# taz.de -- Doktorandin wirft Professor Missbrauch vor: Vergewaltigung oder Rufmord?
       
       > Eine Doktorandin behauptet, ihr Doktorvater habe sie vergewaltigt. Doch
       > die Staatsanwaltschaft findet keine Beweise. Jetzt kehrt der Professor an
       > die Uni zurück.
       
 (IMG) Bild: Die Studierenden an der Uni Bielefeld sind beunruhigt, dass Professor N. wieder lehren soll.
       
       "Studenten informieren" steht auf dem Aushang. Angemessener wäre "Wanted".
       Denn was folgt, ist eine kaum verhohlene Anklage. "Bestrafter Professor
       kommt zurück an die Uni", heißt es da. Der Mann werde des mehrfachen
       "sexuellen Missbrauchs" (fettgedruckt) bezichtigt. Daneben sein Konterfei
       und der Klarname. Es folgen der Hinweis auf seine Website und schließlich
       der Aufruf "Boykottiert seine Veranstaltungen!"
       
       2.000 dieser Flyer haben Unbekannte im März an der Universität Bielefeld
       verteilt. Zu Beginn des Sommersemesters . In dieser Woche kehrt der
       Professor auf dem Aushang wieder an die Universität zurück. Fast zwei Jahre
       wurde er hier nicht gesehen, nachdem er im Juli 2009 vom Dienst suspendiert
       worden war. Die Studierenden sind beunruhigt. Beim Allgemeinen
       Studierendenausschuss (Asta) hätten schon Leute angeklopft, berichtet Jan
       Seelhorst vom Sozialreferat. Was man denn dagegen tun könne, dass Professor
       N. wieder lehre.
       
       Die Wahrheit ist: nichts. Professor N. ist, anders als auf dem Flyer
       dargestellt, niemals wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt oder bestraft
       worden. Die Anklage wurde fallen gelassen. Allein seine ehemalige
       Doktorandin, das angebliche Opfer, hält den Vorwurf aufrecht.
       
       Doch wer Opfer ist und wer Täter, ist strittig unter Kollegen und
       Studierenden. Ist es der Professor, der sich einer Verleumdungskampagne
       ausgesetzt sieht und vor ahnungslosen Studierenden als Vergewaltiger
       hingestellt wird? Oder die Doktorandin, die nun wieder täglich dem Mann
       begegnen muss, der sie vergewaltigt und erniedrigt haben soll?
       
       Der Fall ist nur auf den ersten Blick klar: Vor fast zwei Jahren, im April
       2009, meldet sich die Doktorandin T. kurzfristig beim Rektorat. Sie sei
       verzweifelt und am Ende, ihr Doktorvater würde sie seit Monaten zum Sex
       zwingen. Die Universität nimmt die Vorwürfe ernst. Sie leitet ein
       Disziplinarverfahren ein und entzieht dem Mann die Betreuung der
       Doktorarbeit.
       
       Ab da wird es kompliziert. Der Professor zeigt die Doktorandin wegen
       Verleumdung und Vortäuschung einer Straftat an. Sie nimmt sich ihrerseits
       einen Anwalt, die Universität schaltet die Staatsanwaltschaft ein. Doch die
       Ermittlungen fördern nichts zutage, was eine Anklage rechtfertigt. Die
       Staatsanwaltschaft stellt im Juni 2009 erst das Verfahren gegen Frau T.
       wegen Verleumdung ein. Im Oktober wird auch die Anklage gegen Professor N.
       wegen Vergewaltigung fallen gelassen. Eine Beschwerde der Doktorandin weist
       die Generalstaatsanwaltschaft ab.
       
       Im Jahr darauf, im April 2010, erhebt die Universität noch einmal
       Disziplinarklage gegen den Professor. Das zuständige Verwaltungsgericht in
       Münster prüft, ob Professor N. seine Stellung als Vorgesetzter ausgenutzt
       und Frau T. zum Sex gezwungen hat. Das Gericht meint: Nein. "Die Beziehung
       [ist] offenbar durchgehend durch Frau T. aktiv gefördert worden." So heißt
       es im Urteil. Wegen der Verquickung dienstlicher und privater Belange muss
       der Professor lediglich 6.000 Euro Geldbuße bezahlen.
       
