# taz.de -- Zeitungsdesigner über neue Vertriebswege: "Die bequemen Zeiten sind vorbei"
       
       > Zeitungsdesigner Lukas Kircher über den App-Boom bei den Medienkonzernen
       > und die Frage, wie sich klassische Verlage im Tablet- und
       > Smartphone-Geschäft derzeit schlagen.
       
 (IMG) Bild: Apps für alles. Sogar eine Polizei-App gibt es.
       
       taz.de: Herr Kircher, eigentlich sind Sie ja klassischer Zeitungsdesigner.
       War es da schwer für Sie, jetzt voll auf das App-Geschäft umzusteigen, wie
       es Ihre Agentur KircherBurkhardt derzeit zu tun scheint? 
       
       Lukas Kircher: Es war eine willkommene Gelegenheit, sich wieder weiter zu
       entwickeln. Das hatten wir vor 5 Jahren schon einmal, als wir mit dem
       Konzipieren und Designen von journalistischen Webauftritten begannen. Das
       App-Geschäft wächst zwar stetig, ist aber nach wie vor nur ein Teil unserer
       Aktivitäten. Wir sind inzwischen 150 Leute. Wir entwickeln, designen,
       programmieren Formate für alle denkbaren Medien. Tablets sind aber
       definitiv die besten Devices für Inhalte, die ich je gesehen habe.
       
       Bleibt Zeitungsdesign ein Geschäft? 
       
       Klar. Mann muss einfach den Begriff dehnen. Eine Zeitung gibt es gedruckt,
       am Handy, am Arbeitsplatz auf dem Computer, auf Tablets. Die
       Herausforderung ist die gleiche: Inhalte möglichst interessant inszenieren.
       Dem Leser das Gefühl geben, da steht in allen Kanälen eine fantastische
       Redaktion dahinter. Viele Aufgaben sind bei uns dazu gekommen.
       Redaktionstechnik. Redaktionelles Marketing. Business Developement für
       Verlage. Weiterentwicklung der Angebote für Werbekunden. Aber am Ende geht
       es um Journalismus.
       
       Wenn man sich die Apps großer deutscher Medienmarken ansieht, sei es nun
       die vom "Spiegel", die von der "Welt" oder die der taz, fallen große
       Unterschiede auf, was Aufmachung, Interaktivität und dergleichen anbelangt.
       Was raten Sie Verlagen, wie Sie am besten einsteigen? Eher printlastig sein
       oder voll multimedial? 
       
       Ich rate dazu, mal die Perspektive des Lesers einzunehmen. Das ist manchmal
       gar nicht so selbstverständlich, oft geht es nur darum, irgendwie am Tablet
       präsent zu sein. Apps vervollständigen und verbessern das bestehende
       mediale Angebot. Wenn etwa die Frau Abends auf dem Sofa Tatort schaut, kann
       der Mann neben ihr die neueste Ausgabe seines Wissensmagazins
       herunterladen, ein paar Mails checken und gleichzeitig nachschauen, wie der
       türkische Fernseh-Kommissar heißt, den die Gattin so toll findet. Daraus
       entstehen dann Produktideen. Was wir aber beobachten: Viele Leser sind sehr
       interessiert an ihrer Zeitung, genau so wie sie ist. Viele Nicht-Leser
       erwarten das multimediale Bonanza, das das Tablet verspricht. Beides sind
       Chancen.
       
       Wie finden Sie selbst das aktuelle App-Angebot der deutschen Medien? 
       
       Tja, viele Angebote fehlen einfach noch. Liegt auch an der technischen
       Reichweite - es gibt noch zu wenig Tablets in Deutschland. Die wirklich
       innovativen Ansätze kommen derzeit eher aus England und den USA. Meine
       Favorites sind zur Zeit "Eureka", ein grandioses Wissenschaftsmagazin der
       "Times" in London, das "Wall Street Journal", weil es selbst am iPad so
       herrlich nach Druckerschwärze riecht, und "Flipbook", ein unglaublich
       komfortabler RSS Reader, der wie eine Zeitung funktioniert. Sie werden aber
       sehen: Vor allem die kaufmännischen Potenziale des iPad werden nicht
       ausreichend genutzt. Das Konzert im Event-Kalender oder das
       Wochenend-Angebot sollten aus der App heraus gebucht, der Rabatt-Gutschein
       sofort im Laden nebenan eingelöst werden können. Da muss sich der
       Anzeigenverkauf in eine viel facettenreichere Kommunikationsdienstleistung
       verwandeln, bevor sich die Leser langfristig vom Mehrwert des Angebots
       überzeugen lassen.
       
       Sind die USA weiter? Da gibt es ja etwa mit "The Daily" eine erste
       iPad-only-Zeitung, die allerdings technisch viel Kritik einstecken musste,
       Experten erscheint sie noch nicht gut genug. 
       
