# taz.de -- Radfahren: Rückenwind für die Radbranche
       
       > Immer mehr Berliner steigen aufs Rad um. Davon profitieren nicht nur die
       > großen Läden: Was diese verkaufen, dürfen kleine Händler anschließend
       > reparieren.
       
 (IMG) Bild: Aufbauarbeiten auf der Radmesse Velo
       
       Von Jahr zu Jahr werden es mehr: Kaum weht ein laues Lüftchen, drängen die
       Radler auf Berlins Straßen. Dauerbaustellen, Staus und S-Bahn-Chaos haben
       vielen Arbeits- und Alltagswege per Rad schmackhaft gemacht. Schon heute
       werden laut Verkehrsverwaltung 13 Prozent aller Wege mit dem Rad
       zurückgelegt, es wird erwartet, dass dieser Wert bis 2025 auf 20 Prozent
       ansteigt. Ein Trend, der sich auch in den Fahrradläden niederschlägt:
       Großhändler wie Stadler und Radhaus expandieren am Stadtrand, Einzelhändler
       in den Kiezen profitieren von Reparaturen der meist mittelklassigen Räder.
       "Unsere Auftragsbücher sind absolut voll", sagt Ole Fritze von
       "Fahrradfritze" in der Eisenacher Straße in Schöneberg.
       
       Gaya Schütze, Berliner Vorsitzende des Händlernetzwerks Verbund Service und
       Fahrrad (VSF), bestätigt: "Die Branche ist im Aufwind." Hersteller gibt es
       in der Stadt kaum; die Produzenten von Lampen, Schutzblechen und Schlössern
       konzentrieren sich eher im Westen Deutschlands. Rahmen werden ohnehin meist
       in Fernost produziert. In Berlin wird verkauft und repariert. Erhebungen
       und Zahlen auf Landesebene gibt es nicht, wirkliche Branchenverbände auch
       nicht. Die Recherche nach verlässlicher Statistik gestaltet sich mühsam:
       Fahrradfreaks sind Einzelkämpfer. Der VSF rechnet mit ungefähr 300
       kleineren Händlern.
       
       Seit etwa 2005 beobachtet Gaya Schütze, dass sich die Schere zwischen
       großen und kleinen Firmen öffnet. "Auf der einen Seite gibt es Großmärkte
       mit 7.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, auf der anderen die typischen
       Eins-bis-sechs-Mitarbeiter-Läden." Schlimm sei das nicht: Großhändler wie
       Stadler verkauften im Billig- bis Mittelklasse-Preisbereich - die
       Einzelhändler reparieren diese Räder später. "Es gibt mehr und mehr reine
       Reparaturbetriebe, die mit einer kleinen Gewinnspanne arbeiten", sagt
       Schütze.
       
       Ole Fritze bestätigt: "Das Hauptgeschäft machen wir mit Reparaturen." Zum
       Fahrradkauf kämen vor allem Kunden, für die Geld gar keine Rolle spiele.
       Oder die gehobene Mittelschicht, die sich ein Stadtrad für 700 bis 900 Euro
       zulegen wolle. "Unser Umsatz ist seit 15 Jahren stabil", sagt Fritze und
       zeigt auf sein vollgekritzeltes Auftragsbuch. "Mehr schaffen wir nämlich
       nicht."
       
       Der Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ) beobachtet einen Trend zu
       höherwertigen Fahrrädern; der Fachhandel profitiere davon. Verbraucher
       hätten wohl gemerkt, dass Räder zwar beim Discounter billig seien - aber
       dort nicht repariert würden. Die Kunden seien bereit, für Qualität zu
       zahlen, sagt VDZ-Geschäftsführer Thomas Kunz.
       
       Fritze arbeitet mit seinem Bruder und einem Angestellten in einer
       ehemaligen Apotheke, in den historischen Wandbehältern bewahrt er
       Schrauben, Lichter und Klingeln auf. An den Verkaufsraum schließt eine
       ebenso kleine Werkstatt an. Warum er nicht expandiert? Fahrradreparatur sei
       Vertrauenssache, sagt er. Er bedient nahezu ausschließlich Stammkunden, die
       verließen sich auf die Qualität.
       
       Sein Angestellter ist zugleich ein Kumpel. Außerdem, so Fritze, sei die
       Branche saisonabhängig: Entweder man habe einen, der über den Sommer so
       viel reinverdient, dass er im Winter weiterbeschäftigt werden könne - oder
       einen, der "ab November irgendwo eine Stelle als Skilehrer hat".
       
       Auch für die Ausbildung sei die Saisonabhängigkeit ein Problem, erklärt
       Katharina Schumann von der Handwerkskammer Berlin. "Die Auszubildenden
       müssen ja auch in der dürftigen Zeit beschäftigt und bezahlt werden."
       Deswegen wachse das Angebot an Lehrstellen nicht entsprechend zur Branche -
       die meisten Betriebe seien klein und könnten sich einen Azubi nicht
       leisten, so die Leiterin des Referats Bildungsberatung. Professioneller
       Reparateur wird man durch die Ausbildung zum Zweiradmechaniker oder zum
       Fahrradmonteur. Während die Erstere auch Motorradwartung einschließt, ist
       Letztere vor allem für lernschwächere Jugendliche geeignet. Die Nachfrage
       stagniert, Frauen entscheiden sich ohnehin selten dafür: Von 86
       Zweiradmechaniker-Azubis im vergangenen Jahr waren 6 weiblich.
       
       VSF-Vorsitzende Schütze zählt ebenfalls zu den alteingesessenen Händlern.
       Gemeinsam mit Partnern betreibt sie seit 30 Jahren den Fahrradladen im
       Mehringhof. Sie beobachtet, dass sich in der Branche auch kleinteiligere
       gesellschaftliche Trends widerspiegeln. "In Neukölln zum Beispiel schießen
       die Läden seit einiger Zeit wie Pilze aus dem Boden." Retrobikes würden
       wieder schick, der Stadtteil habe sich zum angesagten Kiez gemausert. Es
       gebe einen Konkurrenzkampf um die gleiche Zielgruppe, warnt Schütze.
       
       Ein Ausweichen auf den Gebrauchtwarenmarkt empfiehlt sie aber nicht: Der
       existiere in Deutschland kaum. "Es gibt hier keine Kultur dafür, die Räder
       werden so lange gefahren, bis sie Schrott sind." Außerdem seien Reparaturen
       zu zeit- und kostenintensiv, die Händler verdienten nichts daran - denn für
       ein aufgearbeitetes Fahrrad könne nur ein Bruchteil des Wertes eines
       Neurads verlangt werden. Ebenso wenig bringe es, sich auf den Luxusmarkt zu
       spezialisieren: Da laufe das meiste übers Internet, zudem werde die Zahl
       der kaufkräftigen Rennradfahrer überschaubar bleiben.
       
       Also doch am besten: reparieren. "Wir ändern unsere Strategie bestimmt
       nicht", sagt Ole Fritze. Und bittet noch, die Journalistin möge nicht zu
       laut die Werbetrommel schlagen: "Da war mal ein Kollege von einer anderen
       Zeitung, der wollte uns was Gutes tun", sagt er und schüttelt den Kopf. "Am
       nächsten Morgen standen sie hier Schlange, schon bevor wir aufgemacht
       haben."
       
       25 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristina Pezzei
       
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