       Für die Universität Bielefeld ist der Fall damit erledigt. "Der Mann wird
       wieder lehren. Er wurde von zwei Instanzen freigesprochen, alles andere
       spielt für die Hochschule keine Rolle", erklärt Universitätssprecher Ingo
       Lohuis auf Anfrage.
       
       Aber Frau T. gibt nicht auf. Ihr Anwalt Torsten Giesecke klagt im Namen
       seiner Mandantin dagegen, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Für
       dieses Klageerzwingungsverfahren hat sich Frau T. von einer forensischen
       Psychologin befragen lassen. Auf der Basis ihres Gutachtens muss das
       Oberlandesgericht nun entscheiden, ob es Frau T. glaubt und den Fall wieder
       aufnimmt. Doch die Chancen dafür stehen schlecht. Im nichtöffentlichen
       Gutachten heißt es an einer Stelle: Frau T. habe eine mutmaßliche
       narzisstische Neigung zu Inszenierungen.
       
       Handelt es sich also nur um den Rachefeldzug einer liebeskranken Frau? So
       stellt es der Professor dar. Auf Anfrage erklärt er: "Es wäre für mich ein
       Leichtes, Frau T. mit einer Veröffentlichung der Flut von
       Liebeserklärungen, erotischen Fotos und Geschenken, mit denen sie mich
       überhäuft hat, bloßzustellen. Ich verzichte aber darauf. Diese Dinge sind
       in den staatsanwaltschaftlichen Akten, und da sollen sie auch vorerst
       bleiben." Frau T. sei zurückgewiesen worden und betreibe seit zwei Jahren
       Verleumdungskampagne gegen ihn. Ein Kollege des Beschuldigten bestätigt
       diese Sicht.
       
       Unstrittig ist: Professor N. und die Doktorandin T. hatten von Februar 2007
       bis Dezember 2008 eine Beziehung. Das Verwaltungsgericht geht davon aus,
       dass es sich um eine "auch sexuelle Beziehung" in gegenseitigem
       Einvernehmen handelte.
       
       Doktorandin T. widerspricht. Anwalt Giesecke meint: "Das Verhältnis war
       freundschaftlich, aber es gab eine Grenze: Sex." Und ebendiese hätte der
       Professor in mindestens sieben Fällen übertreten. Der Gutachterin schildert
       Frau T. wie der Professor sie gegen ihren Willen in einem Tagungshotel aufs
       Bett gezogen habe: "Und ich hielt meine Hand davor und sagte, ich will das
       nicht. Lass es, ich will das nicht. Dann hab ich mich halt zugehalten."
       
       In der bundesweiten polizeilichen Kriminalstatistik sind 7.314 Fälle
       sexueller Vergewaltigung und Nötigung im Jahre 2009 erfasst. Das sind die
       Fälle, die angezeigt wurden. Die Zeitschrift Emma veröffentlichte im Herbst
       2010 Recherchen, wonach nur 8 Prozent der vergewaltigten Frauen zur Polizei
       gingen. Drei Viertel der Verfahren würden mangels Beweisen eingestellt.
       
       "Die Situation bei Sexualdelikten ist unbefriedigend", meint auch Helmut
       Rüster von der ehrenamtliche Opferberatung Der Weiße Ring. Die meisten
       Fälle fänden im persönlichen Umfeld statt, und Zeugen für die Tat gebe es
       in den wenigsten Fällen. "Wenn es dann keine eindeutigen Indizien gibt, die
       für Gewaltanwendung sprechen, gilt: Im Zweifel für den Angeklagten."
       
       Es gebe keine gesicherten Beweise, dass es sich so abgespielt hat, wie Frau
       T. es schildert, räumt ihr Anwalt ein. Keine Kratzspuren, kein Sperma,
       keine zerrissene Kleidung. Aussage steht gegen Aussage.
       
