# taz.de -- Vorschriften aus der Tschernobyl-Zeit: EU tolerant bei Strahlen
       
       > Lebensmittel, die in Japan als zu belastet für den Verzehr gelten, können
       > in Europa legal in den Handel gelangen. Die EU-Grenzwerte sind viel höher
       > als in Japan.
       
 (IMG) Bild: Grenzwertig: Walfleisch aus Japan.
       
       Japan hat die Atomkatastrophe - aber Europa mutet seinen Bürgern bei
       importierten Lebensmitteln deutlich höhere Grenzwerte für radioaktive
       Strahlung zu als das Unglücksland. Die erlaubten Dosen etwa für Jod, Cäsium
       und Plutonium in Milch, Fleisch oder Gemüse liegen in der aktuellen
       Notfallverordnung der EU teilweise um ein Mehrfaches über den japanischen
       Notfallwerten. Das geht aus den jeweiligen Listen hervor, die der taz
       vorliegen.
       
       Die japanische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat angesichts des
       Atomunfalls am 17.März die neuen Grenzwerte festgelegt. Die Werte sind
       höher als im Normalfall, um die akute Versorgung der Bevölkerung nicht zu
       gefährden.
       
       Der gleichen Logik folgt auch die EU-Richtlinie EURATOM No.3954/87, die von
       der Kommission nach Fukushima für Importe aus Japan in Kraft gesetzt wurde:
       Kommt es zu einem atomaren Störfall, werden die Grenzwerte bis zu einer
       Grenze angehoben, die übers Jahr gerechnet noch als gesundheitlich
       vertretbar gilt, heißt es vom "Bundesamt für Strahlenschutz" (BfS).
       
       Die japanischen Vorschriften sind deutlich strenger: Der Grenzwert pro Kilo
       liegt dort für radioaktives Cäsium in der Milch bei 200 Becquerel (Bq) - in
       der EU sind es 1.000 Bq. Beim Fleisch sind es 500 Bq in Japan und 1.250 Bq
       in der EU.
       
       Für radiaoktives Jod gelten in Japan 300 Bq in der Milch, in Europa 500 Bq.
       In Japan darf die Milch nur 1 Bq Plutonium enthalten, in der EU sind es 20
       Bq. Auch bei Fleisch gibt es große Unterschiede: 10 Bq sind in Japan die
       Grenze; in Europa ist der Wert achtmal so hoch.
       
       ## "EURATOM No. 3954/87"
       
       Die EU-Verordnung "EURATOM No. 3954/87" stammt aus dem Jahr 1987 und ist
       eine Folge der Belastung durch den Unfall in Tschernobyl. Die EU hat Mitte
       März die Kontrollen für Lebensmittel verschärft, die aus Japan importiert
       werden: Mindestens 10 Prozent der Waren, die aus 12 direkt betroffenen
       Provinzen stammen, müssen untersucht werden. Doch durch die
       unterschiedlichen Grenzwerte kann es dazu kommen, dass Lebensmittel, die in
       Japan als zu belastet für den Verzehr gelten, in Europa ganz legal in den
       Handel gelangen.
       
       Eine Sprecherin der DG Gesundheit in Brüssel bestätigte die Grenzwerte auf
       Anfrage. Man solle aber nicht vergessen, dass Europa zu den Weltgegenden
       mit den "höchsten Lebensmittelsicherheit der Welt" gehöre. Außerdem würden
       aus Japan nur Muscheln, Gemüse oder Fischprodukte importiert. 2010 machten
       diese Importe einen Wert von etwa 200 Millionen Euro aus. Warum die EU die
       Grenzen für Importe aus Japan nicht einfach schließe, wollte die Sprecherin
       nicht beantworten: "Das ist eine politische Frage".
       
       "Die EU will macht das nicht, um den Handel nicht zu stören", sagt Thomas
       Dersee, der die unabhängige Fachinformation "strahlentelex" herausgibt.
       "Die EU ist schließlich eine Gemeinschaft, die den Handel fördern soll und
       nicht die Gesundheit." Für ihn stellen die Grenzwerte der EU-Notverordnung
       eine "unzumutbar hohe radioaktive Belastung der EU-Bürger" dar.
       
       29 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Verstrahlte Lebensmittel: Radioaktiver Spinat auch in China
       
       Umweltschützer verlangen von der EU, Lebensmittel aus Japans Nachbarländern
       zu kontrollieren. Die EU-Kommission will davon vorerst nichts wissen.
       
 (DIR) Aktuelle Lage Fukushima: Die Fischer sind wütend
       
       Nun versucht es der Betreiber des Atomkraftwerks mit Stickstoff, um eine
       drohende Explosion im Reaktor 1 zu verhindern. Auf Fischmärkten wird Ware
       aus Fukushima zurückgewiesen.
       
 (DIR) Mehr Strahlung in Fukushima: Sicherheitszone dringend ausweiten
       
       Greenpeace fordert wegen mehr radioaktiver Strahlung die Ausweitung der
       Sicherheitszone um Fukushima. Die Arbeiter sind am Ende ihrer Kräfte. Und
       der Wind dreht wieder auf Tokio.
       
 (DIR) Atomkatastrophe in Japan: Rätselraten an den Reaktoren
       
       Regierung gibt eine Kernschmelze im AKW zu - wovon Experten seit Wochen
       ausgehen. Erneut ist verseuchtes Wasser ausgetreten, und für Lebensmittel
       gelten höhere Grenzwerte.
       
 (DIR) Wie die Strahlen auf die Gesundheit wirken: Das bisschen Cäsium
       
       400 Millisievert pro Stunde wurden am Dienstag beim AKW Fukushima I
       gemessen. Das ist so viel, wie man in Deutschland im ganzen Leben aufnehmen
       darf.