# taz.de -- Die Grünen nach den Wahlen: "Offenes Ohr für alle"
       
       > Ihre Wahlerfolge in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bringen die
       > Grünen an ihre Grenzen. Deshalb setzt sie jetzt bundesweit auf Konsens.
       
 (IMG) Bild: Jetzt wird alles anders: Cem Oezdemir (r.), Winfried Kretschmann, Eveline Lembke (2.v.l.) und Claudia Roth.
       
       BERLIN taz | Euphorie klingt anders. Als der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir
       am Tag nach der Wahl in Berlin vor die Journalisten tritt, beeilt er sich
       zu sagen: "Es ist völlig klar, dass die Wählerinnen und Wähler uns eine
       andere Rolle zuschreiben als in der Vergangenheit." Und Wahlsieger Winfried
       Kretschmann, der neben ihm steht, erklärt: "Wir sind uns der hohen
       Erwartungen und des Vertrauensvorschusses bewusst." Die Grünen geben sich
       besonders nüchtern und verantwortungsbewusst nach einem der größten Erfolge
       ihrer Geschichte. Aus gutem Grund: Von nun an ist für sie alles anders.
       
       Die Partei verkörperte im Wahlkampf die Hoffnung auf Wandel. Nun muss sie
       hoffen, dass sie diesen Wandel auch durchsetzen kann. Noch ist ungewiss, ob
       die Grünen die Kraft dazu haben - in Baden-Württemberg, in anderen
       Bundesländern und im Bund.
       
       Denn ihr Triumph verdeckt die Tatsache, dass die Grünen weiterhin eine
       kleine Partei sind. Zwar gewannen sie in Baden-Württemberg
       erstaunlicherweise neun Direktmandate. Alle übrigen - mit einer
       SPD-Ausnahme - aber behält die mächtige Oppositionspartei CDU. Die Union
       bleibt mit 73.000 Mitgliedern die bestimmende Macht im Südwesten. Die
       Grünen kommen nur auf 7.800. Im Bund ist es ähnlich: 505.000 Mitglieder
       gegen 54.000.
       
       Das ist entscheidend. Die Grünen sind sich ihrer Position noch unsicher.
       Sie sind in Baden-Württemberg auf Bewährung gewählt. Konfrontationen, egal
       mit welcher Konkurrenzpartei, können sie sich nicht leisten. Auch deshalb
       erklärt Kretschmann, als "Lehre aus dem Konflikt um Stuttgart 21" werde er
       "versuchen, für alle ein offenes Ohr zu haben". Dasselbe meint Parteichefin
       Claudia Roth, als sie sagt, die Grünen stünden für einen "Politikstil, der
       Menschen einbezieht", und für "Teilhabegerechtigkeit".
       
       Das Motto lautet: Bloß niemanden vor den Kopf stoßen. Man könnte ihn ja
       noch brauchen. Mit ähnlichen Worten versucht die rot-grüne
       Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen, gesellschaftliche Mehrheiten
       zu gewinnen, die ihr im Parlament fehlen.
       
       Ein weiterer, bislang unbekannter Konflikt tut sich auf bei den Grünen.
       "Wir werden die Interessen unseres Bundeslandes zu wahren wissen", erklärt
       Kretschmann. Das heißt auch: Das wohlhabende Geberland im
       Länderfinanzausgleich wird alles daran setzen, seine Zahlungen an ärmere
       Bundesländer zu begrenzen. Das bringt Grün-Rot in Konflikt mit den rot-grün
       regierten Nehmerländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bremen.
       
       Im September könnte auch das Hauptnehmerland Berlin eine rot-grüne
       Koalition erhalten. Gäbe es dort Grün-Rot, käme es zu einem besonders
       interessanten Konflikt: der reiche Grüne aus dem Südwesten gegen die arme
       Parteifreundin Renate Künast im Nordosten.
       
       Doch am Tag nach der Wahl wollen die Grünen daran nicht denken. Vielmehr
       betonen sie, welchen Segen ihre Regierungsbeteiligungen in
       Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auch der Bundesebene bringen. "Dort
       wollen wir die Auswüchse schwarz-gelber Lobbypolitik verhindern", sagt der
       Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler der taz. "Das ist eine
       ganz große Chance für uns."
       
       Die Wahl in Baden-Württemberg verändert die Machtverhältnisse noch auf eine
       weitere Weise. Baden-württembergische Grüne erklären am Montag: Mit der
       Rücknahme der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sei ja das Hindernis
       für schwarz-grüne Bündnisse überraschend gefallen. Koalitionen von Union
       und Grünen seien deshalb wieder möglich.
       
       Zum Ende seines Berliner Auftritts erklärt Kretschmann: "Ich bin in erster
       Linie meinem Land verpflichtet", erst dann der Partei, und danach komme
       erst er selbst. "Das habe ich von Ministerpräsident Teufel", einem
       CDU-Mann.
       
       28 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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