dann aber auch wieder dafür ein, dass das
Theater nicht nur Stücke zu spielen habe, die Abend für Abend ausverkauft
seien, sondern auch sperrige, die wegen schlechter Publikumsauslastung die
schönste Statistik zerstörten.
Anschließend folgte der künstlerische Teil: das Tanztheater zeigte "Triple
Bill", drei kurze Piècen von drei verschiedenen Choreographen. Sie wirkten
überwiegend abstrakt, kaum Inhalt. Insofern ähnelten sie der gesamten
Veranstaltung. Müller ging jedem Konflikt aus dem Weg und Björn Thümler
unterstrich die Eintracht zwischen Politik und Kunst. Die beiden duzten
einander.
Und können sie nicht auch zufrieden sein? Müller wurde wegen seiner
Akzeptanz in Oldenburg und umzu gelobt, Thümler kann darauf verweisen, dass
Kultur eines der wenigen Ressorts in Niedersachsen ist, das nicht sparen
muss.
Es ist diese Zufriedenheit, die Ärgernis erregt. Die großen Unternehmen
veröffentlichen Bilanzen mit Goldrand, VW vermeldet ein Rekordjahr,
Vorstandsmitglieder kassieren ins Atemberaubende gestiegene Bezüge - und
die Eingangsgage von Tänzern, die zwölf Jahre Ausbildung hinter sich haben,
liegt bei 1.600 Euro. Das Missverhältnis ist obszön.
Nicht nur der Generalintendant müsste angesichts der wunderbar laufenden
Konjunktur energisch mehr Geld fordern, auch die Kulturpolitiker dürften
sich nicht mit dem Status quo zufrieden geben. Die Theater sind in den
letzten Jahren so abgemagert, dass sie nun wieder gesundgefüttert werden
sollten - die Subventionen müssen steigen.
Müller hat, wie die meisten Theaterleiter der Republik, in den vergangenen
Jahren gespart, wo er konnte. Die Strukturen seien "effizienter" geworden,
brüsten sich alle von Markus Müller bis Ulrich Khuon. Neoliberale verbergen
hinter dieser Technokratenvokabel Gagen- und Lohndrückerei.
Müller erzählte ganz anschaulich von der Not: bei der letzten Audition
wären 400 Aspiranten angereist - teilweise von weit her, obwohl ihnen
niemand die Reisekosten ersetzt. Vergeben wurde eine Position im
Tanztheater. Eine! So lange die Misere so groß ist, so lange kann man
Künstler auch mit Schandgagen abspeisen. Wobei "speisen" in die Irre führt.
Aber vielleicht war das ja die heimliche Absicht Müllers: mit den
schlechten Nachrichten, nebenbei eingeflochten, die Politiker zum Handeln
zu animieren. Mutmaßlich dürfte das aber schiefgehen. Es ist mal wieder an
der Zeit, das Ende der Bescheidenheit auszurufen! Warum sollten Politiker
sich ins Zeug legen, wenn die Künstler sich auch mit Brotkrumen
zufriedengeben?
22 Mar 2011
## AUTOREN
(DIR) Ulrich Fischer
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