       Die Bielefelder Frauen-Union hat sich in einem offenen Brief hinter Frau T.
       gestellt. Sie sei auf sie zugekommen und habe sehr verzweifelt gewirkt,
       berichtet die Vorstandsvorsitzende Anne Meuer-Willuweit. "Das, was sie
       sagte, klang für mich glaubhaft." Meuer-Willuweit hat sechs Jahre am
       Landgericht als ehrenamtliche Richterin gearbeitet. "Ich weiß, dass die
       meisten Opfer die Wahrheit sagen. Nur ein Bruchteil lügt."
       
       Doch es bleiben Ungereimtheiten. Warum hat Frau T., eine verheiratete Frau,
       die Beziehung nicht einfach beendet, nachdem der Professor sie das erste
       Mal zum Sex genötigt hatte? "Sie war abhängig von ihm und hatte Angst",
       sagt ihr Anwalt. Der Professor habe ihr gedroht, wenn sie auspacke, dann
       sitze sie bald bei Lidl an der Kasse.
       
       Die Strukturen an den Universitäten sind hierarchisch, das Verhältnis zum
       Doktorvater archaisch. Diese sind Betreuer, oft auch Arbeitgeber und vor
       allem Prüfer in einer Person. "Wenn du in der Wissenschaft etwas erreichen
       willst, gibt es meist nur eine Person, die dir eine Fahrkarte ausstellen
       kann", meint eine, die jahrelang im Hochschulsystem gearbeitet hat. "Und
       dafür sind viele bereit, einen hohen Preis zu zahlen."
       
       Sie selbst habe lange genug beobachtet, wie junge Frauen sich als
       Doktorandinnen bei älteren Professoren andienten, wie sie fünf Jahre bei
       ihnen promovierten und anschließend mit glänzender Abschlussnote die Uni
       verließen. Das sei nicht weit von der Prostitution entfernt.
       
       Auch Frau T. zog offenbar Nutzen aus der Beziehung zu ihrem Doktorvater.
       Als seine Angestellte war sie gleichzeitig dafür verantwortlich, Prüfungen
       vorzubereiten. In den Akten des Verwaltungsgerichts heißt es, sie habe
       zudem ihrem Ehemann Prüfungsunterlagen und -lösungen für den Eignungstest
       zum Studium an der Fakultät besorgt. Ein Nebenschauplatz, winkt Anwalt
       Giesecke ab. Den Vorwurf hätte es gegeben, ja, aber der Mann habe den Test
       noch einmal geschrieben und bestanden. Das Gutachten über die
       Glaubwürdigkeit von Frau T. ficht er im Auftrag seiner Mandantin an.
       
       Trotz solcher Schönheitsfehler glauben Teile der Uni-Belegschaft weiterhin
       der Version von Frau T. Hinzu kommt, dass Professor N. als lüstern und
       promiskuitiv gilt. "Wenn er in der Mensa auftauchte, war oft eine
       wesentlich jüngere Frau in seiner Begleitung, immer eine andere. Die haben
       so rumgemacht, wir haben gedacht, oh, was werden wir gleich zu sehen
       bekommen", berichtet eine Mitarbeiterin.
       
       In seinem Urteil rekurriert auch das Verwaltungsgericht darauf: "Der
       Beklagte hat offenbar zumindest bei Teilen der Studentenschaft den Ruf, ein
       Verhältnis zu ihm gefallenden Studentinnen zu suchen […], sodass sich die
       Gleichstellungskommission genötigt sah, dies im Rektorat zu thematisieren."
       Sprecher Lohuis bestätigt, das Rektorat habe vor drei Jahren einmal einen
       längeren Brief an Professor N. geschrieben und ihn aufgefordert sein
       Verhalten zu ändern. Doch darin sei es nicht um den Vorwurf sexueller
       Nötigung gegangen. Über den tatsächlichen Inhalt könne er aus rechtlichen
       Gründen aber auch nichts sagen. Und: Kein weiteres Opfer habe sich bisher
       gemeldet oder Anklage gegen den Professor erhoben.
       
       Frau T. ist entschlossen, ihre Anklage bis zum Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte durchzufechten.
       
       7 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
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