# taz.de -- Wahlen in Nigeria: Der mit dem Hut
       
       > Die Ölgebiete im Nigerdelta könnten über die Chancen des Staatschefs
       > Goodluck Jonathan entscheiden. Die Region hofft darauf – und schwächt
       > ihn.
       
 (IMG) Bild: "Er ist doch einer von uns": Anhänger von Goodluck Jonathan.
       
       WARRI taz | Warri wirkt träge und verschlafen. Die Straßen sind staubig und
       die Schlaglöcher schon lange nicht mehr aufgefüllt worden. Eine neue
       Umgehungsstraße ist derzeit das einzige Großbauprojekt und könnte der
       Regierung ein bisschen Prestige bringen. In der ganzen Stadt mit den rund
       600.000 Einwohnern gibt es genau einen größeren Supermarkt, ab und zu
       finden sich ein paar bessere Fast-Food-Restaurants. Los ist höchstens
       etwas, wenn der Kreisverkehr am Effurun Highway mal wieder verstopft ist
       und sich die Autofahrer ein überwältigendes Hubkonzert liefern.
       
       Der einzige Reiseführer Nigerias widmet der Hauptstadt des Bundesstaates
       Delta gerade einmal eine Seite. Die Autoren haben Warri gar nicht erst
       besucht, weil mal wieder zwei amerikanische Mitarbeiter einer
       multinationalen Ölfirma entführt und ermordet wurden. Das Risiko war zu
       groß. Der Hinweis im Hotelzimmer könnte nicht besser passen: eine
       Gebrauchsanleitung für den Ernstfall. "Was zu tun ist, wenn es zu einem
       bewaffneten Raubüberfall kommt." Die hat es in der Vergangenheit in schöner
       Regelmäßigkeit gegeben.
       
       Nicht nur Raubüberfälle, sondern vor allem Entführungen. Über Jahre waren
       die Expats - die gut bezahlten, ausländischen Arbeitskräfte der großen
       Unternehmen - das Ziel. Mittlerweile sind viele Trittbrettfahrer
       aufgesprungen und haben Entführungen als sichere Einnahmequelle entdeckt.
       Irgendjemand zahlt immer. Politische Statements gegen die Ölriesen sind die
       Kidnappings schon lange nicht mehr.
       
       ## "Den werde ich wählen"
       
       Warri ist eines der Ölzentren Nigerias, wo seit 45 Jahren Öl in
       kommerziellen Mengen gefördert wird. Heute macht das schwarze Gold rund 75
       Prozent der Staatseinnahmen aus. Doch davon profitiert nur eine hauchdünne
       Oberschicht. 70 Prozent der Nigerianer sollen unterhalb der Armutsgrenze
       leben. Mohammed Garba gehört zum Glück nicht dazu. Er hat einen Job als
       Taxifahrer. Viel lieber würde der Mann, der Ende 50 ist und früher Soldat
       war, aber etwas anderes machen. "Ich habe eine Ausbildung und würde gerne
       als Buchhalter arbeiten", sagt er und startet seinen alten Mercedes. Am
       Samstagmorgen kann er Gas geben, weil kein Verkehr auf dem Effurun Highway
       ist. Dort zeigt er irgendwann auf das Poster von Goodluck Jonathan. "Den
       werde ich wählen."
       
       ## Dank an Jonathan
       
       Die Wahlplakate bringen im Moment ein bisschen Farbe in die farblose Stadt.
       Doch anders als etwa in der Hauptstadt Abuja ist der amtierende Präsident
       nur selten am Straßenrand zu sehen. Stattdessen lächeln Senats-,
       Gouverneurs- und Parlamentskandidaten um die Gunst der Wähler. Auch dieses
       Poster ist keine Werbung für den 9. April, den Tag der
       Präsidentschaftswahlen. Es ist eine Danksagung an Jonathan und dessen
       Amtsvorgänger Umaru Yar'Adua. Man bedankt sich, weil sich beide für das
       Amnesty-Programm und damit für die Entwaffnung von mehreren tausend
       Rebellen eingesetzt haben und Warri nun wieder ein sicherer Standort für
       Investoren ist. Das steht zumindest auf dem Plakat.
       
       Doch der Schein trügt: Anfang März hat die Rebellengruppe MEND - das
       Movement for the Emancipation of the Niger Delta - neue Anschläge am
       Wahltag angekündigt. Dass es die Gruppe ernst meint, zeigte sie keine 72
       Stunden später. Bei einer Ölförderstation von Agip kam es gleich zu
       mehreren Explosionen. MEND übernahm die Verantwortung. Mit den Drohungen
       und Anschlägen wollen die Rebellen Druck auf die Regierung machen und sie
       zu Gesprächen zwingen. Mohammed Garba lässt sich dennoch nicht von Goodluck
       Jonathan abbringen: "Er ist doch einer von uns." Doch mit den jüngsten
       Explosionen in Bayelsa ist ausgerechnet in der Heimat gegen ihn geschossen
       worden.
       