       Die Amerikaner haben natürlich in den Innovationsmedien einen gewissen
       Vorsprung. Das ist aber in erster Linie eine Mentalitätsfrage. Deutschland
       ist das Land der Ingenieure und der langen Entwicklungsphasen. Deutschland
       tickt anders. Hier setzt man eher auf Kontinuität und übernimmt
       Innovationen erst dann, wenn sie sich in einem vergleichbaren Umfeld
       woanders bewährt haben. Falls "The Daily" ein Erfolg wird, könnten schon in
       sechs bis zwölf Monaten erste deutsche Verlage nachziehen.
       
       Es gibt Kritiker, die meinen, Zeitungs-Apps seien nicht viel mehr als ein
       Hype. 
       
       Klar. Das haben die Menschen auch zum ersten Automobil gesagt, und gemeint,
       dass Pferde immer die bessere Wahl bleiben werden. Eine diskursive
       Überhitzung ist aber bei der Einführung neuer Technologien immer wieder zu
       beobachten. Die enorme Erwartungsblase rund um das iPad wird deshalb gerade
       in den Verlagshäusern kurzfristig auch zu Enttäuschungen führen. Das ändert
       aber nichts an der Tatsache, dass sich Tablets als neue Medienträger
       durchsetzen.
       
       Aber Aussagen, ob sich das Geschäft lohnt, lassen sich noch nicht treffen? 
       
       Doch. Im Augenblick lohnt es sich noch nicht. Außer beim "Spiegel", ich
       glaube, der rechnet sich fast schon. Apps sind aber intern in ihrer
       Funktion als Innovationstreiber und extern als Pulsmesser an der
       Leserschaft jetzt schon mehr als lohnend. Und: Die Dinger werden definitiv
       die Computer der Zukunft. Also müssen wir Wege finden, Leser und
       Anzeigenkunden auf Tablets zu binden.
       
       Wenn man sich die momentan am weitesten fortgeschrittenen Plattformen
       betrachtet, iPhone und iPad, kann man erkennen, dass es die
       unterschiedlichsten App-Ansätze gibt. Die Nutzer müssen sich praktisch in
       jede neue Medienanwendung einarbeiten. Könnte man hier Standards finden,
       die jeder versteht? 
       
       Das Problem ist, dass sich mit der Fortentwicklung des journalistischen
       Raums, im Vergleich zur Zeitung oder zum Fernsehen auch die
       Navigationsmöglichkeiten vervielfältigen. Eine App bietet potenziell
       Bewegungen und Sprünge in jegliche Richtung, und den Entwicklern steht
       grundsätzlich frei, wie sie die Leserführung umsetzen möchten. Wir brauchen
       vor allem selbsterklärende Produkte, die man intuitiv nutzen kann. Ich
       nenne das "Oma-sicher designen". Ich finde, Spiele haben das auch
       geschafft. Wir schaffen das auch im Journalismus. Ob man dafür gleich
       wieder so eine Art iPad Zeitungs-ISO-Norm einführen muss, weiß ich nicht.
       
       Stichwort iPhone und iPad - hier kontrolliert bekanntlich Apple sein
       Terrain, will bis spätestens Sommer jeweils 30 Prozent von allen
       Inhalteverkäufen sehen. Wie reagiert darauf Ihre Kundschaft? Welche
       Gegenstrategien werden hier entwickelt? 
       
       Es gibt schlicht und einfach zur Zeit kaum mögliche Gegenstrategien. Unser
       Rat ist immer: Erst mal tolle Angebote konzipieren, die wirklich genutzt
       werden. Android-Tablets sind noch kein Markt. Die einzige Umgehungstrategie
       ist eine Webplattform unter HTML5, da ist aber das Bezahlen umständlich und
       die Umsetzung "ruckelt" noch ganz schön. Das ist aber für mich zur Zeit der
       interessanteste Weg, weil er zukunftssicher ist, und weil er flexibel auf
       die zu befürchtenden unterschiedlichen Screengrößen der nächsten Tablets
       und Smartphones reagieren kann.
       
       Apple gibt sich allerdings teils kundenfreundlicher als die Verlage. So
       will das Unternehmen etwa Adressdaten nur dann rausrücken, wenn man diese
       explizit freigibt. Die Verlage wiederum wollen die Daten, um besseres
       Marketing betreiben zu können. 
       
       Tja, das ist restriktiv für die Verlage. Dann muss man eben umdenken: Wie
       verführe ich die Leser, mir trotzdem ihre Daten zu geben. Verlage müssen
       sowieso im Marketing umdenken. Die alten bequemen Zeiten sind definitiv
       vorbei.
       
       28 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ben Schwan
       
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