# taz.de -- Neue Perspektiven der Clubmusik: Das Spiel mit den Geistern
       
       > Der amerikanische Produzent Nicolas Jaar erklärt auf seinem Debütalbum
       > den Raum zu Geräusch. Mit 21 Jahren ist er schon ein Star der
       > elektronischen Musik.
       
 (IMG) Bild: Nicholas Jaar setzt auf harte Arbeit und den Willen, gute Musik zu machen, ohne sich um Genres zu scheren.
       
       Tempo raus. Nach Dubstep hat sich eine neue Garde von jungen Produzenten
       entwickelt, die selbstbewusst neue Perspektiven in der elektronischen
       Clubmusik aufzeigt: emotional, warm, organisch, sinnlich, entschleunigt,
       mit Mut zum Experiment und zu den leiseren Tönen. Während das Umfeld von
       Witch House und Jungs wie James Blake oder Mount Kimbie noch stark vom
       Dubstep geprägt sind, setzt Nicolas Jaar aus New York auf Vielfältigkeit.
       
       Nicolas Jaar ist bereits ein Star, noch bevor sein Debüt erscheint. Seine
       Live-Sets sind nach nur wenigen Gigs in Deutschland zu Popkonzerten
       mutiert, das Publikum schreit, klatscht und reißt die Arme hoch, betritt
       der junge Mann aus New York die DJ-Kanzel. Jaar stellt die gewohnten
       Clubmechanismen auf den Kopf, setzt kompromisslos auf Entschleunigung statt
       auf Beschleunigung.
       
       Was zunächst paradox erscheint, funktioniert. Nicht der Bass lässt das
       Publikum in Ekstase geraten, sondern die ausgedehnten Zeitläufe und die
       Klangerlebnisse dazwischen regen die Körper an. Jaar wird in den Medien
       bereits als Wunderkind betitelt, als Genie, das die elektronischen
       Klangwelten durcheinanderwirbelt. Manche reden plakativ vom Jaar-Jahr 2011.
       Ein Hype ist entstanden, dem Nicolas Jaar selbst gelassen gegenübersteht:
       "Drüben in den USA bekomme ich nichts davon mit. Das ist eher ein
       europäisches Phänomen." Zudem sei es nichts als harte Arbeit und der
       eiserne Wille, gute Musik zu machen.
       
       Die harte Arbeit trägt sich aus einem inneren Motor, der mit 14 Jahren
       anfängt zu laufen, als ihm sein Vater Alfredo Jaar, ein bekannter
       Documenta- und Konzeptkünstler, eine elektronische Platte in die Hand
       drückt. Der Teenager beginnt seine eigene Musik zu komponieren, sitzt
       stundenlang am Computer. Während andere Kinder spielen, sind seine Tage von
       nur einer Struktur geprägt: aufstehen, Schule, Musik machen, Abendessen,
       Musik machen. Unzählige Stücke entstehen. Nicolas gründet schließlich sein
       eigenes Label "Clowns and Sunset", zu experimentell ist sein Sound.
       
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       ## Alles hat seine Funktion
       
       Heute ist er 21 Jahre, studiert Vergleichende Literaturwissenschaft, reist
       für seine Live-Sets um die Welt und veröffentlicht sein erstes Album auf
       dem Pariser Label Circus Company. Für Jaar ein Befreiungsschlag. Wurden
       seine Singles wie "Mi Mujer" oder "Time for us" auf Wolf and Lamb noch als
       "Deep House" gehandelt, ist Jaar endgültig ausgebrochen aus der Welt der
       Genres. Fernab gängiger Elektronik und klassischer Soundstrukturen schweben
       die vierzehn Stücke auf "Space Is Only Noise" leicht und unbeirrt durch den
       Raum.
       
       Leises Meeresrauschen erklingt zu Beginn, Pianoklänge setzen ein, rollen
       ineinander und formen sich langsam zu einem trippig warmen Beatgeflüster,
       umgeben von Melodien und Vocals; eine Klangschönheit entsteht, die Jaar
       einer Nixe gleich am Ende wieder im Meeresrauschen versinken lässt. Jaar
       tastet, sucht und forscht, wühlt in den Klangwelten von Klassik, Dub, Hip
       Hop und Jazz, nutzt sie als Instrumente, um sie als eigenes Paket wieder
       auszuwerfen. Eine neue Perspektive entsteht.
       
       Die dabei aufkommenden Erinnerungen an Werke von Erik Satie, Massive Attack
       oder DJ Shadow bezeichnet der Künstler als Geister: "Ich spiele mit
       Geistern der Vergangenheit. Sie stecken überall drin, in der Struktur, im
       Sound. Aber es ist eben nur ein Geist, keine Realität. Du kannst es nicht
       sehen, höchstens ein bisschen fühlen." Die gedehnten Zeiträume zwischen den
       Beats sorgen - aller klanglichen Vielschichtigkeit zum Trotz - stets für
       Transparenz. Jeder Klang, jede Note, jeder Saiten- und Tastenanschlag hat
       seine Funktion.
       
       Intelligente Menschen machen intelligente Musik, feinsinnig und schön, ein
       Klischeesatz, der nicht immer zutrifft, bei Jaar dafür aber umso mehr. So
       bricht der Produzent Genres nicht nur musikalisch, sondern auch
       intellektuell auf. Jaar ist ein Denker, einer, der den Dingen, die ihn
       umgeben, seine eigene Definition gibt. Gattungen sind ihm ein Gräuel;
       vorgefertigte Schubladen, die wenig Raum für Reflexion lassen. "More clear
       is less clear", kommentiert der angehende Literaturwissenschaftler.
       
       Musik ist für ihn ein System ohne Subsysteme. Ein Gefühl. Mit seinem Debüt
       entzieht er sich nicht nur einer Genreeinordnung, den Schubladen Deep House
       oder Dancemusic, sondern verwirklicht seine Vorstellung von Musik: "Ich
       gebe exakt das raus, was in mir ist, ehrlich und direkt. Erst wenn ich an
       diesem Punkt angelangt bin, ist ein Track fertig." Um diese Transformation
       von Wesen und Musik zu erreichen, bedarf es eben ausgedehnter Zeiträume:
       "Mein Herz spielt nicht schneller als dieser Beat." Ein schöner Satz.
       
       30 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Jung
       
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