       Trotzdem hat Jonathan, dessen Markenzeichen der schwarze Hut der
       traditionellen Herrscher im Delta ist, gute Chancen, der erste gewählte
       Präsident aus dem Südosten Nigerias zu werden. Präsident ist er zwar schon,
       in das Amt gewählt wurde er aber nicht. Er trat als Vize im Mai 2010 die
       Nachfolge von Yar'Adua an. Viele Menschen im Delta versprechen sich einiges
       von ihm. Er würde schließlich die Probleme kennen, die die Region hat, und
       könnte für eine nachhaltige Entwicklung sorgen. Von der ist weit und breit
       nichts zu sehen. Die Infrastruktur ist schlecht, größte Sorge seien aber
       die fehlenden Arbeitsplätze. Denn die großen Unternehmen, die vor Ort
       operieren, stellen kaum lokale Arbeitskräfte an.
       
       Shell will die Kritik nicht gelten lassen. In einer Presseerklärung betont
       der Multi Anfang Februar, in den vergangenen fünf Jahren mehr als 25
       Millionen Euro in die Entwicklung der Region gepumpt zu haben, darunter
       auch in Berufsbildung und Arbeitsplatzbeschaffung. Einen Monat später
       beklagt er sich dann über die Zerstörungswut der Einheimischen. Allein im
       Januar und Februar seien im Delta mehr als 22 Pipelines illegal angezapft
       worden. Sabotage.
       
       Der Vorwurf ist so alt wie die Ölförderung selbst. Direkt oder indirekt
       werfen die Firmen den Bewohnern vor, selbst für Ölhavarien und somit für
       die immense Umweltverschmutzung verantwortlich zu sein. In den vergangenen
       vier Jahren ist das gleich 3.400-mal im Delta passiert, sagt NOSDRA, die
       nationale Agentur für zur Erfassung von Ölhavarien (National Oil Spill
       Detection And Response Agency. Im Laufe der Jahrzehnte sind viele Millionen
       Liter des kostbaren Rohstoffs ins Wasser geflossen - zu sehen überall im
       Delta.
       
       Vom Hafen in Warri aus dauert es eine gute Stunde mit dem Motorboot, um die
       Halbinsel Egwa zu erreichen. Die Tour geht vorbei an dichten
       Mangrovenwäldern. Als die Sonne durch die Wolken hervorbricht, fängt das
       Wasser an in Regenbogenfarben zu glänzen. Der feine Ölfilm ist überall zu
       sehen, auch ganz in der Nähe des Anlegestegs von Egwa.
       
       Das kleine Dorf besteht aus einigen Holzhütten, einer Grundschule und einem
       Dorfplatz, auf dem ein großer Baum steht. Unter dem sitzt Peter Lawal auf
       einer niedrigen Bank. Er ist in Egwa aufgewachsen und heute Bürgermeister.
       Dann macht er das, was ältere Menschen gern ab und zu machen. Er wünscht
       sich die Vergangenheit zurück: "Früher war es besser." Denn seit der
       Ölförderung könnten er und seine Leute nicht mehr zum Fischen gehen. "Und
       wir haben doch immer vom Fischfang gelebt." Viele Menschen würden es
       trotzdem machen, aber er ist skeptisch. "Das Wasser ist dafür doch viel zu
       verdreckt."
       
       ## Kabel ohne Strom
       
       Dann dreht er sich um und zeigt auf ein paar dürre, tief hängende Strippen.
       "Du siehst hier zwar die Stromkabel", sagt er, "aber das bedeutet nicht,
       dass wir Strom haben." Ausgerechnet für den hat er immer wieder mit dem
       Nachbarn Shell gekämpft. Elektrizität und Arbeitsplätze für seine Leute
       wollte er. Doch geklappt hat das bis heute nicht. "Sie versprechen es
       immer, aber ändern tun sie doch nichts." Damit steht der Großkonzern für
       ihn auf gleicher Stufe mit den Politikern. Auch die würden viel versprechen
       und sich am Ende nicht daran halten, auch bei dieser Wahl nicht.
       "Diejenigen, die Gesetze machen, brechen sie auch wieder", sagt er und
       lacht laut los.
       
