# taz.de -- Linke Tageszeitungen: Die taz-Cousine aus Uruguay
       
       > Nach fünf Jahren ist "la diaria" in Uruguay zum Kult geworden – und
       > inzwischen die zweitgrößte Tageszeitung des Landes. Und das, obwohl es
       > sie nur im Abo gibt.
       
 (IMG) Bild: Nur von den LeserInnen abhängig sein: "la diaria"-Werbung auf der Buchmesse von Montevideo.
       
       Es gibt in Lateinamerika nicht viele Tageszeitungen, die an die taz
       erinnern. Die bekanntesten sind sicher La Jornada aus Mexiko und Página 12
       aus Argentinien, die in den Achtzigerjahren gegründet wurden. Mit
       stattlichem Umfang und einem breiten linken Meinungsspektrum sind beide
       eine feste Größe in der Medienlandschaft und werten seit kurzem
       [1][Wikileaks-Depeschen] aus. Doch jenes Blatt, das von Struktur und Gestus
       her der taz am ähnlichsten ist, kommt aus Uruguay und heißt auch so
       ähnlich: nicht El Diario, das wäre die wörtliche Übersetzung, sondern
       weiblich la diaria, was auch noch so viel bedeutet wie "das tägliche
       Auskommen". Die 16 Seiten im Tabloid-Format erscheinen von Montag bis
       Freitag.
       
       Vor einer Woche veranstalteten die BlattmacherInnen zum fünften Geburtstag
       in der Innenstadt von Montevideo ein rauschendes Fest – selbstverständlich
       im diaria-Café, wo sonst Kulturveranstaltungen, Podiumsdikussionen und
       Fotoausstellungen steigen. Auch in 15 Provinzstädten trafen sich
       diaria-AbonnentInnen, die ersten zehn Biere gingen auf Kosten des Hauses.
       
       Und Grund zum Feiern gab es genug: "Unsere Überschrift auf der Titelseite
       der Nummer 1 lautete 'Erste Buchstaben der Freiheit'", verkündete
       Chefredakteur Marcelo Pereira, mittlerweile "hat unsere Freiheit hat das
       Wort 'Kooperative' schreiben gelernt". Und die Kooperative ist eine
       Erfolgsgeschichte: Mit Hilfe eines stetig wachsenden Abonnentenstammes und
       solidarischen Aktionären hat sich la diaria mit derzeit 7.400 Exemplaren
       zur Tageszeitung mit der zweitgrößten Auflage in dem
       3,5-Millionen-Einwohner-Land am Río de la Plata gemausert (man stelle sich
       vor, die taz hätte eine Auflage von 170.000!).
       
       Unangefochtene Nummer Eins ist die konservativ-altbackene El País. Die
       überrundeten Konkurrenten, die linksliberale La República und das
       Wirtschaftsblatt El Observador, wurden Anfang 2011 mehrheitlich von
       Investoren aus Argentinien und Brasilien übernommen. Junge Leser haben
       diese Blätter kaum. Vor allem der Zielgruppe der bis zu 35-Jährigen wollten
       die GründerInnen der diaria ein zeitgemäßes und erschwingliches Produkt
       bieten – und diese Rechnung ist aufgegangen.
       
       ## "Kiosk-Mafia" Schnippchen geschlagen
       
       Dies gelang durch neue Wege beim Vertrieb: Während die Konkurrenz
       vorzugsweise an den Kiosken vertreten ist, gibt es la diaria nur im Abo.
       Damit habe man der "Kiosk-Mafia" ein Schnippchen geschlagen. "Die wollten
       von uns einen Rabatt von 40 Prozent und 1.200 Freiexemplare", erzählt
       Damián Osta, Geschäftsführer und einer der Strippenzieher des Projekts.
       Heute kostet das Einzelexemplar umgerechnet 60 Cent, die Konkurrenz über
       einen Euro. Nicht umsonst wurde den Austrägern, die noch vor dem
       Morgengrauen mit dem Motorrad unterwegs sind, die Reportage in der
       Jubiläumsnummer gewidmet: "Diarias de motocicleta", in Anspielung an das
       Che-Guevara-Roadmovie.
       
       Schon wieder ein Wortspiel! Pfiffige Überschriften, eher kommentierend als
       beschreibend, sind ein Markenzeichen der diaria. Damit setzt sie sich
       bewusst ab vom scheinbar sachlich und objektiv daherkommenden Journalismus,
       den die seriöseren Blätter in Lateinamerika zumindest im Politik- und
       Wirtschaftsteil hochhalten. "Vergiss den Neutralismus", sagt Pereira, "wir
       wollen, dass unsere Leute mit eigener Stimme schreiben".
       
       Ähnliches gilt für die graphische Gestaltung, Farbe kommt nur über Anzeigen
       ins Blatt. Viel Wert wird auf großformatige Fotos in schwarz-weiß gelegt.
       "Die sollen nicht nur 'die Realität abbilden', die subjektive Perspektive
       liegt uns am Herzen", sagt Fotograph Sandro Pereyra. Die aufgeräumte
       Titelseite ist Programm: Ein ungewöhnliches Foto, eine originelle
       Titelzeile dazu, plus kleine Hinweise auf die wichtigsten Artikel.
       Eigentlich bestens geeignet für den Verkauf am Kiosk – "aber das machen wir
       nur zu fairen Bedingungen, und so weit sind wir noch nicht", betont Osta.
       
       Und wie steht la diaria zu den alten und neuen Ikonen der
       lateinamerikanischen Linken? Im Gegensatz zu vielen Medien auf dem
       Subkontinent, die sich selbst als fortschrittlich verstehen, wird in der
       Zeitung nicht mit Kritik an linken Regierungen gespart, politische
       Gefangene in Kuba oder die Fallstricke "sozialistischer" Wirtschaftspolitik
       in Venezuela sind kein Tabu.
       
       "Aber wir wollen auch das Zerrbild korrigieren, das die großen westlichen
       Agenturen und die kommerziellen Medien von den linken, angeblich
       populistischen Präsidenten zeichnen", sagt Chefredakteur Pereira, 53, der
       zuvor 20 Jahre lang Redakteur bei der linken Wochenzeitung Brecha war.
       "Einmal hatten wir einen Schach spielenden Evo Morales auf der Titelseite,
       als Kontrapunkt zu jenen, die ihn gerne als halben Analphabeten
       darstellen".
       
       ## "Rosarote Welle" in Südamerika
       
       Ebenso wie die "rosarote Welle" in Südamerika begleitet man auch die eigene
       Regierung mit kritischer Sympathie – und gebührender Distanz. Seit 2005
       regiert in Uruguay das Linksbündnis "Frente Amplio" (Breite Front). Als der
       wirtschaftsliberale Flügel unter dem heutigen Vizepräsidenten Danilo Astori
       auf ein Freihandelsabkommen mit den USA hinarbeitete, stellte sich la
       diaria dezidiert dagegen. Als ein Vorvertrag unterzeichnet wurde, entstand
       die klassische Titelseite mit dem Schriftzug she-daily samt Micky-Maus-Bus
       in Montevideo und der Schlagzeile "It´s carnival!". Inzwischen ist das
       Freihandelsabkommen ad acta gelegt.
       
       La diaria hat offenbar den Nerv jener Generation getroffen, die politisch
       frühestens in den neoliberalen Neunzigerjahren sozialisiert wurde:
       Ideologie ist out, aber unpolitisch ist man deshalb noch lange nicht. "Wir
       sind weder regierungshörig noch stehen wir irgendeiner Gruppe der Frente
       nahe", sagt Osta. Leitartikel gibt es nicht, die undogmatisch-linke
       Ausrichtung des Blattes zeigt sich oft eher zwischen den Zeilen. Eine
       Kommentarseite fehlt, nur hin und wieder eine Meinungskolumne.
       
       "Mit Manifesten halten wir uns zurück, die Leute sollen selbst zu ihrer
       Meinung finden", sagt Marcelo Pereira – eine deutliche Abkehr vom
       klassisch-linken Journalismus à la Brecha, deren Macher männlicher und eine
       Generation älter sind als die fast 30-köpfige, nahezu paritätisch besetzte
       diaria-Redaktion. Drei der acht Ressorts werden von Frauen geleitet.
       