       Augusta Akusu-Ossai wird das nicht gern hören. Sie sitzt im Empfangszimmer
       eines großen Wohnhauses in Warri. Parteigrößen sind da und auch ein paar
       Paten. Sie sind neben einem gut gefüllten Konto besonders für Politneulinge
       wichtig. Auch Augusta Akusu-Ossai gehört dazu. Ständig klingelt ihr
       Telefon, und wenn die Juristin antwortet, dann ist ihr amerikanischer
       Akzent deutlich zu hören. Einige Jahre lang hat sie in Texas als
       Rechtsanwältin gearbeitet, will jetzt aber zurück nach Nigeria, und zwar
       als Politikerin ins Repräsentantenhaus. Repräsentieren möchte sie
       ausgerechnet das Nigerdelta: "Meine Eltern sind von hier, und ich bin als
       Grundschulkind in die Gegend gezogen." Dann hält sie einen Moment inne und
       denkt über ihre Kindheit nach. Frei sei sie gewesen, niemand hätte damals
       an Entführungen gedacht. Doch heute: "Heute lebt die Region in ständiger
       Angst", sagt sie.
       
       ## Mit den Multis verbandelt
       
       Das will Augusta Akusu-Ossai mit ihrer Kandidatur und dem erhofften Einzug
       ins Parlament ändern. Angst ist jedoch nicht ihr einziger Feind. Sie will
       auch etwas gegen die "massive Korruption" unternehmen. Sie gilt ebenfalls
       als Grund dafür, dass sich die Region in all den Jahren nicht entwickelt
       hat. Viele Politiker sind viel zu sehr mit den Ölmultis verbandelt und
       drücken deshalb beispielsweise keine schärferen Gesetze durch oder
       schreiben den Umweltschutz auf ihre Fahnen.
       
       Mohammed Garba zuckt mit den Schultern, als er den Vorwurf hört: "Das weiß
       ich nicht." Im ersten Moment ist es ihm auch egal. Aber als er dann den
       Innenspiegel zurechtrückt, um rückwärts aus der kleinen Parklücke zu
       kommen, sagt er: "Und wenn es so ist, vielleicht macht Goodluck Jonathan
       etwas dagegen. Our brother."
       
       1 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Video der Woche: Feuer, Wasser, Öl und Smartphone
       
       Was tun, wenn in Nigeria die Gaspipeline brennt? Oder wenn das Wasser nach
       Öl schmeckt? Richtig: Handy gezückt! Denn es gibt eine App dafür.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in Nigeria: Goodluck Jonathan gewinnt souverän
       
       Es ist ein eindeutiges Ergebnis bei der friedlichsten Wahl des Landes seit
       seiner Demokratisierung: rund 60 Prozent der Stimmen bekam der neue, alte
       Präsident.
       
 (DIR) Wahl in Nigeria: Präsident nur noch Kunstobjekt
       
       Die wortgewaltigen intellektuellen Kritiker von Brutaloherrschaft und
       Korruption schwanken bei den Wahlen zwischen Präsident Jonathan und
       Fundamentalopposition.
       
 (DIR) Parlamentswahlen in Nigeria: Anschläge überschatten erste Runde
       
       Der Wille zum politischen Wandel siegt über die Angst: Trotz tödlicher
       Anschläge gehen die Menschen in Nigeria wählen. Doch es sind weniger, als
       erwartet.
       
 (DIR) Wahl zur Nationalversammlung in Nigeria: Vergebliches Warten
       
       Die Wahl zur Nationalversammlung wird um zwei Tage verschoben. Offiziell
       heißt es, die nötigen Unterlagen sind nicht überall ausgeliefert worden.
       Erste Zweifel tauchen auf.
       
 (DIR) Gewalt in Nigeria: Die Stadt der Barrikaden
       
       Die zentralnigerianische Stadt Jos war ein beliebtes Ausflugsziel. Bis sie
       sich zu einem Schmelztiegel ethnischer und sozialer Gewalt entwickelte.
       
 (DIR) Nigerias Präsident als Pechvogel: Goodluck wird Unglücksrabe
       
       Goodluck Jonathan, Nigerias erster Präsident aus der Ölregion, bekommt vor
       den Wahlen im April immer mehr Gegenwind. Eine Reihe von Anschlägen
       schwächt ihn zusätzlich.
       
 (DIR) Gewaltsame Kämpfe in Nigeria: Bomben zu Weihnachten
       
       Zu Weihnachten werden in der nigerianischen Stadt Jos Christen und Muslime
       Opfer von gegenseitigen Anschlägen. Sie münden direkt in bewaffnete
       Straßenschlachten.
       
 (DIR) Nigerias Armee eröffnet Offensive: Rebellenbekämpfung per Totalangriff
       
       Wenn die nigerianische Armee Rebellen bekämpft, geht es immer zu Lasten der
       Bevölkerung. Die Regierung spielt die Zahlen der Toten herunter und setzt
       die Militäraktionen fort.