       In der uruguayischen Politik geben hingegen immer noch alte Männer den Ton
       an – Präsident José Mujica wird bald 76, Vorgänger und
       Möchtegern-Nachfolger Tabaré Vázquez ist nur fünf Jahre jünger. In den
       letzten Jahrzehnten wurde die vormalige "Schweiz Lateinamerikas" zum
       Auswanderungsland, das ändert sich erst seit kurzem. Der diaria ist es
       gelungen, die lange vom öffentlichen Diskurs ausgegrenzten Jüngeren
       anzusprechen: Die Leserschaft besteht zu 40 Prozent aus unter 35-Jährigen.
       2009 ist ein [2][hübscher Online-Auftritt] hinzugekommen, aus der
       Printausgabe sind nur Kostproben freigeschaltet.
       
       ## Frauen- und Umweltthemen
       
       Frauen- und Umweltthemen, im Regierungshandeln wie in den herkömmlichen
       Medien ziemlich unterbelichtet, nehmen in der diaria einen breiten Raum
       ein. Zu den Highlights gehören die [3][thematischen Beilagen]: jeweils acht
       Seiten zu Klimawandel, Energiefragen oder Wassertag, aber auch zu
       heimischer Rockmusik oder zur Fußball-WM. Das Layout ist klar und
       unaufgeregt, immerhin 30 Prozent der Einnahmen stammen aus Anzeigen.
       
       La diaria möchte alles andere als ein Nischenprodukt sein. "Von Anfang an
       wollten wir, mit Gramsci gesprochen, am Aufbau einer kulturellen Hegemonie
       der Linken mitwirken, besonders unter den Jüngeren", erinnert sich Pereira.
       Und obwohl die Auflagen gering sind, spielen die Printmedien in Uruguay
       eine Schlüsselrolle im öffentlichen Diskurs: Sie sind die Hauptquellen für
       Radio- und Fernsehsender oder Internetportale. Immer öfter gelingt es der
       diaria, die Debatten mitzubestimmen, etwa bei der Aufarbeitung der
       Militärdiktatur (1973-85), die die pragmatischen Alten der Frente am
       liebsten lautlos entsorgen würden.
       
       In der lateinamerikanischen Medienlandschaft bleibt die unabhängige diaria
       eine große Ausnahme. Fast alle Tageszeitungen sind eng mit mächtigen
       Wirtschaftskonzernen verknüpft, ihre Ausrichtung ist liberal bis
       konservativ. Die Präsidenten Venezuelas, Ecuadors und Boliviens versuchen
       der Hegemonie der "bürgerlichen" Medien regierungsnahe Blätter
       entgegenzusetzen - mit mäßigem Erfolg. Die einzige wirkliche Parallele in
       der spanischsprachigen Welt ist Público, die sich seit 2007 in Spanien
       behauptet.
       
       ## Erfolgsgeheimnis Kooperative
       
       Die Kooperative ist das Erfolgsgeheimnis der diaria. Das Startkapital
       stellten 40 Aktionäre zur Verfügung, darunter die Autoren Eduardo Galeano
       und Mario Benedetti, die ersten PCs kamen gebraucht als Spende aus
       Skandinavien. Oberstes Gremium ist die Vollversammlung, die Führungsposten
       werden in geheimer Wahl besetzt. Die wichtigsten Entscheidungen triff die
       Belegschaft, bei der ersten Krise verordnete man sich eine Lohnkürzung.
       
       "Um unser Überleben müssen wir nicht mehr fürchten, aber chronisch
       unterfinanziert sind wir immer noch", sagt Damián Osta. Korrespondenten
       möchte man sich noch nicht leisten. Die Redakteure könnten anderswo viel
       mehr verdienen. Doch seit der Gründung hätten nur "zwei oder drei" diesen
       Schritt getan, fügt Marcelo Pereira stolz hinzu: "Die Leute bleiben, weil
       sie hier frei sind".
       
       Damián Osta und Marcelo Pereira kommen zum [4][taz-Medienkongress] am 8./9.
       April in Berlin.
       
       25 Mar 2011
       
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 (DIR) taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
       
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